Logistik

Reeder basteln an Lieferketten

Immer häufiger steigen Reedereien bei Fluggesellschaften ein. Dahinter steckt der Wunsch der Schifffahrtsunternehmen, mehr Bereiche der weltweiten Lieferketten selbst abzudecken.

Reeder basteln an Lieferketten

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

Der vorläufig letzte Vorstoß zur Annäherung zwischen einer Reederei und einer Fluggesellschaft ist kürzlich gescheitert. Mediterranean Shipping Company (MSC) kommt bei der italienischen ITA Airways nicht zum Zuge, den Zuschlag erhielt der Finanzinvestor Certares. Der Rückschlag für die Reederei aus Genf ändert aber nichts daran, dass immer mehr Branchen-Unternehmen in Luftfahrt-Aktivitäten investieren. Und kleines Detail am Rande: Bei Certares bei dem ITA-Deal mit im Boot ist Air France-KLM und an dem Airline-Konzern ist seit neuestem der Schifffahrtsriese CMA CGM beteiligt – womit dann indirekt doch wieder eine Reederei bei der italienischen Fluggesellschaft zum Zuge kommt.

Mittel für Investitionen sind bei den drei größten Reedereien der Welt, Møller-Mærsk, MSC und CMA CGM, reichlich vorhanden. Das vor allem während der Corona-Pandemie florierende Logistikgeschäft hat den Schifffahrtsfirmen sprudelnde Gewinne beschert. Weil viele Konsumenten aufgrund von Corona-Einschränkungen ihr Geld nicht mehr für Reisen und andere Freizeitaktivitäten ausgeben konnten, wurde um­so mehr im Online-Handel bestellt. Viele der bestellten Waren werden auf Containerschiffen von Asien nach Europa und in die USA transportiert. Die explodierte Nachfrage ließ die Preise für Containertransporte in die Höhe schießen. So machten die Reedereien Profit wie nie zuvor – das Nettoergebnis von Møller-Mærsk beispielsweise versechsfachte sich 2021 im Vergleich zu 2020 auf fast 18 Mrd. Dollar, der freie Cashflow stieg von 4,5 auf 16,5 Mrd. Dollar. Deshalb diversifizieren Mærsk und Co. nun in andere Bereiche des Logistikgeschäfts, vom Lkw-Transport über die Lagerhaltung bis hin zur Entwicklung von Software für die Lieferkette. Und sie bauen vertikal integrierte Frachtunternehmen auf, bestehend aus den Lieferketten zu Lande, zu Wasser und in der Luft.

Nach zwei Jahren mit steigenden Gewinnen sind sich die Unternehmen aber auch bewusst, dass die hohen Seefrachtraten nicht ewig auf dem aktuellen Niveau bleiben werden. Zudem haben unter anderem die tagelange Blockade des Suezkanals durch das Frachtschiff Ever Given im März 2021 und die Sperrung vieler chinesischer Häfen im Zuge der Pandemie gezeigt, dass es eine gute Idee ist, sich breiter aufzustellen. Reedereien, die eigene Flugzeuge haben, verfügen in solchen Krisenfällen zumindest für die wichtigsten Lieferungen über eine Alternative. Und auch sonst ist es von Vorteil, den Kunden auch schnellere Transporte per Flugzeug anbieten zu können. Und zu guter Letzt ist Luftfracht derzeit ein lukratives Geschäft.

Ob indes mit der Annäherung zwischen Reedereien und Fluggesellschaften ein neuer Trend aufzieht in der Logistikbranche, darüber sind sich Experten uneinig. Gerade für die beiden bekanntesten durchgespielten Transaktionen – die inzwischen vollzogene zwischen CMA CGM und Air France-KLM und die gescheiterte zwischen MSC/Lufthansa und ITA Airways – gebe es ganz spezifische, vor allem politische Gründe, so die Einschätzung vieler. „Die Reedereien haben viel Geld, die Airlines wenig“, fasst es einer zusammen, der ungenannt bleiben will.

Im Falle von Air France-KLM ebenso wie im Falle ITA Airways habe die Politik seiner Einschätzung nach sicher großen Einfluss genommen, um die Reedereien als zahlungskräftige Investoren zu gewinnen. Dass dahinter tatsächlich das Streben der Reedereien nach mehr und besser planbarer Luftfrachtkapazität stecken könnte, ist zumindest fragwürdig. Denn die beiden Fluglinien besitzen keine (ITA) oder nur wenige (3, Air France-KLM) reine Frachtflugzeuge. Und nur diese bieten an den Bedürfnissen der Logistikbranche orientierte Flugpläne und Verbindungsnetze. Die Passagiermaschinen haben zwar in den Flugzeugbäuchen ebenfalls Platz für Fracht, allerdings sind sie oftmals zu (Urlaubs-)Zielen unterwegs, die für Reedereien und ihr Geschäft eher unattraktiv sind.

„Die Kassen der Reedereien sind prall gefüllt. Das Geld muss angelegt werden“, sagte der Logistik-Professor Jan Ninnemann kürzlich dem „Hamburger Abendblatt“. Da sei es nur logisch, dass die Reedereien perspektivisch andere Geschäftsfelder in den Blick nähmen und sich breiter aufstellen wollten. Die Experten des Schifffahrt-Branchendienstes Alphaliner erwarten indes kaum Synergien für die Reedereien, wenn sie ins Luftfrachtgeschäft einsteigen. „Dafür sind die Transportarten zu unterschiedlich.“ Denkbar sei aber, dass Reedereien einfach als Geldanlage in Fluggesellschaften und/oder Flugzeuge investierten.

Auch die strategischen Interessen, die CMA CGM mit seinem Investment in Air France-KLM verfolgt, dürften überschaubar sein. Dennoch sieht die im Mai bekannt gegebene Vereinbarung auch vor, dass die beiden Unternehmen den Platz an Bord ihrer Frachtflugzeuge gemeinsam nutzen; CMA CGM kann für die Fracht ihrer Kunden Platz in den Fliegern von Air France-KLM buchen und umgekehrt. CMA CGM nahm außerdem einen Platz im Aufsichtsrat von Air France-KLM ein und erwarb einen Anteil von 9 % an dem Unternehmen, wodurch der Schifffahrts-Riese zu einem der größten Aktionäre wurde.

Dagegen ist eine andere Investition der Reederei für das eigene Netz und die Abdeckung der Lieferketten bedeutender als Air France-KLM: CMA CGM unterhält seit Februar 2021 eine eigene Frachtfluglinie, deren Flugpläne und Verbindungsnetze sie an die eigenen Bedürfnisse und die ihrer Kunden anpassen kann.

Hapag winkt ab

Auch Konkurrent Mærsk war während der Pandemie auf Luftfracht-Einkaufstour. Die Reederei kaufte zwei neue 777-Frachter von Boeing und mietete drei 767-Frachter von der Frachtfluggesellschaft Air Transport Services Group, um ihre eigene Flotte von 15 Frachtflugzeugen zu erweitern. Und im November 2021 kaufte Mærsk Senator International, ein auf Luftfracht spezialisiertes Speditionsunternehmen. Wenige Monate danach gab Mærsk bekannt, dass es die Neuerwerbungen in einer Tochtergesellschaft mit dem Namen Maersk Air Cargo zusammenfassen wird. Ziel der Unternehmensleitung ist es, ein Drittel des an die Kunden verkauften Luftfrachtraums mit der eigenen Fluggesellschaft zu befördern und den Rest an andere Airlines und Charterunternehmen zu vergeben. „Senator ist beispielsweise ein wichtiger Transporteur für BMW“, sagt Experte Ninnemann. Der Automobilhersteller benötige für seine Produktion nicht nur Fahrzeugteile, die in Ruhe vier Wochen über das Meer schippern können, sondern auch Hightech-Teile, die innerhalb kürzester Zeit in der Produktion irgendwo auf der Welt verfügbar sein müssen. Insofern ergebe die Übernahme von Senator für Mærsk durchaus Sinn. Der Konzern könne mehr Wertschöpfung generieren.

Nichts wissen von der Fliegerei will indes die weltweit fünftgrößte Reederei, Hapag-Lloyd. Und dabei ist einer ihrer größten Aktionäre, Klaus-Michael Kühne, auch an der Lufthansa beteiligt (siehe unten stehenden Artikel). CEO Rolf Habben Jansen betont immer wieder, sein Unternehmen verfüge nicht über das Know-how, um eine Fluggesellschaft zu betreiben. Außerdem seien die Frachtfluggesellschaften der Reedereien zu klein, um mit Unternehmen wie Fedex und UPS zu konkurrieren, die Hunderte von Flugzeugen besitzen. „Wenn man sich die Größe der Luftfrachtbetriebe einiger Spediteure mit vier, sechs oder zehn Frachtflugzeugen ansieht, dann wird man nicht automatisch zu einem großen globalen Frachtunternehmen. Daher bleiben wir skeptisch“, so Habben Jansen.

Bisher erschienen:

Containerschifffahrt – Krisengewinner in der Pandemie (8. September)

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