Dekarbonisierung

Luftfahrt-Branche im Umwelt­stress

Fluggesellschaften wie die Lufthansa haben sich − getrieben von Investoren, Passagieren und Gesetzgebern − ehrgeizige Dekarbonisierungsziele gesetzt. Ein Spaziergang wird das allerdings nicht.

Luftfahrt-Branche im Umwelt­stress

„Unsere Industrie steht beim Thema Dekarbonisierung noch am Anfang“, sagt die für Nachhaltigkeit zuständige Lufthansa-Vorständin, Christina Foerster. Und hat dennoch ehrgeizige Ziele, zumindest gilt das für die deutsche Fluggesellschaft. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um die Hälfte zurückgefahren werden, ab dem Jahr 2050 will Lufthansa klimaneutral unterwegs sein. 33 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid hat der Konzern im Vor-Pandemie-Jahr 2019 emittiert, das wird also kein Spaziergang.

Dass die Lufthansa nun eine Vielzahl von Projekten lanciert hat und an Partnerschaften schmiedet, um grüner unterwegs zu sein, hat handfeste Gründe. Nicht nur, dass die EU-Kommission in Sachen Umweltschutz den Druck auf die Fluggesellschaften erhöht. Auch Investoren, Kunden und Mitarbeitern wird das Thema immer wichtiger, weiß Foer­ster. 85 % der Passagiere der Lufthansa sagten einer Umfrage zufolge, Nachhaltigkeit sei ihnen wichtig. Allerdings nutzen bisher nur 4 bis 9 % der Kunden die Möglichkeit, den CO2-Fußabdruck, den ihre Flugreise hinterlässt, zu kompensieren. Das soll ihnen nun noch schmackhafter gemacht werden, beispielsweise, indem Meilen für die Kompensation gesammelt werden können.

Allerdings geht es gerade Investoren mehr und mehr um die tatsächliche Reduktion von Treibhausgasen und nicht nur um eine Kompensation. Die Emissionen insgesamt herunterzufahren fällt aber schwer, weil die Branche vor der Pandemie Jahr für Jahr kräftig gewachsen ist – Fortschritte beim CO2-Ausstoß pro Passagierkilometer wurden deshalb regelmäßig durch das Wachstum aufgezehrt, die insgesamt emittierte Gasmenge steigt und steigt. Das könnte in den kommenden Jahren so weitergehen, werden nicht Gegenmaßnahmen ergriffen. Während der Pandemie ist zwar die Zahl der Flüge, die europäische Flughäfen ansteuern, von 9,3 Millionen im Jahr 2019 auf 4,12 Millionen bzw. 5,07 Millionen in den Jahren 2020 und 2021 zurückgegangen. Der langfristige Trend deutet aber darauf hin, dass die Region bis 2050 mehr als 12 Millionen jährliche Flüge verzeichnen dürfte. In diesem Szenario könnten die CO2-Emissionen von Flugzeugen im Vergleich zu 2019 von 147 Mill. auf 188 Mill. Tonnen steigen. Wenn es gleichzeitig anderen Branchen gelingt, ihren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, dürfte der Anteil der Airlines am weltweiten CO2-Ausstoß von aktuell rund 2 bis 3 % dann ansteigen. Ein Teufelskreis, zumal wenn Instrumente zum Gegensteuern rar sind. Elektroantriebe etwa kommen für Flugzeuge nicht in Frage, die benötigte Batterie wäre viel zu groß und zu schwer, als dass der Flieger abheben könnte. Schnelle oder gar billige Lösungen gibt es nicht. Der Präsident des Airline-Verbandes IATA und frühere British-Airways-Chef Willie Walsh sagte bei der Tagung des Verbandes im vergangenen Jahr: „Es wird Billionen von Dollar kosten, die Luftfahrt CO2-neutral zu machen.“

Neue Flugzeuge helfen

Wichtigster Hebel im Kampf gegen den Ausstoß von Schadstoffen ist im Moment die Flugzeugflotte. „Jedes neue Flugzeug, das wir derzeit anschaffen, reduziert die CO2-Emissionen im Vergleich zum Vorgängermodell um bis zu 30 %“, sagt Foerster. Das hat allerdings seinen Preis, rund 2 Mrd. Euro jährlich investiert die Lufthansa momentan in ihren Flugpark. Die britische Easyjet hat kürzlich übrigens ihr CO2-Kompensationsprogramm einkassiert und will stattdessen bis zum Jahr 2050 ihre Emissionen mit effizienten Flugzeugen um 78 % reduzieren. „Wir glauben, dass dies machbar ist. Wir geben zu, dass es ehrgeizig ist“, sagte Konzernchef Johan Lundgren.

Ein noch größerer Hebel als eine vergleichsweise junge Flotte wäre indes der verstärkte Einsatz von nachhaltig hergestelltem Flugbenzin (SAF). Die Produktion steckt allerdings noch in den Kinderschuhen – das derzeitige Angebot an SAF betrage weniger als 0,05 % des gesamten Flugkraftstoffverbrauchs in der EU, heißt es im jüngst veröffentlichten Europäischen Luftfahrtumweltbericht 2022. Im vergangenen Jahr wurde im Emsland eine erste Pilotanlage für Kerosin aus Windstrom eröffnet. Die im Regelbetrieb erzeugte Jahresmenge reicht gerade mal für einen Flug von Frankfurt nach Singapur. Die aktuell weltweit produzierte Menge an SAF würde ausreichen, um das Programm der Lufthansa-Gruppe eine Woche lang abzufliegen. Die Partnerschaften mit OMV und Shell, die der Luftfahrtkonzern zuletzt in Sachen nachhaltiges Kerosin geschmie­det hat, sorgen laut Foer­ster bis 2030 kumuliert für einen Zugriff auf 2,6 Mill. Tonnen Kerosin. 2019 hat die Lufthansa-Gruppe 10 Mill. Tonnen Jetfuel verflogen.

Die Lufthansa setzt große Hoffnungen auf mit Hilfe von Sonnenenergie erzeugtes Kerosin. Das im „Sun-to-Liquid“-Verfahren hergestellte Rohöl kann in normalen Raffinerien verarbeitet werden, so dass anders als für Wasserstofftechnologie keine neue Infrastruktur aufgebaut werden muss. Konzerntochter Swiss werde weltweit die erste Airline sein, die mit dieser Art Kraftstoff abheben soll – im kommenden Jahr, wenn alles gut läuft.

Mit SAF unterwegs ist die Lufthansa im Übrigen schon heute, dabei handelt es sich allerdings um aus Altöl gewonnenen Treibstoff. Von diesem Kerosin wird so viel beigemischt, wie Kunden bereit sind, den entsprechenden Aufschlag zu bezahlen. Viele der (Firmen-)Kunden hätten selbst ehrgeizige CO2-Ziele, für sie ist die Beimischung von grünem Kerosin ein möglicher Hebel zum Erreichen dieser Ziele. Kürzlich hatte die Swiss über eine Vereinbarung mit dem Uhrenhersteller Breitling berichtet, wonach Breitling für ihre Geschäftsreiseflüge mit der Fluglinie nachhaltigen Treibstoff erwirbt und damit die direkten CO2-Emissionen ihrer Flugreisen um 80 % reduziert.

Bei Ratingagenturen, die ESG-Kriterien unter die Lupe nehmen, kommen die Bemühungen der Lufthansa gut an. So ist die Airline beispielsweise seit 2015 im MSCI Global Sustainability Index enthalten. Dieser bildet Unternehmen ab, die sich in besonderem Maße für Nachhaltigkeit engagieren. 2021 verbesserte die deutsche Fluggesellschaft ihr Rating dort von „BBB“ auf „A“. Ebenfalls gute Noten erhält das Unternehmen von einigen Umweltschutzorganisationen. Man hat sich von der „Science Based Targets“-Initiative auditieren lassen, zu der unter anderem der WWF und die UN-Organisation UN Global Compact gehören – laut Lufthansa als Erste in Europas Airline-Branche.

Nachhaltig erzeugte Flugkraftstoffe sind für die Branche der Schlüssel, um die von der EU-Kommission mit dem Umweltplan „Fit for 55“ avisierten Ziele zu erreichen. 65 % der aktuellen Emissionen sollen durch solche SAFs gemindert werden, 13 % durch neue Antriebstechnologien wie Wasserstoff. Weitere 3 % Reduktion sollen durch Effizienzsteigerungen, der Rest durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (11%) und Kompensationen (8 %) gelingen. Fluglinien weltweit sind daher gerade dabei, sich über Partnerschaften den Zugriff auf SAFs zu sichern, allen voran die US-Airlines.

Jonathon Counsell, Leiter des Bereichs Nachhaltigkeit bei der International Airlines Group (IAG), rechnete kürzlich im Branchenmagazin „Air Transport World“ (ATW) vor, dass man rund 250 Mrd. Dollar für die Entwicklung und den Bau von SAF-Produktionsanlagen brauche, um bis 2030 einen Anteil von 10 % des Kraftstoffbedarfs der Branche mit nachhaltigem Kerosin abdecken zu können. Um die von der IATA als notwendig erachteten 65 % weniger Emissionen zu erreichen, sind laut Counsell Investitionen zwischen 1 und 1,5 Bill. Dollar für den Bau von etwa 5000 Anlagen erforderlich. „Das ist eine riesige Menge an Kapital, aber (…) es gibt keinen Mangel an Kapital. Gerade jetzt suchen Billionen von Dollar ein neues Zuhause, und Nachhaltigkeit ist für Investoren ein sehr attraktives Thema.“

Kampf um Erneuerbare

Ein Problem ist allerdings die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien. Alle Branchen versuchen, mit Hilfe von regenerativen Energien ihre Dekarbonisierung voranzutreiben. Längst ist ein Wettbewerb um diese Ressourcen ausgebrochen. Experten appellieren deshalb an die Politik, auch SAF-Verfahren unter Einbeziehung fossiler Energieträger zu akzeptieren, um etwa den CO2-Ausstoß der Flugzeuge schrittweise zu reduzieren, anstatt sofort die Einsparungen von 80 % anzustreben, die Schätzungen zufolge durch den Einsatz der alternativen Treibstoffe möglich sind. Zudem sind die neuen Flugbenzine noch sehr teuer. Laut Europäischem Luftfahrtumweltbericht 2022 liegt der Preis für eine Tonne fossiles Kerosin bei etwa 600 Euro, der aktuelle SAF-Preis betrage das 1,5- bis 6-Fache – abhängig vom jeweiligen Herstellungsverfahren.

Die IATA spricht beim Thema nachhaltiges Kerosin von einer „enormen Herausforderung“, denn will man Klimaneutralität erreichen, müsste die Produktion von aktuell rund 100 Mill. Litern auf rund 449 Mrd. Liter im Jahr 2050 gesteigert werden. Der Verband hält es für möglich, mit „angemessener staatlicher Unterstützung“ die SAF-Produktion bis 2025 auf voraussichtlich knapp 8 Mrd. Liter (2 % des gesamten Kraftstoffbedarfs) zu steigern. Schritt für Schritt soll die Herstellung ausgeweitet werden auf eine SAF-Produktion von 449 Mrd. Liter oder 65 % des gesamten Kraftstoffbedarfs bis 2050.

Allzu viel Zeit haben die Fluggesellschaften in Sachen nachhaltiger Treibstoff nicht mehr, denn der Klimaplan der EU sieht vor, dass es für Airlines eine verpflichtende, sukzessiv steigende Beimischungsquote für das nachhaltige Kerosin geben soll. Der Prozentsatz dafür steigt schrittweise von 2 % im Jahr 2025 auf 63 % im Jahr 2050. Derzeit ist die Beimischungsquote technisch mit 50 % begrenzt, es laufen aber Versuche von Airbus, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR, Rolls-Royce und dem Treibstoffhersteller Neste mit 100 % nachhaltigen Treibstoffen.

Deutlich schneller als mit nachhaltigem Kerosin wäre ein geringerer Ausstoß von schädlichen Gasen zu schaffen, wenn ein einheitlicher europäischer Luftraum verwirklicht werden würde. Dies ist allerdings seit Jahren trotz einhelliger Forderungen nicht gelungen. Bei einer effizienten und deregulierten Organisation der Flugsicherungen könnten aus seiner Sicht bis zu 20 % Kerosin gespart und 95 % der Verspätungen beseitigt werden, rechnet Ryanair-Chef Michael O’Leary vor. Dies könne man schnell umsetzen, wenn die Staaten denn mitziehen würden.

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

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