Fossile Energien

Welle von Klimaschutz-Prozessen rollt

Shell und Exxon sind nur die jüngsten Fälle: Immer öfter versuchen Umweltaktivisten und Investoren, die großen Öl- und Energiekonzerne vor Gericht oder in der Hauptversammlung zur Verantwortung zu ziehen für die Schäden, die deren CO2-Emissionen verursachen. Auch Regierungen müssen sich beim Klimaschutz immer häufiger von Richtern zur Ordnung rufen lassen. Rund 1000 Prozesse laufen.

Welle von Klimaschutz-Prozessen rollt

cru Frankfurt

Das Urteil eines Gerichts in Den Haag gegen Shell ist nur der jüngste Fall. Der Ölkonzern muss der Entscheidung zufolge den CO2-Ausstoß, den seine Produkte verursachen, schneller reduzieren als bisher geplant. Die Entscheidung, die von der Umweltorganisation Friends of the Earth herbeigeführt wurde, könnte zum Präzedenzfall auch für viele andere Konzerne in Europa werden, die internationale Klimaabkommen nicht ernst nehmen. Zunehmend sind es die Gerichte anstatt der Parlamente, die den Klimaschutz gegen die Interessen der auf fossilen Energien basierenden Industrien durchsetzen.

Zeitgleich mit dem Shell-Urteil hat erstmals ein aktivistischer Investor mit einem winzigen Anteil am Ölkonzern Exxon einen Sieg im Kampf um die Macht bei dem Ölgiganten errungen – und damit die wachsende Bedeutung des Klimawandels für Investoren signalisiert.

Der Hedgefonds Engine No. 1 hat gerade auf der Exxon-Hauptversammlung mindestens zwei Sitze im Aufsichtsrat gewonnen. Der bisher wenig bekannte Investor rückte im Dezember erstmals ins Rampenlicht, als er begann, Veränderungen bei Exxon zu fordern – darunter eine Diversifizierung des Geschäfts, die Anpassung der Managergehälter an die Interessen der Aktionäre und einen besseren Plan zur Bekämpfung der globalen Erwärmung. Auch bei anderen Unternehmen haben die Aktionäre in diesem Jahr bereits ihre Frustration über den Widerwillen der Führungskräfte gezeigt, sich strenge Umweltziele zu eigen zu machen. Am Tag der Exxon-Hauptversammlung wurde auch das Management von Chevron von den eigenen Aktionären gerügt, die für einen Vorschlag zur Reduzierung der Emissionen der Kunden des Unternehmens stimmten. Der US-Chemiekonzern DuPont de Nemours musste kürzlich ein 81%iges Votum gegen das Management bezüglich der Offenlegung von Plastikverschmutzungen hinnehmen, während ConocoPhillips eine Abstimmung über strengere Emissionsziele verlor.

Laut Michael Brellochs, Partner bei der Kanzlei Noerr, hat Shareholder Activism „durch ESG eine zusätzliche Dimension bekommen“. „Die Verpflichtung von institutionellen Investoren zur Berücksichtigung von ESG-Themen wird diese Entwicklung befördern.“ Großinvestoren arbeiteten zunehmend mit Hedgefonds zusammen, um ESG-Ziele bei großen Unternehmen durchzusetzen.

Pellworm ist betroffen …

Rund um den Erdball rollt parallel zu den Initiativen der Aktionäre eine ansteigende Welle von Klimawandel-Prozessen auf Unternehmen und Regierungen zu – auch in Deutschland: Die Ersten, die eine Klimaklage gegen die Bundesregierung eingereicht haben, waren 2018 die Familie Backsen auf Pellworm und ihre Mitkläger, darunter die Umweltverbände BUND und SFV sowie elf Einzelkläger. Zunächst scheiterten sie 2019 vor dem Verwaltungsgericht Berlin, dann kam der Erfolg: Jüngst hat das Bundesverfassungsgericht im Sinne der Generationengerechtigkeit die Bundesregierung zu einer Nachschärfung ihrer Klimaziele im Klimaschutzgesetz gezwungen.

Auch deutsche Unternehmen trifft es: Das Oberlandesgericht Hamm hat den Fall eines Kleinbauern aus Peru, der seit 2015 gegen RWE klagt, weil die Emissionen des Energiekonzerns einen Gletschersee oberhalb seines Hauses überlaufen lassen, zugelassen und im September 2018 die Beweisaufnahme durch die Bestellung von Gutachtern gestartet. Das Gericht stellte klar, dass Klimaschäden grundsätzlich Unternehmenshaftung begründen können. Der nächste Schritt für das Gericht wäre ein Ortstermin in den Anden. Den vereitelte bisher das Coronavirus.

In den USA hoffen derweil Aktivisten, dass Ölkonzerne vor Gericht zu Vergleichen gezwungen werden, die mit einem Umfang von hunderten Milliarden Dollar denen in der Tabakindustrie gleichen. In den vergangenen Jahren haben Städte, Counties und Bundesstaaten wie Rhode Island Konzerne wie Exxon auf Schadenersatz für diverse mit dem Klimawandel zusammenhängende Schäden verklagt.

Die Stadt Baltimore verlangt beispielsweise Ausgleichszahlungen für die Nachrüstung von Regenabläufen, um sich gegen schlimmer werdende Stürme zu wappnen. San Francisco macht geltend, es werde 5 Mrd. Dollar kosten, den Damm der Stadt gegen höhere Wasserpegel zu rüsten. Rhode Island sieht küstennahe Immobilien und Grundstücke im Wert von 3,6 Mrd. Dollar in Gefahr.

… aber Langeoog wohl nicht

Eine Datenbank des Sabin Center for Climate Change Law und der Columbia Law School zählt allein in den USA rund 900 Klimaklagen seit 1986, im Rest der Welt mehr als 250. So verklagten beispielsweise – in zweiter Instanz erfolglos – zehn Familien, darunter eine von der Nordseeinsel Langeoog, die Europäische Union, weil sie vom Klimawandel betroffen seien und darin ihre Grundrechte verletzt sehen. Der Europäische Gerichtshof urteilte, die Kläger müssten unmittelbar von dem fraglichen EU-Gesetz betroffen sein. Das sei nicht der Fall – und die Klage sei deshalb nicht zulässig.

Nach Angaben der Kanzlei White&Case handelt es sich um weltweit rund 1000 Rechtsstreitigkeiten, bei denen Schäden aus dem Klimawandel oder Verstöße gegen den Pariser Klimavertrag oder gegen die Menschenrechte von Einzelpersonen, Stiftungen oder Nichtregierungsorganisationen in teils spektakulären Verfahren gegenüber Ölkonzernen oder Stromversorgern und Regierungen eingeklagt werden.

Am erfolgreichsten agierten bisher Klimaschützer in den Niederlanden. In der vielzitierten Klage der Urgenda-Stiftung gegen den niederländischen Staat akzeptierte das Gericht in Den Haag die Ansprüche von hunderten Bürgern und der Urgenda-Stiftung, dass die Regierung gemäß der Verfassung des Landes die Pflicht habe, die Bürger vor dem Klimawandel zu beschützen, und dafür die Emissionen bis 2020 um 25% reduzieren musste.

Die Regierung ging gegen das Urteil in Berufung, aber am 9. Oktober 2018 erging ein Urteil des Obersten Gerichtshofes der Niederlande, der das erste Urteil aus dem Jahr 2015 bestätigte, dem zufolge der Staat ungesetzmäßig handele, insofern er mit einer zu wenig ehrgeizigen Emissionsreduktion gegen die Artikel 2 und 8 der europäischen Menschenrechtskonvention verstoße. Das Gerichtsverfahren gilt als erstes erfolgreiches Verfahren von Klimaschützern gegen einen Staat.

2018 erkannte auch erstmals ein irisches Gericht an, dass es ein „Recht auf eine Umwelt gebe, die im Einklang mit der Menschenwürde“ stehe. Das war eine Reaktion auf eine Klage der Organisation „Friends of the Irish Environment“, die nun auch ehrgeizigeren Klimaschutz bei der Regierung in Dublin einklagt.

In der Schweiz klagen die „Klimaseniorinnen“ mit Greenpeace gegen die Regierung, weil es ihnen zu heiß wird. Sie fürchten, früher krank zu werden oder früher zu sterben. Die Frauen klagen auf strengere CO2-Maßnahmen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.