Von Anna Perucki, Frankfurt

Von Atempause keine Spur: Nach dem Abklingen der Pandemie ging mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges der Krisenmodus weiter. Die Unruhe erfasste die Aufsichtsräte im Dax vor allem nach der Jahresmitte. So wurde bei Fresenius für den langjährigen CEO Stephan Sturm (59) dessen Name zum Programm. Im September wurde er vom Stuhl gefegt, nachdem der Konzern am Kapitalmarkt mit starken Vertrauensverlusten zu kämpfen hatte. Michael Sen (54) übernahm das Ruder. Der ehemalige Siemens-Manager Sen war seit seinem Eintritt beim Gesundheitskonzern im Frühjahr 2021 als möglicher Sturm-Nachfolger gehandelt worden. Bei der ebenfalls schwächelnden Dialysetochter Fresenius Medical Care hatte sich eigentlich ein Wechsel in geordneten Bahnen angedeutet. Doch es kam ganz anders. Carla Kriwet (51) übernahm dort vorzeitig im Oktober das Ruder von Vorgänger Rice Powell, der in den Ruhestand ging. Doch der personelle Neuanfang im Gleichschritt kam bereits zwei Monate später zu einem jähen Ende. Kriwet schied am 5. Dezember mit sofortiger Wirkung aus – trotz Vertragslaufzeit bis 2025. Als Grund wurden strategische Differenzen genannt. Als Nachfolgerin wurde die Stellvertreterin und bisherige Finanzchefin Helen Giza (54) be­stellt.

Aufsehen erregte der Wechsel an der Adidas-Spitze, der nicht nur weitere Wellen in der Sportartikelbranche schlug, sondern auch die Adidas-Aktie an einem Tag um rund ein Viertel in die Höhe trieb. Kasper Rorsted (60) werde das Unternehmen im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat verlassen, hieß es im Oktober, obwohl sein Vertrag noch bis Ende Juli 2026 lief. Für echte Überraschung sorgte aber die Nachfolgeregelung. Denn im November wurde bekannt, dass der bisherige Puma-Chef Bjørn Gulden (57) zum 1. Januar 2023 Rorsteds Posten übernimmt. Gulden hatte den Adidas-Konkurrenten zu einer der am stärksten wachsenden Sportartikelfirmen der Welt gemacht. Unmittelbar nach Bekanntgabe dieses Wechsels wurde der bisherige Vertriebsvorstand von Puma, Arne Freundt (42), zum Chef des drittgrößten Sportartikelkonzerns der Welt bestimmt. Derweil leitet Finanzvorstand Harm Ohlmeyer (54) den Adidas-Konzern, bis Gulden in wenigen Tagen das Steuer übernimmt.

Der VW-Konzern teilte im Juli mit, dass Herbert Diess (64) seinen Posten zum 1. September räumen werde. Porsche-Boss Oliver Blume (54) folgte ihm nicht nur an die Konzernspitze, sondern bleibt auch bei der Sportwagentochter am Steuer.

Andere Top-Personalien gingen geräuscharm über die Bühne. So hatte das Dax-Schwergewicht Linde bereits 2021 geregelt, dass der in Indien geborene Sanjiv Lamba (58) am 1. März 2022 als Nachfolger von Steve Angel den amerikanisch-deutschen Industriegasekonzern führen wird. Bei Infineon war absehbar, dass die Amtszeit des dann 67 Jahre alten langjährigen CEO Reinhard Ploss mit Ablauf seines Vertrags zum 31. Dezember 2022 beendet sein würde. Es war auch keine große Überraschung, als Ende November 2021 der Aufsichtsrat den Produktionsvorstand Joachim Hanebeck (53) zum Vorstandschef kürte, denn er zählte von Anfang an zu den heißen hausinternen Kandidaten für die Ploss-Nachfolge und Infineon rekrutiert bekanntlich die Konzernchefs gerne aus den eigenen Reihen. Der Elektrotechnik-Ingenieur übernahm das Steuer bereits zum 1. April 2022 und sein Vertrag läuft bis 2027.

BASF setzt auf Kontinuität und Neuanfang zugleich: Ende Oktober wurde der 2023 auslaufende Vertrag von Vorstandschef Martin Brudermüller (61) um ein Jahr bis zum Ablauf der Hauptversammlung 2024 verlängert. Ein Signal, wer ihm folgen könnte, gibt es bisher nicht. Zum neuen Finanzchef und Chief Digital Officer steigt Dirk Elvermann (51) auf. Er ist wie bei Erstbestellungen bei BASF üblich mit einem Dreijahresvertrag ausgestattet worden.

MTU Aero Engines wird derweil von 2023 an von einem neuen Vorstandschef geführt. Reiner Winkler (61), seit 2014 Konzernchef, beendet sein bis September 2024 laufendes Mandat bereits Ende 2022 aus persönlichen Gründen. Zum Nachfolger hat der Aufsichtsrat des Münchner Herstellers von Flugzeugtriebwerken Lars Wagner (46) ernannt, der seit 2015 im Unternehmen und seit Anfang 2018 Technikvorstand ist. Bei der Deutschen Post wird Frank Appel (61) nur noch bis zur Hauptversammlung im Mai 2023 an der Spitze stehen. Er hatte den Konzern seit Februar 2008 geleitet und war damit der dienstälteste CEO im Dax. Sein Nachfolger wird Tobias Meyer (48), derzeit Leiter des Geschäftsbereichs Post Paket Deutschland.

Unterdessen wurden auch einige Verträge vorzeitig prolongiert. So soll Christian Kohlpaintner bis mindestens Ende 2025 Chef von Brenntag bleiben. Leonhard Birnbaum (55) soll Eon bis mindestens Mitte 2028 führen. Und der Aufsichtsrat von Covestro hat den Vorstandsvertrag von Markus Steilemann (52) vorzeitig um fünf Jahre bis Mai 2028 verlängert.

Auch in der Riege der Finanzvorstände wurde weitgehend auf Kontinuität gesetzt – mit einigen Ausnahmen. Größte Überraschung war der vorzeitige Abschied des langjährigen SAP-CFO Luka Mucic (50), der den Softwarekonzern Ende März 2023 verlässt. Nachfolger Dominik Asam (53) kommt von Airbus und tritt in Walldorf am 7. März 2023 an. Er hatte vor dem Wechsel zu Airbus acht Jahre lang das Finanzressort beim Halbleiterhersteller Infineon verantwortet. Brenntag ist bei der Suche nach einem Nachfolger für den im März 2022 scheidenden Finanzchef Georg Müller im Management der Lufthansa fündig geworden. Zum 1. April wechselte Kristin Neumann (50), die seit 2014 bei der Lufthansa Cateringtochter LSG als CFO und Arbeitsdirektorin verantwortlich ge­zeichnet hatte, zu dem Chemiedistributeur.

Dax-Neuling Zalando holte San­dra Dembeck (48) im März als CFO. Sie ist das erste Mitglied, das von außen zum Vorstand stößt. Der bisherige Finanzchef David Schröder ist seither COO und für das operative Geschäft zuständig. Damit holte Europas größte Online-Modeplattform nach Personalchefin Astrid Arndt die zweite Frau in den dann sechsköpfigen Vorstand. Bei der Porsche SE hat Johannes Lattwein (49) zum 1. Februar das Finanzressort übernommen. Der promovierte, aus Pforzheim stammende Manager ist ein Eigengewächs des Stuttgarter Dax-Mitglieds. Nach der Übernahme durch Vonovia erhielt der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen im Januar 2022 nicht nur eine neue Führungsspitze. Auch Olaf Weber, zuvor als Leiter Finanzen und Treasury bei Vonovia tätig, zog als CFO in den Deutsche-Wohnen-Vorstand ein. Sein Vorgänger Philip Grosse (52) wechselte gleichzeitig als Finanzvorstand zu Vonovia, blieb jedoch bis Ende März noch bei Deutsche Wohnen an Bord.