Selbstfahrende Autos

Supercomputer auf vier Rädern

Die Elektrifizierung der Autoindustrie gelingt im Eiltempo. Doch die Transformation der Branche findet nicht nur unter der Motorhaube, sondern auch im Hirn der Fahrzeuge statt. Das selbstfahrende Auto rückt näher.

Supercomputer auf vier Rädern

Von Sebastian Schmid, Frankfurt

Fünf Jahre nach dem Diesel-Skandal haben batterieelektrisch angetriebene Autos die Nische verlassen und sind im Mainstream angekommen. Für Thomas Ulbrich, der im Vorstand der Marke Volkswagen die technische Entwicklung leitet, ist dieser erste Schritt der Transformation der Branche allerdings noch der einfachste. „Den Entwicklungssprung zu Elektromobilität haben wir bei Volkswagen erfolgreich gemeistert“, befand er diese Woche auf der Konferenz „Smart Data Car Data“ der Automobilwoche. Nun gehe es darum, das Fahrzeug zunehmend mit der Umwelt zu verschmelzen. Dies kann indes nur über deutlich mehr Software-Know-how gelingen. Die Fahrzeuge, die bislang primär ein paar schön anzusehende Infotainment-Fähigkeiten mitbringen, sollen dank deutlich leistungsfähigerer Chips und künstlicher Intelligenz (KI) zu Supercomputern auf vier Rädern werden.

Durchbruch 2030 erwartet

Die etwa zeitgleich zur Elektrifizierung verstärkten Bemühungen zum autonomen Fahren stecken derweil auch nach Jahren gefühlt noch in den Kinderschuhen. Und das liegt nicht daran, dass sich der seit Monaten bestehende Halbleitermangel bremsend auf die Ausbreitung ausgewirkt hat. Derzeit rechnet VW-Chef Herbert Diess damit, dass das vollautonome Fahren in Flotten und privaten Pkw erst Ende des Jahrzehnts breit verfügbar sein werden. Eine Studie von Guidehouse Insights rechnet damit, dass dann insgesamt 14 Millionen wirklich selbstfahrende Autos weltweit unterwegs sein werden. Das Gros davon im weltgrößten Automarkt China (siehe Grafik). Noch scheint die Zeit weit weg, in der man im Auto genauso bequem lesen kann wie in der Bahn oder im Flugzeug. Allerdings wäre das autonome Fahren auch nicht der erste Bereich der automobilen Transformation, der sich schneller entwickeln würde als zunächst vermutet. Die Elektrifizierung geht etwa deutlich schneller vonstatten, als die Autohersteller selbst vor ein bis zwei Jahren prognostiziert hatten.

Das ist nur ein weiterer Grund für die deutschen Autobauer BMW, Daimler und Volkswagen, die eigenen Entwicklungspläne noch schneller voranzutreiben. Für sie ist China der mit Abstand wichtigste Automarkt. Wenn sich selbstfahrende Autos dort am schnellsten durchsetzen, können sich die Unternehmen ein Zuwarten nicht leisten. Die Wettbewerber aus dem Reich der Mitte selbst, aber auch aus Japan, Korea und den USA drücken ebenfalls aufs Tempo.

Keine Alleingänge

Markenvorstand Ulbrich und Volkswagen-CEO Diess erklären zwar, dass der Anteil der Software in den Autos der Wolfsburger stetig wachsen wird. Ganz darauf verlassen, dass es die Cariad ge­nannte Softwaretochter des größten europäischen Autobauers allein wird richten können, will sich der Konzern indes wohl auch nicht. Im Rahmen einer umfangreichen Kooperation mit Wettbewerber Ford wurde vor gut zwei Jahren ein Milliardenbetrag in das auf die Entwicklung selbstfahrender Autos spezialisierte Start-up Argo AI investiert. Weitere führende Technologiepartner in dem Bereich sind die mehrheitlich zu General Motors gehörende Cruise, der Toyota-Partner Aurora, der sich Ubers Self-Driving-Sparte einverleibt hat und an die Börse strebt, die Google Tochter Waymo, die Stellantis, aber auch Daimler Trucks zu ihren Kunden zählt, sowie der Chipproduzent Nvidia, auf dessen KI-Plattform Nvidia Drive vor allem die Daimler-Tochter Mercedes ihre Hoffnungen setzt.

Das selbstfahrende Auto steht im Volkswagen-Konzern schon heute oben auf der Agenda, wie die Themensetzung für die VW-Vorabendveranstaltung zur diesjährigen Branchenmesse IAA zeigt. Herbert Diess und der Vorstand laden zu einem „Austausch rund um das Thema autonomes Fahren“. Mit dabei ist auch Bryan Salesky, Gründer und CEO des Technologie-Start-ups Argo AI, an dem Volkswagen und Ford beteiligt sind.

Roboter auf der Straße

Dass die vollautonome Zukunft nicht mehr ganz so weit entfernt ist, wie Diess und die meisten Marktbeobachter glauben, darf Salesky demnächst in den USA beweisen. Im Juli hat der Fahrdienstleister Lyft einen Vertrag mit Argo AI unterzeichnet. Bis zu 1000 Roboterautos der von Volkswagen mitfinanzierten Gesellschaft sollen in den nächsten fünf Jahren bei dem Uber-Rivalen zum Einsatz kommen. Lyft setzt allerdings angesichts der Unsicherheiten um die Technologie nicht alles auf eine Karte. In Las Vegas hat das Unternehmen bereits selbstfahrende Autos im Einsatz. Die Fahrzeuge dort wurden von Motional ausgestattet, ein Joint Venture des koranischen Autobauers Hyundai und des Autozulieferers Aptiv (vormals Delphi), das vielleicht nicht denselben Bekanntheitsgrad wie einige US-Gesellschaften aufweist, aber ebenfalls technologisch vorn dabei ist.

Die deutschen Autobauer haben sich derweil lange schwergetan, die passenden Partner und Strukturen für die Entwicklung vollautonomer Fahrzeuge zu finden. Erst im vergangenen Monat haben der Stuttgarter Automobilkonzern Daimler und der Zulieferer Bosch ihre Zusammenarbeit zur Entwicklung von Robotertaxis für beendet erklärt. Beide wollen die Entwicklung zwar eigenständig weiter vorantreiben. Die Zusammenarbeit, die schon länger unter keinem guten Stern stand, ist aber wohl endgültig vorbei. Mercedes hatte vor einigen Monaten die umfangreiche Kooperation mit dem kalifornischen Chipproduzenten Nvidia verkündet, die neben der Entwicklung einer zentralen Softwareplattform auch die Weiterentwicklung der autonomen Fahreigenschaften einschloss. Damit war für die Zusammenarbeit mit BMW im Prinzip kein Platz mehr.

Allerdings bedeutet der Wechsel zu Nvidia nicht, dass die Daimler-Tochter beim autonomen Fahren hinterherhinkt. Die neue S-Klasse und auch der vollelektrische Mercedes EQS können bereits autonomes Fahren nach Level 3, so der Gesetzgeber dies zulässt. Auf der Autobahn kann der Fahrer dank „Drive Pilot“ bei Stau oder zähflüssigem Verkehr bis zu einem Tempo von maximal 60 km/h dauerhaft die Hände vom Steuer nehmen und sich anderen Tätigkeiten wie etwa dem Beantworten von E-Mails widmen. Mercedes verspricht, dass das System auch unerwartete Verkehrssituationen erkennt, auswertet und bewältigen kann. Neben hochauflösenden Karten und Lidar-Sensoren zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung kommen auch Kameras zum Einsatz, mit denen der Fahrer überwacht wird, um sicherzustellen, dass er stets eingreifen kann und nicht etwa eingeschlafen ist. Der Drive Pilot soll so auch mehr Sicherheit bieten als Teslas Autopilot, der wegen mehrerer schwerer Unfälle immer wieder in die Kritik geraten ist. Behörden verschiedener Länder werfen CEO Elon Musk vor, mit dem System mehr zu versprechen, als es halten kann.

Weniger riskant als das Fahren in schwer berechenbaren Verkehrssituation ist das automatische Einparken. Daher lassen dies auch ohne Fahrer hinter dem Lenkrad mittlerweile unter anderem BMW, Kia und Mercedes in einigen Modellen zu. Hyundai und Tesla erlauben zudem automatische Spurwechsel, wenn der Fahrer den Blinker setzt.

Die meisten Experten erwarten auch in den kommenden Jahren eine schrittweise Weiterentwicklung der autonomen Fahreigenschaften durch die Hersteller. Gebremst wurde das Entwicklungstempo zuletzt durch die Coronakrise. So mussten einige Piloteinsätze im vergangenen Jahr pausieren und die Entwicklungsarbeit ging unter erschwerten Bedingungen weiter – überwiegend basierend auf Simulationen. Mittlerweile zieht das Tempo aber wieder an. Mehrere chinesische Unternehmen starteten öffentliche Robotaxi-Pilotprojekte in Städten wie Peking und Shanghai. Groß angelegte kommerzielle Einsätze, wie bei Ford oder Cruise geplant sind, werden voraussichtlich aber erst nächstes Jahr beginnen. Vom Erfolg solcher Projekte wird die Geschwindigkeit des weiteren Hochlaufs abhängen.

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