Diana Biggs und Jean-Marie Mognetti

„Die Regulierung muss adaptiv sein“

Die Blockchain-Branche wehrt sich mit Nachdruck gegen aktuelle Regulierungsvorstöße des EU-Parlaments. Die geplanten Vorschriften gefährdeten das Innovationstempo und die Cybersicherheit in Europa.

„Die Regulierung muss adaptiv sein“

Von Alex Wehnert, Frankfurt

In der Blockchain-Branche stoßen neue Vorschläge des Europäischen Parlaments zur Kryptoregulierung auf Widerstand. Nun hat sich eine Initiative aus 46 Unternehmen mit einem offenen Brief an die Finanzminister der Staatengemeinschaft ge­wandt. In dem Schreiben warnen die Branchenvertreter davor, dass derzeit diskutierte verschärfte Offenlegungspflichten bei Kryptotransaktionen „die digitale Innovation, das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa“ gefährden könnten.

„Mit unserem Brief geht es uns nicht darum, die Konfrontation mit dem Europäischen Parlament zu suchen, sondern einen Dialog zum Regulierungsprozess anzustoßen und die Türen für eine zukünftige Interaktion zwischen den EU-Regulatoren und der Kryptobranche zu öffnen“, sagt Diana Biggs, Chief Strategy Officer von DeFi Technologies und Initiatorin des Briefes, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Differenzierung notwendig

„Es war uns wichtig, dass wir als Branchenvertreter geschlossen Einfluss auf den Regulierungsprozess nehmen, bevor etwas Irreversibles geschieht“, betont Jean-Marie Mognet­ti, CEO der Digital-Asset-Investmentfirma Coinshares, gegenüber der Börsen-Zeitung. „Nun sind wir schon spät im Prozess und müssen deshalb mit Nachdruck vorgehen, um auf eine differenziertere und praktikablere Regulierung hinzuwirken.“

Im Mittelpunkt stehen dabei Änderungen am Entwurf zur Revision der „Transfer of Funds“-Richtlinie. Denn das EU-Parlament will Kryptodienstleister dazu verpflichten, bei Transaktionen mit sogenannten Unhosted Wallets – also digitalen Konten, die unabhängig von regulierten Kryptobörsen betrieben werden – die Besitzer zu identifizieren und deren Daten zu speichern. Zudem sollen die Service-Anbieter künftig alle Transaktionen ab 1000 Euro an die Aufsichtsbehörden melden müssen. Damit würde die EU die „Travel Rule“ der internationalen Anti-Geldwäsche-Institution Financial Action Task Force in einer verschärften Form auf Kryptoassets anwenden.

Doch dies würde Interaktionen im sogenannten Web3 „für EU-Bürger übermäßig beschwerlich machen sowie die Annahme und Entwicklung dieses gerade entstehenden, aber stark wachsenden Wirtschaftssegments behindern“, heißt es in dem Schreiben der Krypto-Initiative. Der Begriff Web3 bezeichnet eine neue Generation des Internets auf Blockchain-Basis, das Konzepte wie das dezentrale Finanzwesen (DeFi) und eine tokenisierte Wirtschaft einschließt. Branchenvertreter führen an, dass das Grundprinzip von DeFi ausgehebelt würde, wenn zur Identifikation der Wallet-Besitzer bei Transaktionen zentrale Instanzen zwischengeschaltet würden.

Auf den in der vergangenen Woche versandten Brief hat es laut den Initiatoren bereits einige ermutigende Rückmeldungen gegeben. „Die EU und die Regulierungen vieler Mitgliedstaaten streben danach, europäische Technologietrends zu kreieren, was lobenswert ist“, sagt Mognetti. Dieses Ziel solle nicht durch eine unmäßige oder dem Zweck unangemessene Regulierung gefährdet werden. Denn durch eine solche entstünde „ein langfristiger Bias von Unternehmern gegen ein Engagement in der Europäischen Union“, argumentiert der Coin­shares-Chef.

„Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit der EU im globalen Vergleich sicherstellen und die Voraussetzungen für ein Wachstum der europäischen Tech-Branche erhalten“, sagt Biggs. „Die „Travel Rule“ sollte in der EU daher so konsistent zur Anwendung kommen, wie es auch in anderen Ländern der Fall ist.“

Hinzu komme, dass die Vorschläge aus dem EU-Parlament über den Standard hinausgingen, der von der traditionellen Finanzbranche verlangt würde. „Eine solche Regulierung wäre nicht technologieneutral und gründet auf einer falschen Auffassung der Ziele der Blockchain-Branche“, unterstreicht Biggs. „Wir halten uns beim Onboarding neuer Kunden zum Beispiel an die gleichen Know-Your-Customer-Auflagen, die auch für das analoge Finanzwesen gelten.“ Blockchain sei überdies in Bezug auf die Vermeidung illegaler Zahlungsströme bereits eine sehr sichere Technologie. „Schließlich ist die gesamte Transaktionsdatenbank öffentlich einsehbar.“ Kryptodienstleister darüber hinaus zu einer Sammlung von Transaktions- und Nutzerdaten zu zwingen eröffne hingegen sogar neue Risiken.

Cybersicherheit gefährdet

„Aufgrund der transparenten Natur öffentlicher Blockchains ließen sich einzelne Transaktionen und sogar das in einzelnen Wallets enthaltene Vermögen genau zuordnen“, sagt Mognetti. „Dabei ist es doch im traditionellen Bankwesen unvorstellbar, dass andere Kunden oder Teilnehmer am Zahlungssystem wissen, wie hoch der Kontostand eines Individuums ausfällt oder wie sich seine Einnahmen und Ausgaben verteilen.“ Eine Erfassung von Nutzerdaten bei Transaktionen mit Unhosted Wallets verletze also die Privatsphäre und verursache erhebliche Sicherheitslücken. „Schließlich können Kriminelle lohnende Ziele und Angriffspunkte für Cyberattacken so viel leichter ausfindig machen“, betont der Coinshares-CEO.

Den Unterzeichnern des Briefes ist nach eigener Aussage bewusst, dass das Innovationstempo im Blockchain-Segment die Regulierung erschwert. Viele Vorschriften, denen sich die Finanzbranche heute gegenübersehe, seien indes vor langer Zeit verfasst worden. „Im traditionellen Finanzwesen ist die Entwicklung statisch, im DeFi-Bereich ist sie dagegen technologiegetrieben und schreitet somit viel schneller voran“, sagt Mo­gnetti. „Gerade deshalb muss die Regulierung aber adaptiv sein und auf empirischen Erhebungen basieren“, fordert der Coinshares-Chef. „Es ist sehr schwierig, die Kapazitäten und das Potenzial im DeFi-Bereich zu erfassen, ohne eigene Erfahrungen darin gemacht zu haben.“

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