Einzelhandel

Auch dem „kleinen Luxus“ wird abgeschworen

Die heftigen Preissteigerungen für Güter, die der Grundversorgung dienen, und Zukunftssorgen haben die Konsumbereitschaft in Deutschland auf ein Rekordtief gedrückt. Der Einzelhandel bekommt dies zu spüren.

Auch dem „kleinen Luxus“ wird abgeschworen

Die Konsumbereitschaft in Deutschland ist auf ihrem vorläufigen Tiefpunkt. Das zeigen mehrere Erhebungen. So hat der Marktforscher GfK für Oktober einen Konsumklima-Indexwert von minus 42,5 Punkten nach minus 36,8 im September prognostiziert. Das Stimmungsbarometer misst die Konsumneigung der Privathaushalte in Deutschland. Ursachen der schlechten Verbraucherstimmung sind zum einen die heftigen Preissteigerungen insbesondere für Lebensmittel, Kraftstoffe, Strom und Gas sowie andere Güter zur Grundversorgung, zum anderen die Sorge um die Zukunft angesichts der aufziehenden Rezession. Trudeln zur Jahreswende sprunghaft gestiegene Energierechnungen ein, wird die Kauflaune noch weiter sinken.

Lichtblick Beschäftigung

Dabei sieht ein für den Konsum maßgeblicher Faktor bislang noch relativ gut aus: die Beschäftigung. Das in Deutschland von der Agentur für Arbeit gezahlte Kurzarbeitergeld hat sich in der Vergangenheit als äußerst erfolgreiches Sicherheitsnetz gegen Stellenstreichungen aufgrund unvorhersehbarer und/oder schwerwiegender, aber wohl befristeter Belastungen wie der Corona-Pandemie erwiesen. Zum Glück.

Denn eine deutliche Zunahme der Arbeitslosenzahl wäre für die deutsche Binnenwirtschaft, deren wichtigste Kraft der private Konsum ist, verheerend, da nach einer Faustregel auf jeden zusätzlichen Arbeitslosen drei Beschäftigte kommen, die sich dann so verhalten, als wären sie selbst arbeitslos geworden. Das würde u. a. zu einem weiteren markanten Ausgabenrückgang führen. Ein sinkendes Konsumbudget der Verbraucher ist für den Einzelhandel negativ und kann je nach Segment und Aufstellung für ein Unternehmen existenzgefährdende Züge annehmen.

Im Grunde verbietet es sich, heutzutage noch „den“ Einzelhandel beurteilen zu wollen. Innerhalb der Branche sind die Unterschiede, was Lage und Perspektiven angeht, mindestens so groß wie in der Energieindustrie, wo auch niemand auf die Idee käme, Ölförderkonzerne mit Betreibern von Windkraftanlagen in einen Topf zu schmeißen. Der stationäre Handel alten Zuschlags hat ganz andere Probleme und Chancen als der reine Online-Händler, und das Marktumfeld im Lebensmittel-Einzelhandel ist ein anderes als das anderer Sortimentsgruppen, etwa Mode. Gemein ist den Händlern, dass sie alle die mangelnde Kaufbereitschaft zu spüren bekommen. Dabei kommt es zu Umsatzausfällen, im günstigeren Fall aber nur zu Umsatzverschiebungen.

Premiumprodukte sind out

Im Lebensmittel-Einzelhandel (LEH) ist schon seit längerem zu beobachten, dass sich die Verbraucher weg von kostspieligeren Premiumprodukten oder Bio-Lebensmitteln und hin zu günstigeren Waren, etwa Eigenmarken des Handels oder konventionell erzeugtem Obst und Gemüse, bewegen. Dadurch sinkt zwar die durchschnittliche Gewinnspanne der Unternehmen, da die Marge in der Regel mit steigendem Preis zunimmt, doch die großen Ketten – allen voran Edeka, Rewe, Lidl (Schwarz-Gruppe) und Aldi – können das relativ locker wegstecken; sie gehörten in den beiden vergangenen Jahren gemessen an der Umsatzentwicklung zu den Gewinnern der Corona-Pandemie bzw. der Einschränkungen im täglichen Leben, die die Ausbreitung der Seuche stoppen sollten. Selbst ohne diesen Sondereffekt und verändertes Einkaufsverhalten verdienen die großen Spieler im LEH prächtig. Die Discounter Aldi und Lidl sowie Netto (Edeka), Penny (Rewe) und Norma werden sogar Zulauf von Kunden bekommen, die zuvor bei höherpreisigen Anbietern gekauft haben.

Weitaus weniger entspannt ist die Lage bei unabhängigen, kleineren Einzelhändlern, die sich zum Beispiel auf Feinkost oder Bio-Lebensmittel und damit auf kostspieligere Waren spezialisiert haben. Wenn sich der Wechsel zu niedrigeren Preissegmenten durch die Konsumenten fortsetzt, könnte es für viele dieser Läden schon bald eng werden.

Auf den Online-Vertrieb brauchen die Spieler im LEH nicht zu hoffen: Trotz teilweise großer Anstrengungen in den vergangenen Jahren – hier hat sich insbesondere Rewe hervorgetan – gab es selbst in der kritisch­s­ten Phase der Corona-Pandemie, als der Besuch von physischen Supermärkten nur unter strengen Auflagen möglich war, Erfolge nur auf geringem Niveau. Gemäß Statista wurden im Online-Handel mit Lebensmitteln 2021 zwar 3,92 Mrd. Euro und damit stattliche 47% mehr als im Vorjahr umgesetzt; der Marktanteil über diese Vertriebsschiene lag hierzulande aber trotzdem nur bei 2,7% nach 2,0% im Jahr 2020 und 1,4% im Vor-Corona-Jahr 2019. Es ist davon auszugehen, dass es ein günstigeres Umfeld für den Online-Handel mit Lebensmitteln wie in der Coronazeit so schnell nicht mehr geben wird. Deutschland, das kann man inzwischen so deutlich sagen, ist kein Land, in dem der LEH in absehbarer Zeit über das Internet signifikante Umsatzanteile generieren wird.

In anderen Einzelhandelssegmenten hat der E-Commerce dagegen einen Siegeszug hinter sich – zum Leidwesen vieler stationärer Anbieter. An vorderster Stelle liegt hier die Kategorie Bekleidung/Textilien/Schuhe, in der der Online-Anteil am Gesamtumsatz zwischen 20 und 30% liegen soll. Während reine Online-Händler wie Zalando (88% Streubesitz), Bonprix (Otto Group) und About You (79% Otto Group, 21% Streubesitz) jahrelang vom Einkaufsboom im Internet voll profitierten, sind Lage und Perspektiven von Unternehmen, die über große stationäre Geschäfte verfügen, gleichzeitig aber ein starkes E-Commerce-Geschäft haben – etwa Hennes & Mauritz, Breuninger, Zara (Inditex), C&A und Peek & Cloppenburg – unterschiedlich.

Über die Bekleidungshändler in privater Hand (Breuninger, C&A, P&C) dringt kaum etwas an die Öffentlichkeit. Um ihre finanzielle Lage soll es aber nicht zum Besten stehen. Doch auch die reinen Internetanbieter haben offenbar ihren Wachstumszenit überschritten. Nun bekommen sie, bei stark gestiegenen Kosten, immer stärker die schlechte Konsumlaune zu spüren. Auf ausbleibende Käufe wird mit Einsparungen, etwa in der Werbung, reagiert. Die dramatischen Kursrückgänge von Zalando und About You seit dem vergangenen Sommer sprechen für sich.

In einigen Produktkategorien – etwa Spielwaren, Bücher, Ton- und Bildträger oder Konsumelektronik – hofft man auf eine Belebung durch das nahende Weihnachtsgeschäft. Darunter werden die Umsätze im November und Dezember verstanden. Schon Ende nächsten Monats werden die Erlöse an den inzwischen fest verankerten Aktionstagen „Black Friday“, „Cyber Monday“ bzw. „Black Week“ eine Indikation geben, welche Richtung das Weihnachtsgeschäft dieses Jahr nehmen wird. Die Erwartungen sind insgesamt verhalten.

Einmaliger Vorgang

Der Wechsel zu günstigeren Angeboten, selbst bei Fast Moving Consumer Goods – also Produkten, die schnell und zu relativ geringen Kosten gekauft werden –, ist ein Vorgang, der in früheren Krisen kaum zu beobachten war. In der Finanz- oder Eurokrise fiel die ein oder andere Urlaubsreise etwas bescheidener aus und es wurde auf Käufe größeren Volumens, z. B. ein Auto, verzichtet oder der Erwerb wurde zumindest zurückgestellt. Aber stets galt, dass sich die Verbraucher noch den „kleinen Luxus“ – etwa bei Lebensmitteln, Bekleidung oder Smartphones – gönnten. Doch das scheint in der jetzigen Krise anders zu sein, was die Dramatik der Lage offenbart.

Steigende Lebenshaltungs- und hohe Energiekosten sowie Pessimismus, was die Entwicklung des verfügbaren Einkommens angeht, dämpfen die Kauflaune der Verbraucher erheblich, wie auch das Konsumbarometer des Handelsverbandes Deutschland (HDE) für Oktober zeigt. Der Index bildet die erwartete Stimmung in den nächsten drei Monaten ab. Gemäß der jüngsten Erhebung ist das Konsumbarometer den dritten Monat in Folge zurückgegangen und auf das Rekordtief von 84,14 Punkten gefallen, deutlich unter das Tief in der Coronazeit (siehe Grafik). Der Index befindet sich damit in einem Abwärtstrend. „Bis in das Frühjahr 2023 hinein wird der reale private Konsum voraussichtlich sinken, so dass er auch im nächsten Jahr unter dem Vor-Corona-Niveau liegen dürfte“, schätzt der HDE.

Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt

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