Jungheinrich will sich globaler aufstellen
Im Interview: Volker Hues
Jungheinrich stellt sich globaler auf
Der Finanzchef des Gabelstaplerherstellers über neue Ziele bis 2030, Pläne für mehr Wachstum außerhalb Europas und für den Einstieg in den Mid-Tech-Markt
Jungheinrich hat am Mittwoch Erstquartalszahlen veröffentlicht, die besser ausfielen als erwartet, und die Prognose für 2025 bekräftigt. Zugleich kennen Anleger nun die neue mittelfristige Ausrichtung des Staplerherstellers. Volker Hues, CFO des MDax-Unternehmens, erläutert die Pläne der Strategie „2030+“.
Herr Hues, Sie haben Anleger mit neuen Wachstums- und Ergebniszielen bis 2030 überrascht. Die Vorgaben sind ambitionierter als erwartet, wie der Kursanstieg am Mittwoch um in der Spitze 7,3% gezeigt hat. Wie begründen Sie Ihre Zuversicht?
Wir gehen davon aus, dass sich die Intralogistikmärkte mittelfristig positiv entwickeln werden. Zugleich wollen mit einem durchschnittlichen Wachstum von 10,8% das erwartete Marktwachstum der nächsten Jahre übertreffen. Von 2014 bis 2024 haben wir durchschnittlich um 8% auf 5,4 Mrd. Euro zugelegt. Bis 2030 nehmen wir uns einen Umsatz von 10 Mrd. Euro vor.
Wie soll das gelingen?
Wir wollen uns deutlich globaler aufstellen. Derzeit erwirtschaftet Jungheinrich gut 80% der Umsatzerlöse in Europa und weniger als 20% außerhalb Europas. Im vergangenen Jahr trugen Nord- und Südamerika mit rund 10% und Asien-Pazifik mit etwa 7% zum Konzernumsatz bei. Mit der Strategie 2030+ verbinden wir das Ziel, mehr als 30% der Erlöse außerhalb Europas zu erwirtschaften.
Welche Perspektiven sehen Sie in Nordamerika und in Asien-Pazifik?
Nordamerika und die Region Asien-Pazifik sehen wir als strategische Wachstumsregionen an, in denen wir deutlich über dem jeweiligen Marktdurchschnitt wachsen wollen. Nordamerika soll neben Europa zweiter Kernmarkt für Jungheinrich werden. In der Region Asien-Pazifik wollen wir ein führender Intralogistikanbieter sein. Zwischen 2024 und 2030 erwarten wir in Nordamerika ein durchschnittliches Marktwachstum bei Flurförderzeugen von 5%, bei Automatisierung und Lagereinrichtungen von 8%. Im Raum Asien-Pazifik sollten die Märkte um 5 bzw. 7% zulegen. Dabei sehen wir durch zahlreiche Initiativen wie der Ausweitung unseres Produktangebots gute Chancen, mit zweistelligen Raten stärker zuzulegen als die jeweiligen Märkte, vor allem im Bereich Lagerautomatisierung.
Zu den fünf wichtigsten Ländern für Jungheinrich nach Umsatz gehören Deutschland und die USA. Deutschland steckt in einer Konjunkturkrise, die USA erschweren Investitionsentscheidungen mit einer erratischen Handelspolitik.
Jungheinrich ist, was die Kundenstruktur angeht, vor allem in Bereichen wie Lebensmittel und Logistik tätig, die sehr resilient sind. In konjunkturanfälligen Bereichen wie der Autoindustrie sind wir nicht stark engagiert. Deshalb blicken wir nicht so skeptisch auf die Aussichten im deutschen Markt. Ferner hat sich die neue Bundesregierung viel vorgenommen , um die Wirtschaft in Deutschland mittelfristig zu stimulieren.
Und die Perspektiven in den USA?
Was die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump angeht, lässt sich feststellen, dass Jungheinrich insbesondere im Staplergeschäft in den USA bislang ein relativ kleiner Marktteilnehmer ist. Die zusätzlichen Zölle werden sich für Jungheinrich nur in geringem Umfang auswirken. Im Bereich Lagerautomatisierung sind wir mit der 2023 erworbenen Storage Solutions in den USA präsent. Wir kaufen aber dort direkt für den US-Markt ein und sind von den Importzöllen nicht betroffen. Sollte das Ziel der US-Regierung aufgehen und aufgrund der Zölle mehr Produktion in die USA zurückverlagert werden,, dann würde das den Markt für Intralogistik und auch für Automatisierung in den USA in den kommenden Jahren deutlich stärken. Wir sehen im sehr großen US-Markt losgelöst von der Handelspolitik große Wachstumsmöglichkeiten mit entsprechendem Potenzial.
Wie sieht es in Asien aus?
Jenseits von China, dessen Markt für ausländische Anbieter derzeit schwierig ist, gibt es in Asien viele andere sehr interessante große Märkte. Indien etwa, wo wir unsere Vertriebseinheit von Mumbai aus führen, wächst stark, stärker als China. Diese Märkte bieten für uns attraktive Wachstumschancen, auch weil wir dort bislang noch relativ klein sind.
Zur Person: Volker Hues
Seit seinem Wechsel zu Jungheinrich im Jahr 2009 ist Volker Hues Finanzvorstand des MDax-Unternehmens. Bis zum Ende seines im Mai 2023 verlängerten Vorstandsmandats im Jahr 2027 wird der 61 Jahre alte promovierte Diplom-Ökonom die Verantwortung für das Finanzressort an Heike Wulff übergeben, die seit Mai 2024 als Designated CFO im Vorstand für die Bereiche Controlling, Accounting und Steuern zuständig ist. Hues ist derzeit für Investor Relations, M&A, Finanzierung, IT sowie Einkauf verantwortlich.
Wie wollen Sie denn bis 2030 den Umsatzanteil im Geschäft außerhalb Europas von 18 auf 30% steigern?
Das ist über organisches Wachstum allein nicht zu erreichen. „Truly global“ zu werden, wird sich nur durch M&A-Transaktionen realisieren lassen. Das Umsatzziel von 10 Mrd. Euro bis 2030 beruht auf organischem Wachstum. Darüber hinaus streben wir einen zusätzlichen Umsatz von mehr als 1 Mrd. Euro außerhalb Europas durch Zukäufe und Beteiligungen an, insbesondere im Bereich Automation.
Wie soll das finanziert werden?
Jungheinrich ist finanziell sehr solide aufgestellt. Wir verfügen über ausreichend „firepower“, um die Übernahme eines Unternehmens mit einem Umsatz von 1 Mrd. Euro zu realisieren, ohne unsere Bonität zu verschlechtern. Wir wollen unseren Verschuldungsgrad nicht – allenfalls in der Spitze einmal leicht – über das 1,5-Fache der Nettoverschuldung gemessen am operativen Ergebnis vor Abschreibungen (Ebitda) anwachsen lassen. Wir haben vor fünf Jahren eine M&A-Abteilung aufgebaut, die mit Arculus, Magazino und Storage Solutions mittlerweile drei Transaktionen realisiert hat. Wir stehen im intensiven Austausch mit Investmentbanken und sind zuversichtlich, dass uns in den kommenden zwei bis drei Jahren eine größere Transaktion in den USA oder in Asien gelingen wird.
Welche Finanzierungsinstrumente werden Sie bei Transaktionen nutzen?
Wir haben 2024 einen freien Cashflow von über 400 Mill. Euro erwirtschaftet. Wir verfügen über eine enorme Innenfinanzierungskraft im Konzern, die vor allem auf unserem Segment Finanzdienstleistungen basiert. Für das laufende Jahr stellen wir erneut einen freien Cashflow über 300 Mill. Euro in Aussicht. Zudem haben wir kürzlich die Konzernfinanzierung neu aufgestellt. Wir haben eine syndizierte Kreditlinie mit einem Finanzierungsrahmen von 400 Mill. Euro und weiteren 200 Mill. Euro etabliert. Diese Kreditlinie ist gut skalierbar. Wir können relativ schnell weitere Banken in das Syndikat aufnehmen, um ein höheres Finanzierungsvolumen umzusetzen. Mit unseren Finanzierungsoptionen sind auf größere Transaktionen gut vorbereitet. Und unsere Bilanz gibt uns den Raum, das anvisierte Wachstum bis 2030 umzusetzen, ohne größere Risiken einzugehen.
Ändert sich die Dividendenpolitik?
Es bleibt beim Ziel einer jährlichen Ausschüttungsquote von 25 bis 30%.
Zurück zur strategischen Ausrichtung: Sie wollen das Wachstum auch durch Portfolioerweiterung forcieren. Wie genau?
Wir wollen ein neues Mid-Tech-Portfolio einführen. Wir sind in Europa im High-Performance-Segment sehr wettbewerbsfähig. Hier geht es um Applikationen, die an allen Wochentagen rund um die Uhr im Einsatz sind. Es gibt aber auch Applikationen für Kunden, wo die Anforderung 24/7 nicht gefragt ist.
Der Mid-Tech-Markt ist ein Wachstumsmarkt, in dem es um kostengünstigere Einstiegsfahrzeuge geht und in dem aufstrebende Anbieter aus China kräftig mitmischen. Es geht auch um die Absicherung Ihrer Position im Wettbewerb.
Anbieter aus China mischen inzwischen in diesem Segment mit Flurförderzeugen mit, die technologisch wettbewerbsfähig und preislich attraktiv sind. Um als europäischer Hersteller langfristig konkurrenzfähig zu sein, haben wir uns für eine Partnerschaft mit EP Equipment entschieden. Wir kennen diese 1993 von John He gegründete Firma, die inzwischen fast auf einen Milliardenumsatz kommt und unlängst an die Börse gegangen ist, seit vielen Jahren. EP wird Jungheinrich ab diesem Jahr mit Mid-Tech-Flurförderzeugen beliefern. Wir werden Produkte für den Mid-Tech-Markt nicht nur in Europa, sondern auch in Asien und in einem dritten Schritt in den USA anbieten.
Weshalb der Partner EP Equipment?
John He verfolgt das gleiche Ziel wie Jungheinrich, die Lithium-Ionen-Technologie bei Flurförderzeugen voranzubringen und nachhaltige Produkte anzubieten. EP hat höchst moderne Produktionsstätten in Asien aufgebaut, die wir kennen. EP ist leistungsstark. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit dem Partner in diesem Segment durch die Portfolioerweiterung unseren Kunden die richtigen Fahrzeuge für die richtigen Applikationen anbieten können. Wir freuen uns auf die Partnerschaft mit EP, die unsere Wettbewerbsposition in und außerhalb Europas stärken wird.
Wird die Kooperation auch durch eine Kapitalbeteiligung unterlegt?
Wir starten zunächst mit der Kooperation in verschiedenen Produktklassen. Dafür werden wir mit der neuen Marke „AntOn by Jungheinrich“ im Markt auftreten. Beide Seiten haben Interesse bekundet, die Partnerschaft auszuweiten. Wie sich die Kooperation konkret entwickeln wird, werden wir gemeinsam gestalten. Wir legen jetzt erst einmal mit den neuen Produkten los.
Welche Umsätze haben Sie im schnell wachsenden Mid-Tech-Segment im Blick?
Es ist zu früh, darüber zu sprechen. Klar ist: Wir erwarten einen Umsatzbeitrag bis 2030. Wesentlich ist, dass wir mit den Produkten in verschiedenen Marktregionen vertreten sind und uns im Wettbewerb durchsetzen können. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen wird, weil wir mit unserem Gesamtportfolio deutlich breiter aufgestellt sind, auch mit Blick auf das Wachstumssegment der Automatisierung.
Der Bereich Automatisierung ist ein strategisches Wachstumsfeld für Jungheinrich. Wie sieht der weitere Weg aus?
Wir wollen 2030 zu den weltweit führenden Unternehmen im Bereich Automatisierung gehören. Wir erwarten in dem Bereich ein Wachstum im zweistelligen Prozentbereich in den kommenden Jahren. Das sehen externe Institute ähnlich. Die Lagerautomatisierung wird durch bessere Softwaretechnologie zunehmend einfacher. Zugleich macht sich inzwischen überall auf der Welt der Arbeitskräftemangel auch in den Lägern bemerkbar. Insofern ist von einem nachhaltigen Wachstum im Bereich Automatisierung auszugehen. Der Ausbau unserer Aktivitäten in dem Bereich ist ein wesentlicher Bestandteil der neuen Strategie, auch mit Blick auf den Umsatz- und Ergebnisbeitrag.
Deshalb haben Sie 2024 auch ein eigenes Vorstandsressort geschaffen, das seit Februar aber interimistisch durch Ihren Vorstandsvorsitzenden geleitet wird. Welchen Umsatz- und Ergebnisbeitrag soll der Bereich liefern?
Dazu werden wir uns äußern, wenn ein neues Vorstandsmitglied für das Ressort gefunden ist. Sie können davon ausgehen, dass wir voraussichtlich Mitte 2026 sehr transparent über ein eigenes Segment Automation berichten werden. Bis dahin bitte ich noch um Geduld.
Jungheinrich strebt mit der neuen Ausrichtung bis 2030 eine operative Marge von 10% an, was einem Betriebsergebnis von 1 Mrd. Euro entsprechen würde. 2024 lagen Sie bei 434 Mill. Euro bzw. 8,1%. Wie wollen Sie die Verbesserung erreichen?
Wir setzen auf Transformationsinitiativen, auf Volumenwachstum und den Produktmix. Bei der Transformation geht es neben der Aufstellung in der Verwaltung auch um die Aufstellung in der Produktion. Wir müssen aber im Wettbewerb mit Anbietern aus China und den USA bestehen können. Unsere Position im internationalen Wettbewerb können wir nicht mehr nur über Produkte, sondern müssen sie auch über schlankere interne Prozesse sicherstellen. Dafür müssen wir unsere Produktivität deutlich erhöhen.
Heißt das konkret, dass Jungheinrich bestimmte Standorte und Aktivitäten in Deutschland schließen oder ins Ausland verlagern und Personal in Deutschland abbauen wird?
Klar ist: Es braucht Veränderungen. Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit von Jungheinrich stabilisieren und nachhaltig verbessern, nicht nur um die angestrebten Wachstumsraten und Zielrenditen zu realisieren, sondern auch um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Dafür prüfen wir unterschiedliche Optionen.
Das Interview führte Carsten Steevens. Den vollständigen Text lesen Sie unter www.boersen-zeitung.de