Clearing

Finanzmarkt als Baustein der EU-Autonomiestrategie

Seit dem Brexit ist es der Europäischen Union nicht gelungen, sich beim zentralen Clearing von London zu emanzipieren. Das muss sich ändern, findet der hessische Finanzminister.

Finanzmarkt als Baustein der EU-Autonomiestrategie

Der Wohlstand in der Europäischen Union (EU) beruht auf der Einbindung unserer Volkswirtschaften in globale Märkte, und die Krisen der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt: Einseitige Abhängigkeiten bedeuten Verwundbarkeit. Offenheit und Autonomie sind fundamental für eine starke Union. Auch der europäische Finanzmarkt braucht ein stabiles Fundament, um seine Position dauerhaft zu verteidigen.

Ein aktuelles Beispiel ist das Euro-Clearing, also die Abwicklung von auf Euro lautenden Derivateverträgen über zentrale Clearingstellen (CCPs). London ist dafür nach wie vor der führende Standort, und der Europäischen Union fehlt es an Unabhängigkeit. Seit dem Brexit werden die Übergangsgenehmigungen für die Londoner CCPs immer wieder verlängert, zuletzt bis Mitte 2025. Das muss sich ändern.

Die zentralen Clearingstellen wurden in der Folge der Finanzkrise eingerichtet und sind seither Knotenpunkt für einen Billionenmarkt. Rein ökonomisch kann eine Konzentration der Abwicklung vorteilhaft sein. Der Haken für die EU ist die Abhängigkeit von den Londoner Clearingstellen.

Die EU-Kommission will diese Abhängigkeiten reduzieren. Nach ihren Vorstellungen sollen Marktteilnehmer bei einer EU-Clearingstelle ein zweites Standbein für die Abwicklung ihrer Derivatekontrakte aufbauen und aktiv betreiben – ein „Second Active Account“.

Der Ankündigung der EU-Kommission folgte allerdings nur ein halbherziger Gesetzesvorschlag. Mir fehlt hier die eigene Zielbestimmung; die Umsetzungsverfahren bleiben langwierig, und es gibt weiterhin Gefahren für die Wettbewerbsfähigkeit von EU-Akteuren. Bei Auslaufen der Übergangsregelungen Mitte 2025 wird mit diesem Vorschlag die übermäßige Abhängigkeit der Europäischen Union noch immer nicht aufgelöst sein. Damit droht eine erneute Verlängerung. Das ist kein Ausdruck von Autonomie und macht die Europäische Union unglaubwürdig.

Deshalb sollten drei wesentliche Stellen des Vorschlags neu ausgerichtet werden: Erstens braucht der „Second Active Account“ ein gesondertes, beschleunigtes Verfahren, ein „Quick Fix“, verbunden mit zeitnahen Fristen für Umsetzungsregeln. Zweitens dürfen wir nicht länger auf London schielen. Die EU muss sich ein eigenes regulatorisches Ziel setzen, das aus meiner Sicht nur ein hinreichend liquider und eigenständig funktionierender EU-Markt sein kann. Ein eigenständiger Markt reduziert die Abhängigkeit von London dann ganz automatisch.

Wettbewerb im Blick

Drittens stehen die Marktakteure der EU außerdem in direkter Konkurrenz mit Akteuren aus Nicht-EU-Staaten und brauchen eine wettbewerbsgerechte Regulierung, die über zusätzliche Handlungsoptionen verfügt. Die EU muss daher sicherstellen, dass die „Second Active Account“-Pflicht nicht einseitig die Wettbewerbsfähigkeit von EU-Marktakteuren beeinträchtigt. Mit diesem Dreiklang kann die EU in dem so wichtigen Feld des Euro-Clearing ihre Strategie einer offenen Autonomie umsetzen. Ich rufe allen Akteuren daher zu: Auf geht’s!

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