Ralf Schmidgall und Vinzent Sperling, MW Gestion

„An der Börse ist viel Negatives eskomptiert“

Ralf Schmidgall und Vinzent Sperling glauben, dass am Aktienmarkt viel Negatives eingepreist ist. Als Fondsmanager von MW Gestion setzen sie auf solide Unternehmen, die von Megatrends profitieren.

„An der Börse ist viel Negatives eskomptiert“

Christopher Kalbhenn.

Herr Sperling, wie beurteilen Sie die gegenwärtige Lage am Aktienmarkt?

Sperling: Wir haben derzeit einen Zustand, der so nicht zum ersten Mal besteht, dass es einen starken Zwiespalt zwischen makroökonomischen Sorgen, die derzeit stark von geopolitischen Spannungen geprägt sind, und einer gleichzeitig vergleichsweise optimistischen Kommunikation auf der Unternehmensseite gibt. Das ist eine Spannung, die sich auflösen muss. Wie man so schön sagt, nimmt die Börse den ökonomischen Zyklus sechs Monate vorweg. Somit spielt der Markt eine Rezession im Januar. Unternehmen sind häufig die Letzten, die die makroökonomische Entwicklung zur Kenntnis nehmen, aber auch in ihrem Geschäft spüren. An der Börse ist allerdings mittlerweile viel Negatives eingepreist. Aber es gibt derzeit viele Effekte seitens der Geopolitik, die auf die Börse einwirken, derzeit insbesondere die Sorgen in Bezug auf die Gaslieferungen und die Energieversorgung im weiteren Sinn. In den Nebenwerten zeigen die Verluste des MDax und des SDax von jeweils rund 27% seit Jahresbeginn aber auf jeden Fall, dass sich die Sorgen bereits deutlich niedergeschlagen haben.

Herr Schmidgall, was bedeutet dies für Sie als Fondsmanager?

Schmidgall: Wir sind ein kleiner Assetmanager. Anders als andere Häuser haben wir keinen eigenen Chefvolkswirt, der Szenarien für uns ausarbeitet. Ich habe ein Problem damit, wenn Leute versuchen, die Zukunft des Aktienmarktes und der Konjunktur vorauszusagen. Die in den Monaten November und Dezember veröffentlichten Prognosen sind oft nach drei Monaten bereits Makulatur. Es konnte ja auch keiner voraussagen, dass Russland die Ukraine militärisch angreifen würde. Vor dem Jahreswechsel wurde allgemein erwartet, dass die Inflation steigt und die Zinsen etwas anziehen. Viele sind dann auf dem falschen Fuß erwischt worden. Unser Zeithorizont ist fünf Jahre und mehr, und das sollte für jeden Anleger so sein.

Wie sieht Ihre Anlagepolitik aus?

Schmidgall: Wir haben eine Anlagephilosophie, die unserer Meinung nach den besten Schutz gegen alle Herausforderungen der Zukunft bietet. Wir picken die besten und solidesten Unternehmen, die unserer Einschätzung nach auf lange Sicht erfolgreich sein werden und die in der Vergangenheit, unter anderem während der Corona-Pandemie, bewiesen haben, dass sie eine Krise meistern können und gestärkt aus ihr hervorgehen.

Welche Eigenschaften müssen solche Unternehmen haben?

Schmidgall: Wir halten Unternehmen mit geringer Verschuldung und hohen Margen. In unserem Portfolio ist die Verschuldung niedriger und die sind Margen höher als im Gesamtmarkt. Unternehmen, die wir halten, haben einen guten Track Record mit kontinuierlichem Wachstum Jahr für Jahr. Das ist für uns der beste Krisenschutz.

Setzen Sie somit auf wachstumsträchtige strukturelle Trends?

Schmidgall: Viele unserer Unternehmen sind in Megatrends involviert, zum Beispiel Unternehmen der Chipbranche. Es gibt mehr und mehr elektronische Geräte mit Chips, die Chipnachfrage wird strukturell weiter steigen, hauptsächlich in Europa. Das bedeutet gute Aussichten für Halbleiterindustrieausrüster wie ASML, denn wir brauchen Chipwerke in Europa, auch weil sich viele Produzenten in Taiwan befinden. Das ist ein geopolitisches Risiko. Ein weiterer wichtiger Trend ist die Demografie. Er lässt sich runterbrechen auf den steigenden Wohlstand in der Welt, der für steigende Nachfrage nach Luxusgütern sorgt. Auch der Gesundheitssektor profitiert von demografischen Trends. Denken Sie an die Alterung oder die zunehmende Zahl an Übergewichtigen. Die Folge sind steigende Diabetes-Erkrankungen, wovon beispielsweise Novo Nordisk profitiert.

Welche Unternehmen profitieren noch von demografischen Trends?

Sperling: Ein immer größerer Teil der chinesischen Bevölkerung – die Mittelschicht des Landes wächst stark – kann sich medizinische Versorgung wie die Behandlung von Kurzsichtigkeit leisten. Davon profitiert Carl Zeiss Meditec. Die Demografie spielt auch in den Digitalisierungstrend rein. In den entwickelten Ökonomien steht immer weniger Personal zur Verfügung. Das fördert den Trend zur Automatisierung und bringt in diesem Zusammenhang auch Potenzial für die Themen Cloud und Software-Service. Das wiederum steht im Zusammenhang mit der Chipnachfrage, da immer mehr Datenzentren gebraucht werden.

Die Aktien einiger dieser an diesen Trends partizipierenden Unternehmen stehen aber wie etwa ASML in diesem Jahr stark unter Druck.

Schmidgall: Wir denken, dass diese Megatrends sich unabhängig von der Krise fortsetzen. Daher versuchen wir, die entsprechenden Aktien zu kaufen, um sie langfristig im Portfolio zu halten. Wir investieren nicht kurzfristig beispielsweise in den Energiesektor, sondern suchen Unternehmen, die langfristig von den Megatrends profitieren. Wir kaufen keine Aktien, um sie nach drei Monaten wieder zu verkaufen.

Sperling: Das ist nicht unser Plan. Aber auch wir machen manchmal Fehler. Wenn die Kursentwicklung nicht stimmt, dann verkaufen wir einen Wert. Wir operieren in Märkten mit vielfältigen Einflüssen, die wir nicht beherrschen. Daher müssen wir uns mit unserer Einschätzung gelegentlich auch zurücknehmen.

Können Sie ein Beispiel für ein Unternehmen nennen, das sich in der Coronakrise gut geschlagen hat?

Schmidgall: Ein solches Unternehmen, das auch gestärkt aus der Krise hervorgegangen ist, ist die Schweizer Interroll. Dieses Unternehmen stellt unter anderem Rollen für Gepäckbänder sowie für Bänder für die Handgepäckkontrolle her. Es ist einer der großen Spieler des Segments. Viele lokale Wettbewerber haben in der Coronakrise, als der Flugverkehr deutlich eingeschränkt werden musste, Personal entlassen. Interroll dagegen hat, wie auch schon in der Finanzkrise, an seinem Personal festgehalten. Dadurch war es das einzige Unternehmen, das liefern konnte, als das Geschäft wieder öffnete, so dass es Marktanteile gewann. Interroll ist ein gutes Beispiel, wie wichtig es ist, als Portfoliomanager auf eine geringe Verschuldung zu achten. Denn so etwas kann sich nur ein Unternehmen leisten, das eine solide Bilanz hat.

Welche Firmen würden Sie noch hervorheben?

Sperling: Die niederländische Alfen Beheer hat sich ebenfalls gut geschlagen. Sie profitiert von zwei starken Trends. Das sind zum einen die Investitionen und politischen Entscheidungen in Richtung erneuerbare Energien, denn Alfen bietet Technologie für die Anpassung des Elektrizitätsnetzes an. Zum anderen ist das der Vormarsch der elektrisch betriebenen Fahrzeuge. Das Unternehmen ist im Bereich Ladestationen sehr erfolgreich. Sehr gut gefällt uns auch die französische SES-Imagotag. Das ist der Weltmarktführer im Bereich digitaler Preisschilder für Supermärkte. Das Unternehmen bietet perfekte Visibilität, denn es hat zu Beginn des Jahres einen Vertrag mit Walmart geschlossen. Damit wird sich das Unternehmen in den kommenden Jahren transformieren. Es laufen derzeit Tests auch mit Kroeger, einem weiteren großen amerikanischen Einzelhändler, so dass ein weiterer großer Auftrag kommen könnte.

Was leisten die digitalen Preisschilder?

Sperling: Die digitalen Preisschilder verhelfen dem Einzelhandel zu erheblichen Effizienzsteigerungen. Wenn sich wie im derzeitigen Umfeld mit hoher Inflation ständig die Preise verändern, ist es sehr vorteilhaft, die gezeigten Preise elektronisch anpassen zu können. Das Unternehmen ist sehr innovativ. Denn es ermöglicht auch kleine Werbekampagnen am Supermarktregal. Kunden können durch visuelle Effekte auf etwas größeren Preisschildern Werbebotschaften vermittelt werden. Wichtig ist auch die Zeitersparnis der Mitarbeiter, weil diese mehr Zeit haben für den Verkauf, was mehr Umsatz bedeutet. Das betrifft nicht nur die Preisausschilderung: Durch blinkende Preisschilder finden die Mitarbeiter auch schneller die Regalbereiche, die nachgefüllt werden müssen.

Das Interview führte

BZ+
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