Im BlickfeldSchwere Risiken im Finanzsektor

Erfolgstrunkenen US-Bankern droht der Kater

Kurz vor dem Start der Berichtssaison zum zweiten Quartal läuft sich die Wall Street zu einer rauschenden Party warm. Doch Risiken aus wenig beachteten Bereichen drohen die Stimmung schnell wieder zu trüben.

Erfolgstrunkenen US-Bankern droht der Kater

Im Blickfeld

Erfolgstrunkenen US-Bankern droht der Kater

Kurz vor dem Start der Berichtssaison zum zweiten Quartal läuft sich die Wall Street zu einer rauschenden Party warm. Doch Risiken aus wenig beachteten Bereichen drohen die Stimmung schnell wieder zu trüben.

Von Alex Wehnert, New York

In Manhattans Bankentürmen herrscht kurz vor Beginn der Berichtssaison zum zweiten Quartal gefährlich ausgelassene Stimmung. Denn trotz anhaltender Unsicherheit um den handelspolitischen Kurs Washingtons und den Auswirkungen von Strafzöllen auf die Inflationsentwicklung brummt das Geschäft an der Wall Street wieder. Der S&P 500 hat sich seit den „Liberation Day“-Turbulenzen von Anfang April um über 25% befestigt, und Häuser um Bank of America heben die Kursziele für die Blue-Chip-Benchmark deutlich an. Auf dieser Welle haben sich zuletzt Unternehmen wie der Stablecoin-Anbieter Circle Internet, das Raumfahrtunternehmen Voyager Technologies und der Mobile-Banking-Dienstleister Chime Financial an die Börse spülen lassen und dort starke Debüts hingelegt.

John Waldron ist Präsident und Chief Operating Officer von Goldman Sachs.
John Waldron ist Präsident und Chief Operating Officer von Goldman Sachs.
Samuel Corum/Bloomberg

Spitzenkräfte im New Yorker Finanzsektor gehen davon aus, dass sich das Kapitalmarktgeschäft im zweiten Halbjahr weiter belebt. „Wir rechnen mit viel Aktivität im Herbst“, sagte John Waldron, Präsident und Chief Operating Officer von Goldman Sachs, Anfang Juli vor Medienvertretern in New York. Das Investoreninteresse an IPOs habe zugenommen, was eine stärkere Bepreisung ermögliche. Zugleich öffne sich der M&A-Markt wieder, insbesondere für Deals mit einem Volumen ab 500 Mill. Dollar aufwärts. Denn Unternehmen strebten wieder nachdrücklicher nach Skaleneffekten, um in einer Ära rasanten technologischen Wandels nicht den Anschluss zu verlieren.

Beschränkungen fallen weg

Die Wall Street hat den Sekt für eine krachende Party also kaltgestellt – und in einigen Bankentürmen knallen schon die Korken. So versammelte sich Anfang Juni vor einem Eckbüro in 30 Hudson Yards, einem der größten Wolkenkratzer auf der Westseite Manhattans, die Führungsriege von Well Fargo. Dort prosteten sich CEO Charlie Scharf und andere Spitzenkräfte des Geldhauses zu, weil die Federal Reserve nach sieben Jahren eine strenge Deckelung der Assets des skandalgeplagten Finanzinstituts aufhob. Wells Fargo darf nun über die Bilanzsumme von 2 Bill. Dollar hinaus wachsen und will dies nutzen, um Ambitionen im Corporate und Investment Banking sowie bei Private Credit nachzujagen.

Der Wegfall der Wachstumsbeschränkungen reiht sich in einen Trend zur Deregulierung in der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump ein. So wollen Regulatoren um die Federal Reserve die Kapitalvorgaben für Amerikas Geldhäuser aufweichen. Laut Goldman-COO Waldron wird ihnen dies mehr Flexibilität bei der Kreditvergabe für Zukunftsprojekte rund um künstliche Intelligenz verschaffen – nach Meinung von Kritikern wie Michael Barr, dem ehemaligen Fed-Vizevorsitzenden für Bankenaufsicht, aber eher dazu führen, dass sie ihre Aktivitäten in schwach regulierten und riskanten Geschäftsbereichen ankurbeln.

Risiken im Regionalsektor

Der Sekt, mit dem Scharf und Konsorten anstoßen, droht nun schnell sauer zu werden. Denn nicht nur, dass sich die Kreditbedingungen laut den Analysten von S&P Global infolge der erratischen Handels- und Fiskalpolitik Washingtons noch erheblich einzutrüben drohen und für die größten US-Finanzinstiute damit bald mehr und nicht weniger Risikovorsorge nötig machten: Auch der Unterbau des amerikanischen Finanzsektors, das Segment der Regionalbanken, schlägt sich mit massiven Belastungen herum. Diese sind seit den Zusammenbrüchen der Silicon Valley Bank, der Signature Bank und der First Republic Bank 2023 zwar in den Hintergrund getreten, aber nie verschwunden.

Well-Fargo-Chef Charlie Scharf will im Corporate Banking zur Konkurrenz aufschließen.
Well-Fargo-Chef Charlie Scharf will im Corporate Banking zur Konkurrenz aufschließen.
picture alliance / Pacific Press | Lev Radin

So hat die noch immer restriktive Geldpolitik der Federal Reserve seit 2022 viele kleine und mittelgroße Institute unter Druck gesetzt, die große Bestände an US-Staats- und Kommunalanleihen sowie hypothekenbesicherten Wertpapieren (MBS) halten. Nun müssen sich Regionalbanken zusätzlich mit Gesetzesinitiativen der Administration in Washington herumschlagen, die zu einer breiteren Nutzung von Stablecoins führen sollen. So geht die Furcht um, dass Kunden künftig verstärkt Einlagen insbesondere von Gemeindebanken abziehen und stattdessen in an den Dollar gekoppelten digitalen Token halten werden. Händler wie Amazon und Walmart erwägen bereits den Launch eigener Stablecoins, durch die sie hohe an Zahlungsdienstleister abgeführte Gebühren einsparen könnten.

Technologisch abgehängte Gemeindebanken

„Das Argument, dass Stablecoins einen ähnlichen Zweck erfüllen wie klassische Banken und damit den Wettbewerbsdruck erhöhen, ist aktuell überall zu hören“, sagt Greg Hertrich, Leiter US-Bankenstrategie beim japanischen Finanzdienstleister Nomura in New York. „Die Management-Teams müssen Investoren nun aufzeigen, wie sie trotz drohender kompetitiver Nachteile selbst Wert aus der neuen Technologie schöpfen können.“

Der Finanztechnologieriese Fiserv will zwar eine Stablecoin-Plattform starten, an die auch die rund 3.000 Regional- und Gemeindebanken unter seinen Kunden Anschluss finden könnten. Durch die Nutzung von Krypto-Token soll es auch für sie möglich werden, für ihre Unternehmens- und Privatkunden künftig Transaktionen in höherer Geschwindigkeit und zu niedrigeren Gebühren auszuführen. Daran, ob die technologisch abgehängten Gemeindebanken diesen Schritt auch wirklich gehen können, halten sich im Sektor aber erhebliche Zweifel – zumal viele kleine Institute sich durch die mit einem verstärkten Krypto-Engagement einhergehenden regulatorischen Mehrvorgaben überfordert sehen.

Großbankenkollaps wird wahrscheinlicher

Kommt es zu einem strukturellen Mittelabfluss aus dem zentralisierten Finanzsystem, droht dies auch die führenden Geldhäuser der USA hart zu treffen. Denn die Großbanken sind durch ihre Teilnahme an der Einlagensicherung FDIC nicht nur gezwungen, strauchelnden regionalen und lokalen Geldhäusern finanziell unter die Arme zu greifen. Ein Vertrauensverlust in kleinere Institute droht laut Analysten auch allzu schnell auf die führenden Finanzdienstleister überzugreifen. Ex-Fed-Vize Barr warnte zuletzt bereits davor, dass die Deregulierung auch einen Großbankenkollaps innerhalb der USA wahrscheinlicher macht.

Der ehemalige Fed-Vize Michael Barr warnt vor einem Großbankenkollaps.
Der ehemalige Fed-Vize Michael Barr warnt vor einem Großbankenkollaps.
picture alliance / ZUMAPRESS.com | Saul Loeb

Statt Kapital und Liquidität zusammenzuhalten, vergeben Amerikas größte Geldhäuser aber in großem Stil Kredite an Intermediäre ohne Einlagengeschäft, legen strukturierte Finanzprodukte jeglicher Couleur auf und führen Milliardenmittel an ihre Aktionäre zurück. Bei der jüngsten Aufstockung von Dividenden und Aktienrückkaufprogrammen beriefen sich Branchenprimus J.P. Morgan und Konsorten auf die positiven Resultate des diesjährigen Fed-Stresstestes. „Angesichts der gelockerten Bedingungen war aber niemand wirklich überrascht, dass die Banken die Stabilitätsprüfung problemlos überstanden haben“, gibt Nomura-Stratege Hertrich zu bedenken.

Gefahren bei Gewerbeimmobilien

In den Portfolios schlummern dabei durchaus beträchtliche Risiken – ob bei Studenten-, Auto-, Karten- oder insbesondere bei Immobilienkrediten. Der amerikanische Büromarkt ringt auch fünf Jahre nach der Hochphase der Corona-Pandemie mit einem strukturellen Überangebot, der Leerstand liegt laut der Ratingagentur Moody's landesweit mit fast 20% nahe an einem 30-Jahres-Hoch. Dies trifft sowohl Regional- als auch Großbanken als große Kreditgeber.

Letztere hübschen ihre Gewerbeimmobilienkreditportfolios allerdings mit allen Kniffen auf. Zwar ist der Anteil der Zahlungsverzüge bei Objekten, deren Eigentümer Rückzahlungen aus dem Mieteinkommen leisten, nach einem Höchststand von 2,07% im dritten Quartal 2024 auf dem Papier zuletzt auf 2,01% gefallen. Geschuldet ist dies laut dem Analysedienst BankRegData aber weniger einer echten Erholung als der Tatsache, dass Großbanken ihre Rückzahlungskonditionen im Rekordtempo anpassen. Damit zögerten sie aber nur den Zeitpunkt hinaus, zu dem der Anteil der Zahlungsverzüge und schließlich Ausfälle in die Höhe schnellt – dann umso härter und konzentrierter.

Rezessionsangst ignoriert

Die Party im Finanzsektor rauscht derweil für diejenigen weiter, die wie Goldman Sachs davon ausgehen, dass die USA von einer Rezession verschont bleiben. Joanne Hsu, als Direktorin für den Index der University of Michigan zum Verbrauchervertrauen zuständig, sieht allerdings deutliche Signale eines anstehenden Abschwungs. Zeichnen sich zugleich auch die verzögerten Inflationseffekte von Washingtons Strafzollpolitik ab, dürfte dies laut Analysten nicht nur das Kredit-, sondern auch das wieder anlaufende Kapitalmarktgeschäft hart treffen. Den Geldhäusern droht also Beschuss aus mehreren Richtungen – bald dürften viele New Yorker Banker demnach zu härteren Getränken als Sekt greifen.

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