EZB

Lagarde schließt Zinserhöhung 2022 nicht mehr aus

„Einhellige Besorgnis“ über die Inflation, aber kein Kurswechsel: Die EZB behält ihre sehr lockere Geldpolitik vorerst bei. In Sachen Zinswende ändert EZB-Chefin Lagarde allerdings ihre Tonlage.

Lagarde schließt Zinserhöhung 2022 nicht mehr aus

Ungeachtet eines neuerlichen Inflations-Rekords zu Jahresbeginn hält die Europäische Zentralbank (EZB) vorerst an ihrer sehr lockeren Geldpolitik fest. Im Rahmen seiner ersten Sitzung in diesem Jahr bekräftigte der EZB-Rat die Beschlüsse von Mitte Dezember. Eine vor allem von Banken immer eindringlicher geforderte Zinserhöhung in diesem Jahr zeichnet sich den Beschlüssen nach weiterhin nicht ab – ausschließen wollte EZB-Chefin Christine Lagarde dies aber auf Nachfrage nicht mehr. „Einhellige Besorgnis“ brachte sie in Sachen Inflation zum Ausdruck.

Inhaltlich tastete der EZB-Rat seine im Dezember getroffenen Beschlüsse nicht an. Demnach ruht ab April zwar das Corona-Notfallkaufprogramm PEPP. Über das reguläre Kaufprogramm APP werden die Anleihekäufe jedoch vorübergehend aufgestockt, auf 40 Mrd. Euro im zweiten Quartal und 30 Mrd. Euro im dritten Quartal. Ab Oktober sollen die Käufe via APP mit dem bisherigen Volumen von 20 Mrd. Euro pro Monat weiterlaufen. Der EZB-Rat bekräftigte auch seine Absicht, die Leitzinsen erst dann das erste Mal anzuheben, wenn die Nettoanleihekäufe beendet worden sind. Ein Ende der Käufe stellte er nicht in Aussicht. Der für Banken wichtige Einlagesatz bleibt somit bei –0,5%.

Mit den inhaltlich unveränderten Beschlüssen von Donnerstag hebt sich die EZB trotz negativer Inflationsüberraschungen von ihren Notenbankkollegen in den USA und Großbritannien ab. Die Bank of England entschied am Donnerstag, den Leitzins zum zweiten Mal in Folge um einen Viertelprozentpunkt zu erhöhen, auf nun 0,5%. Die Federal Reserve hat für März eine erste Zinserhöhung und weitere Aufwärtsschritte in diesem Jahr in Aussicht gestellt.

Auch die Geldmärkte im Euroraum preisen inzwischen eine Zinserhöhung bereits Mitte dieses Jahres ein. Lagarde hatte dagegen bislang eine Zinserhöhung 2022 für „sehr unwahrscheinlich“ erklärt. Auf mehrmalige Nachfrage wiederholte Lagarde diese Aussage am Donnerstag nicht. Stattdessen verwies sie auf die im März anstehenden neuen Projektionen des EZB-Stabs. Diesen neuen Daten und den dann anstehenden Entscheidungen wolle sie nicht vorgreifen, sagte Lagarde. Der EZB-Rat werde sich nicht hetzen lassen. Es gebe Aufwärtsrisiken für die Inflation, „vor allem in der kurzen Frist“, sagte Lagarde.

Am Tag vor dem Zinsentscheid hatte die Schnellschätzung der Inflationsrate für Januar einmal mehr für eine böse Überraschung gesorgt: Mit einem Plus von 5,1% auf Jahressicht erreichte die Inflation im Euroraum wider Erwarten abermals ein Rekord-Hoch. Ökonomen von Banken und auch der EZB hatten mit einem Rückgang gerechnet. Das erhöht den Druck auf die EZB, rascher ihre Anleihekäufe zurückzufahren und die Zinswende einzuleiten. „Die EZB muss den Leitzins nach oben anpassen“, fordert etwa der Wirtschaftsweise Volker Wieland. Beobachter rechneten im Vorfeld jedoch allenfalls mit vagen Signalen der EZB.

Volkswirte reagierten zum Teil mit drastischen Worten auf die am Mittwoch veröffentlichten Inflationszahlen: Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Kramer sprach von einem „Nackenschlag“ für die EZB. Nord/LB-Chefvolkswirt Christian Lips sieht die EZB „in Erklärungsnot“. Die Ökonomen der Allianz sehen das Lager der Tauben im EZB-Rat, also der Verfechter einer lockeren Geldpolitik, in der Defensive. Sie betonen das Risiko, dass Spannungen im EZB-Rat zunehmen, sollten weitere Negativüberraschungen in Sachen Inflation schlussendlich doch eine aggressivere Kehrtwende zu einer strafferen Geldpolitik nötig machen.

Tatsächlich haben auch in EZB-Kreisen die Inflationssorgen und die Diskussion über den weiteren Kurs zugenommen. Bereits bei der Sitzung Mitte Dezember hatte es Dissens gegeben. Hardliner im EZB-Rat wie der niederländische Zentralbankchef Klaas Knot dringen auf eine schnellere Zinswende, falls die Inflation 2022 weiter höher ausfalle als gedacht. Zuletzt hatte auch Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau, der eher als „Taube“ gilt, Handlungsbereitschaft betont. Die große Frage ist nun, in­wie­weit weitere gemäßigte Notenbanker auf diese Linie einschwenken. Bei der Pressekonferenz im Anschluss an die Sitzung berichtete EZB-Chefin Lagarde von „einhelliger Besorgnis rund um den Tisch im EZB-Rat über die Inflationszahlen“. Auch bezüglich des Ergebnisses der Ratssitzung habe es „allgemeinen Konsens“ gegeben.

Fach- und Führungskräfte in der deutschen Finanzindustrie halten indes wenig von den aktuellen Inflationsvorhersagen der Europäischen Zentralbank (EZB). Das geht aus Sonderfragen im Zuge der vierteljährlichen Umfrage des Center for Financial Studies (CFS) hervor. Konkret geht es um die aktuellen Projektionen der EZB-Volkswirte, wonach die Inflation im Euroraum dieses Jahr zwar auf 3,2% zulegt, aber 2023 und 2024 wieder unter 2% fällt – auf jeweils 1,8%.

63% der Befragten halten diese Inflationserwartungen für zu niedrig, wie das CFS am Donnerstag berichtete. Lediglich knapp 33% halten diese für realistisch. „Das ist bedenklich, denn das Vertrauen der Märkte in die Zentralbank ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Geldpolitik“, sagte CFS-Professor Volker Brühl.

„Bereits bei der letzten CFS-Befragung waren die Finanzmarktakteure skeptisch, was den transitorischen Charakter der Inflation betrifft. Wie wir heute wissen: zurecht“, sagte Hubertus Väth, Geschäftsführer von Frankfurt Main Finance.

Vor allem in Deutschland sorgt die hartnäckig hohe Inflation zusehends für Aufsehen und Kritik an der EZB. In der „Bild“-Zeitung verlangten am Donnerstag Oppositionspolitiker und Sozialexperten einen Gipfel zur hohen Inflation („Anti-Teuer-Gipfel“). In der Börsen-Zeitung hatten vor der Sitzung führende Experten wie Ex-EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark eine raschere Zinswende der EZB gefordert.

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