Autoindustrie

Vom Platzhirsch zum Auslauf­modell?

Deutsche Autohersteller haben Rückstand in der Software und der Kundenwahrnehmung – eine gefährliche Mischung.

Vom Platzhirsch zum Auslauf­modell?

Die deutsche Automobilindustrie verkauft ihre Elektromobilitätsoffensive gerne als Erfolgsstory. Denn die Zahl der Modelle wächst und – in geringerem Ausmaß – der Absatz auch. Immer längere Wartezeiten für die Kunden aufgrund fehlender Bauteile werden positiv umgedeutet – als Zeichen einer robusten Nachfrage. Doch wie ist die Lage wirklich? Der einzige echte deutsche Volumenhersteller Volkswagen dürfte über alle Marken hinweg 2022 nur rund ein Zehntel mehr reine Elektroautos absetzen als im Vorjahr, schätzen Marktbeobachter. Derweil wächst der Markt für batterieelektrisch angetriebene Pkw (BEV) global laut Center of Automotive Management (CAM) wohl um fast vier Fünftel. Die Erfolge fahren dabei andere ein: Marktführer Tesla oder auch die chinesischen BYD und SAIC verzeichnen allesamt deutlich höhere Wachstumsraten als die Wolfsburger.

Der Rückzug auf eine reine Premiumstrategie, wie sie Mercedes und BMW verfolgen, ist indes kaum erfolgreicher. BMW liegt mit wahrscheinlich 180000 verkauften BEVs bei knapp einem Zehntel des Gesamtabsatzes, schlägt sich aber noch immer besser als der Stuttgarter Konkurrent. Mercedes kommt mit erwarteten 130000 Elektro-Auslieferungen nur knapp an Newcomer Nio vorbei. Die Premiummarke aus China hängt den Schwaben bereits im Nacken und dürfte diese und womöglich auch BMW bei anhaltender Wachstumsdynamik schon im kommenden Jahr überholen. In China, Nios Heimatmarkt, hat Mercedes die Preise unlängst kräftig gesenkt. Typischerweise ein Ausweis mangelnder Wettbewerbsfähigkeit.

Angesichts der wachsenden Beliebtheit elektrifizierter Fahrzeuge dürfte die Entwicklung mehr als ein paar Sorgenfalten in den Führungsetagen hervorrufen. Die Automobilkonzerne aus Deutschland laufen in der technologischen Transformation Gefahr, abgehängt zu werden. Wo liegen die Schwachstellen der Elektrifizierungsstrategie? Das ist nicht eindeutig festzumachen. Denn es sind sowohl interne wie auch externe Faktoren, die sich als problematisch erweisen. Bei den internen Faktoren steht das Thema Software an erster Stelle. Hier haben alle deutschen Hersteller Probleme, mit den Newcomern Schritt zu halten. Tesla setzt seit über einem Jahrzehnt auf Software als Differenzierungsmerkmal und auch Chinas Newcomer haben hier ihre Stärken. Der US-Konzern gleicht sogar regelmäßig fehlende Hardware durch Softwareanpassungen aus. In der Halbleiterkrise hat das dem US-Konzern geholfen, mit leichten Abstrichen bei autonomen Fahreigenschaften die Produktion hochzufahren. Zuletzt hat Tesla sogar die Parksensoren aus den Modellen gestrichen, will aber Einparkhilfe mit Kameras und Software später wieder möglich machen.

Dass ein solcher Schritt von den Kunden geduldet wird, zeigt die erreichte Stärke der US-Marke und beschreibt ein externes Problem der deutschen Hersteller. Sie haben ihre Produktpalette zwar schon weitgehend elek­trifiziert. In den Köpfen der potenziellen Käufer sind sie aber nach wie vor Vertreter der alten Autogarde. Das ist insbesondere in der Transformationsphase riskant. Denn die frühen BEV-Käufer suchen etwas Neues und wenden sich dabei auch gerne neuen Anbietern zu. Das zeigt sich auch in China. Hier können sich Mercedes, BMW und Volkswagen bei allen Herausforderungen zwar über hohe Marktanteile freuen. Bei batterieelektrischen Pkw hinken sie Tesla und den chinesischen Marken aber meilenweit hinterher.Diese drängen zudem immer mehr auf den europäischen Markt – und gewinnen auch hier Marktanteile.

Diese Entwicklung war schon in früheren technologischen Transformationen zu beobachten. Die einstigen Mobiltelefon-Marktführer Nokia und Blackberry sind nicht nur daran gescheitert, dass sie zu spät auf den von Apple auf den Weg gebrachten Smartphone-Trend aufgesprungen sind. Vielmehr schlugen sie sich in einem wachsenden Markt anfangs noch ordentlich. Ihr Problem war auch, dass die frühen Smartphone-Kunden ihnen den Wandel nicht zutrauten. Ihnen blieben zunächst die „Late Follower“, die lange glaubten, das Smartphone werde sich nicht durchsetzen. Als diese dann auch vom Smartphone überzeugt waren, bevorzugten auch sie in großer Zahl die Marktführer der neuen Technologie: Apple und Samsung. Dass die deutschen Autobauer ebenfalls primär den „Late Follower“ als Fan haben, sollte die Alarmglocken schrillen lassen. Um vom Platzhirsch nicht zum Auslaufmodell zu werden, braucht es mehr als neue Modelle.

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