Unterm Strich

Die Naivität von Herbert Diess & Co.

Die Naivität, mit der Politik und Wirtschaft Russland begegnet sind, droht sich im Verhältnis zu Regime und Markt in China zu wiederholen.

Die Naivität von Herbert Diess & Co.

„Deutschland hat seine Sicherheit an die USA ausgelagert, seinen Energiebedarf an Russland und sein exportbedingtes Wirtschaftswachstum an China.“ Mit diesem Satz hat die Publizistin Constanze Stelzenmüller jüngst im „Economist“ die Lage Deutschlands auf den Punkt gebracht. Was über Jahrzehnte hinweg als besonders clever galt und den Deutschen wachsenden Wohlstand bescherte, offenbart sich nun nach der Invasion Russlands in die Ukraine als kurzsichtig und naiv.

Sanktionen müssen weh tun

Doch das Umdenken fällt nicht leicht. Zwar fehlt es nicht an Ankündigungen der Politik – von der Zeitenwende bis zum Sondervermögen für die Ertüchtigung der Bundeswehr – und einem affirmativen medialen Begleitchor dazu, doch die Umsetzung hält sich vorerst in Grenzen. Deutschlands Zögern, nicht zuletzt beim Energieembargo gegenüber Russland, hat Diktator Wladimir Putin die Chance gegeben, den Sanktionsspieß umzudrehen und punktuell Gaslieferungen zu verweigern. Und je mehr Zeit verstreicht, umso lauter wird in Deutschland das „Ja, aber“ zum dringenden Kurswechsel werden – nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft.

Selbst die Frage, ob man mit Russland noch Geschäfte machen kann oder sollte, wird sehr unterschiedlich beantwortet und wirft kein gutes Licht auf die deutsche Industrie. Am selben Tag, an dem Siemens verkündete, sich nach 170 Jahren geschäftlicher Beziehungen komplett aus Russland zurückzuziehen, und der Konzern dafür einen finanziellen Verlust von voraussichtlich gut 1Mrd. Euro in Kauf nimmt, stellte VW-Vorstandsvorsitzender Herbert Diess in der Hauptversammlung die Wirkung der „harten Sanktionen“ des Westens in Frage und verteidigte das Modell „Wandel durch Handel“ (vgl. BZ vom 13. Mai).

Eines der Argumente zahlreicher deutscher Unternehmensführer, die trotz Russlands Angriffskrieg den Absatz oder gar die Produktion in Putins Diktatur rechtfertigen sollen, ist der Hinweis auf die betroffenen Mitarbeiter vor Ort oder die Kunden. Sie könnten ja nichts für den Angriff und die Kriegsverbrechen Putins und seien als Mitarbeiter auf den Job und als Kunden auf die Produkte (z.B. Babynahrung, Medikamente) angewiesen. Nun, mit etwas Fantasie lässt sich beinahe jedes Produkt als Teil einer lebensnotwendigen Lieferkette definieren. Doch gerade dies macht ja die Wirkung von Sanktionen aus. Sie müssen weh tun! Der sanktionierte Staat, in diesem Fall Russland, muss dann entweder einspringen und mit erhöhtem Aufwand für Ersatz sorgen oder eben auf bestimmte Produkte verzichten. Und ehe deutsche Manager in Mitleidsbekundungen für künftig schlechter versorgte Russen ausbrechen, sollten sie mal darüber nachdenken, was sie für die Menschen in der Ukraine leisten, die für diesen Krieg nichts können, einen Krieg, der nicht nur ihre wirtschaftliche Existenz, sondern ihr Leben bedroht – und in tausenden Fällen schon vernichtet hat.

Während der russische Absatzmarkt für die meisten deutschen Unternehmen ohnehin eine Quantité négligeable darstellt und insofern der Verzicht wirtschaftlich kaum Spuren hinterlässt, wird die Positionierung der deutschen Wirtschaft zu China zur Nagelprobe werden. Zweifelsohne treibt bereits viele Unternehmen der Gedanke um, wie sie die große Abhängigkeit vom chinesischen Markt – sei es von Zulieferungen, sei es beim Absatz – verringern können. Wo aber sind die Reaktionen deutscher Unternehmen gegen die überzogene „Null-Covid-Politik“, mit der die chinesische Parteidiktatur nicht nur die eigenen Bürger kujoniert, sondern durch einen Lockdown nach dem anderen und Lieferkettenunterbrechungen auch großen wirtschaftlichen Schaden bei den Handelspartnern verursacht? Wegen einiger Dutzend Corona-Neuinfektionen am Tag sperrt die Regierung lieber zig Millionen Bürger in Schanghai über Wochen in ihre Wohnungen und riskiert den Stillstand der Wirtschaft, als den chinesischen Markt für bewährte ausländische mRNA-Impfstoffe zu öffnen.

Verkannter Xi Jinping

Ausländische Investoren fangen an, ihr Geld aus einem Land abzuziehen, dessen Partei- und Staatschef Xi Jinping inzwischen ähnlich irrationale Züge und Alleinherrscherattitüden entwickelt wie Russlands Präsident Putin. Auch Xi Jinping hat schon 2013 in einem politischen Papier westliche demokratische Werte und Prinzipien zu Feindbildern erklärt und viele der von seinen Vorgängern eingeleiteten erfolgreichen Reformen wieder rückgängig gemacht. Das China von Xi Jinping ist nicht mehr das China von Deng Xiaoping und Jiang Zemin. Doch deutsche Unternehmen zögern, Konsequenzen zu ziehen. Zu sehr haben sie ihr Schicksal an das des chinesischen Marktes gekettet. Allen voran Volkswagen. Mit jetzt schon mehr als 90000 Mitarbeitern in 40 Werken will der Konzern im „Automobilmarkt der Zukunft“, so Herbert Diess, seine Position noch weiter ausbauen. Klumpenrisiko scheint in Wolfsburg ein Fremdwort zu sein. Und Berührungsängste mit Autokraten hat VW, zu deren Großaktionären das Emirat Katar gehört, noch nie gekannt.

Berauscht von China

VW ist nicht allein, wenn es um die Abhängigkeit von China geht und den Plan, das Engagement dort noch auszubauen. Ob Mercedes-Benz, deren zwei größte Aktionäre aus China kommen und knapp 20% des Kapitals halten, oder Siemens oder BASF: Global tätige Konzerne tun sich schwer, in einem ihrer größten und am stärksten wachsenden Märkte auf die Bremse zu treten.

Zweifelsohne können sich deutsche Unternehmen nicht aus allen Autokratien zurückziehen, können die Werteordnung westlicher Demokratien nicht zum alleinigen Maßstab ihres internationalen Geschäfts machen. Aber die Naivität, mit der bis vor kurzem auf Russland und derzeit immer noch von Diess & Co. auf China geschaut wird, muss ein Ende haben. China hat den Systemwettbewerb ausgerufen und will ihn gewinnen. Ein „Weiter so“ kann es für deutsche Unternehmen nicht geben.

c.doering@boersen-zeitung.de

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