Zeitenwende

Finanzmärkte in neuer Ära

Die globalen Finanzmärkte sind einem gewaltigen Umbruch ihres Umfelds ausgesetzt. Für Anleger gehen damit erhebliche Herausforderungen einher.

Finanzmärkte in neuer Ära

Von einer „Zeitenwende“ hat Bundeskanzler Olaf Scholz gesprochen und damit die tiefgreifenden weltpolitischen Veränderungen beschrieben, die von dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ausgehen. Auch die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte erleben einen grundlegenden Umbruch, und damit gehen erhebliche Herausforderungen für die Anleger einher. Markt­kommentare aus der Finanzbranche reflektieren das deutlich. Goldman Sachs sieht die Welt am Beginn eines „Postmodern Cycle“, Degroof Petercam Asset Management spricht von einem „Zeitalter des Pragmatismus“, HSBC Asset Management erkennt einen „Strukturbruch“ und sieht die Kapitalmärkte „am Beginn einer neuen Zeit“.

Indes ist der Blick nicht nur auf den furchtbaren Krieg in der Ukraine zu richten. Denn in vielerlei Hinsicht verstärkt, verlängert und zementiert er Veränderungen, die bereits vor seinem Ausbruch im Gange waren. Das gilt etwa für den Deglobalisierungstrend. Er begann bereits im zurückliegenden Jahrzehnt unter anderem mit protektionistischen Tendenzen, die mit den Strafzöllen der USA unter der Präsidentschaft von Donald Trump gegen China, aber auch gegen Verbündete der Vereinigten Staaten ihren Höhepunkt fanden. Es folgten die von der Pandemie ausgelösten Verwerfungen in den globalen Wertschöpfungsketten, die mit dem Krieg, aber auch den neuen Corona-Ausbrüchen in China länger erhalten bleiben als noch vor wenigen Monaten gedacht. Dies wird neben weiteren Konsequenzen eine Repatriierung und Regionalisierung von Produktion und eine verstärkte Bevorratung von Vorprodukten zur Aufrechterhaltung der Produktion zur Folge haben und damit über höhere Kosten inflationär wirken.

Auch für den maßgeblich von den Rohstoffpreisen ausgehenden starken Inflationsdruck gilt: Der Ukraine-Krieg ist ein, wenn auch erheblicher, Verstärker eines bereits zuvor bestehenden Trends. Energierohstoffe, aber auch andere Produkte wie Weizen wurden schon zuvor knapp und deutlich teurer. Im Ergebnis stehen heute die höchsten Teuerungsraten seit Jahrzehnten. Das ist samt den damit verbundenen Folgen wohl der gravierendste Einschnitt. Es ist noch nicht lange her, dass eine Deflation in Europa als eines der größten Risiken galt und über eine drohende „Japanisierung“ diskutiert wurde. Nun sehen sich die Anleger mit dem Gegenteil konfrontiert.

Vor allem aber auch die Notenbanken wurden auf dem falschen Fuß erwischt und befinden sich nun „hinter der Kurve“. Sie müssen nun, auch wenn die konjunkturellen Folgen schmerzlich sein könnten, die Inflation mit einer scharfen geldpolitischen Kehrtwende in den Griff bekommen. Aus Sicht der Finanzmärkte ist dies die schwerwiegendste Veränderung. Die Tage rekordniedriger – und zum Teil negativer – Zinsen und Anleiherenditen sind gezählt. Damit ist auch der in den 80er Jahren begonnene Anleihen-Bullenmarkt, der maßgeblich zu den starken Kursanstiegen und Bewertungsausdehnungen an den Aktienmärkten beigetragen hat, beendet. Auch können sich die Anleger nicht mehr wie seit der großen Finanzkrise darauf verlassen, dass die Zentralbanken die Kastanien aus dem Feuer holen werden, sobald es ungemütlich ist. Höhere Volatilität ist damit vorgezeichnet.

Zunächst besteht durchaus die Chance, dass sich im Laufe der kommenden Quartale die Lage beruhigen wird. Auslöser könnten ein Rückgang der Inflationsraten von den aktuell sehr hohen Niveaus und nachlassende Zinssorgen – Stichworte sind hier „Peak Inflation“ und „Peak Hawkishness“ – sein, ebenso, hoffentlich, Anzeichen für ein Ende des Krieges in der Ukra­ine. Damit würde eine Gegenbewegung an den Aktienmärkten folgen, die nachhaltiger wäre als die Bärenmarkt-Rallys der zurückliegenden Monate.

Aus langfristiger Sicht müssen sich die Anleger wohl auf ein Umfeld einstellen, das unter anderem von höherer Inflation und höheren Zinsen, verstärkter Ressourcenknappheit sowie stärkerem Kostendruck und niedrigeren Margen bei den Unternehmen und geringerem Bewertungspotenzial für Aktien gekennzeichnet sein wird. Auch unter diesen Umständen wird es zwar Chancen geben, die etwa mit aktivem Management und Investitionen in strukturelle Wachstumsthemen realisiert werden können. Insgesamt gesehen wird Anlegen jedoch deutlich schwieriger werden als in den zurückliegenden Jahrzehnten. Letztlich müssen sich die Investoren in Zukunft wohl mit im Vergleich zur Vergangenheit niedrigeren realen Anlageerträgen begnügen.

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