Geldpolitik

Falsche Sicherheit

Das Inflationsproblem wird sich nicht zwangsläufig von selbst in Wohlgefallen auflösen. Die Notenbanken müssen den Kampf annehmen. Das gilt nicht nur für die Fed, sondern auch für die EZB.

Falsche Sicherheit

Eines steht unzweifelhaft fest: Die Zentralbanken, allen voran die US-Notenbank Fed, aber auch die Europäische Zentralbank (EZB), haben die Inflation in diesem Jahr kolossal unterschätzt. Aktuell 6,8% Verbraucherpreisinflation in den USA und 4,9% in Euroland – das ist sicher jenseits von allem, was sich die Notenbanker zu Jahresbeginn in ihren schlimmsten Träumen ausgemalt haben. Entscheidend ist nun, dass sie daraus die richtigen Lehren ziehen: Sie dürfen sich nicht in blindem Vertrauen auf ihre Modelle in falscher Sicherheit wiegen, dass sich das Inflationsproblem künftig schon von selbst in Wohlgefallen auf­lösen wird. Sie müssen klarmachen, dass sie den Kampf annehmen – und notfalls auch handeln.

Zuvorderst ist da die Fed gefragt, weil das Inflationsproblem in den USA ohne Frage noch einmal gravierender ist als in Euroland. In den USA liegt auch die Kerninflation ohne die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise bereits bei 4,9%. Die Inflation in den USA ist also längst in der Breite der Wirtschaft angekommen. Das hat zum einen viel zu tun mit den gigantischen Fiskalprogrammen samt übermäßig großzügigen Transferzahlungen an die privaten Haushalte. Zum anderen ist der US-Arbeitsmarkt sehr viel flexibler, weswegen es auch schneller zu Lohnwachstum kommt. Nun spricht zwar auch in den USA vieles dafür, dass jetzt so langsam der Höhepunkt beim Inflationsanstieg erreicht ist. Aber die Gefahr ist real, dass sich die Teuerung dauerhaft zumindest deutlich oberhalb des 2-Prozent-Ziels einpendelt. Das kann zum Riesenproblem werden – nicht zuletzt für die Glaubwürdigkeit der US-Notenbank.

Die Fed hat dem Treiben jetzt zu lange zugeschaut und die US-Wirtschaft allzu sehr überhitzen lassen. Die Notenbanker sollten das Tempo bei ihrem Tapering erhöhen, also ihre billionenschweren Anleihekäufe schneller drosseln und beenden als bislang avisiert – also nicht erst Mitte 2022. Das würde ihnen auch die Flexibilität geben, den Leitzins dann schneller und deutlicher anzuheben als bis dato erwartet. Diese Entscheidung steht jetzt nicht an – zumal die Konjunkturunsicherheit groß ist. Aber es scheint zunehmend wahrscheinlich, dass die Fed stärker an der Zinsschraube drehen muss, um nicht die Kontrolle über die Inflation zu verlieren. Dafür muss sie sich wappnen.

Im Euroraum als Ganzem ist der Preisdruck bislang noch gemäßigter – speziell mit Blick auf die Kerninflation, die aktuell bei 2,6% liegt. Zudem gibt es anders als in den USA bislang keine Anzeichen für eine exzessive Nachfrage, und der fiskalische Stimulus ist geringer als in den USA, wenn auch wohl nicht so deutlich wie vielfach unterstellt. Das alles lässt hoffen, dass die Teuerung schon im Verlauf des Jahres 2022 deutlich nachlassen wird. Aber der extreme Druck auf den den Verbraucherpreisen vorgelagerten Preisstufen lässt zugleich befürchten, dass es damit länger dauern und der Rückgang auch nicht ganz so kräftig ausfallen könnte. Es wäre jedenfalls für die EZB fatal, nur einseitig auf Deflations- und Risiken einer zu niedrigen Inflation zu starren. Dann droht am Ende nur eine Situation wie jetzt schon in den USA.

Die EZB muss deshalb jetzt in einem ersten Schritt viel klarer machen, dass sie die Inflationsgefahren ernst nimmt und entsprechende Sorgen nicht einfach abbügelt. Damit das glaubwürdig ist, muss sie sich aber im zweiten Schritt auch wieder mehr Handlungsspielraum verschaffen. Es gilt zum einen, das Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP im März 2022 auslaufen zu lassen. Dann sollte sie aber zum anderen auch beim parallelen Kaufprogramm APP nicht allzu viel draufpacken – und vor allem nicht für zu lange Zeit. Und die EZB darf zum dritten Zinserhöhungen nicht für zu lange kategorisch ausschließen. Die von Euro-Notenbankern derzeit gerne so hochgehaltene Flexibilität bedeutet aktuell de facto nur, dass die EZB im Notfall zu weiteren Lockerungsübungen und Hilfen bereit ist. Es braucht aber Flexibilität in beide Richtungen: Wenn nötig, muss die EZB auch schneller straffen als bislang gedacht.

Natürlich kommt die Coronavirus-Mutante Omikron für die Fed und die EZB jetzt zur Unzeit, weil sie die ohnehin hohe Konjunkturunsicherheit noch verschärft. Bislang spricht aber wenig dafür, dass Omikron dem Aufschwung den Garaus macht. Die beispiellose Geldpolitik der Krisenjahre mit Null- und Negativzinsen und umfangreichen (Staats-)Anleihekäufen erscheint dann aber immer mehr aus der Zeit gefallen. Ein unbeirrtes Festhalten an dieser Geldflut erhöht auch nur die mittelfristigen Inflationsrisiken. Diesen Fehler sollten die Notenbanker jetzt auf keinen Fall begehen.

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