Christoph Rieger, Commerzbank

„Das Rezessions­signal ist zuverlässig“

Christoph Rieger von der Commerzbank geht im Interview der Börsen-Zeitung auf die weitere Entwicklung der Bundrenditen, die wirtschaftliche Situation in den USA und der Eurozone ein.

„Das Rezessions­signal ist zuverlässig“

Kai Johannsen.

Herr Rieger, das Jahr ist an den Bondmärkten ja gut angelaufen. Es war der stärkste Jahresauftakt in Sachen Renditerückgang bei den Bundesanleihen seit dem Jahr 1977. Was sind die Gründe für diese sehr gute Performance?

Nach der mit Abstand schlechtesten Performance aller Zeiten am Euro-Rentenmarkt im vergangenen Jahr, macht sich die Hoffnung breit, dass es dieses Jahr anders kommt. Die rückläufigen Inflationsraten vor allem in den USA tragen ihren Teil dazu bei. Wichtiger ist aber wohl noch, dass wir zum Jahresende neue Höchststände bei den Renditen erreicht hatten, die für viele Anleger attraktiv genug sind, um wieder ihre Allokationen bei Anleihen zu er­höhen.

Auch am europäischen Primärmarkt lief das Geschäft ja sehr gut an. Worauf führen Sie das zurück?

Ich denke, die allermeisten Marktteilnehmer hatten sehr großen Respekt vor der immensen Angebotswelle, die sich für dieses Jahr abzeichnete. Eine der am häufigsten gestellten Fragen in unseren Jahresausblick-Meetings lautete: „Wer kann so viele Anleihen kaufen“? Wir rechnen mit über 1,2 Bill. Euro an Emissionen alleine von den Euro-Staaten. Das ist vergleichbar mit den Hochzeiten der Pandemie. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass die EZB nicht mehr die Masse der Anleihen aufkauft. Im Gegenteil, ab März will die EZB ihre Anleihebestände reduzieren. Ich denke, das erklärt, wieso wir am 31.12. neue Renditehöchststände gesehen haben. Die Angebotswelle kam dann in den ersten Wochen wie erwartet, allerdings gab es auf diesen Niveaus noch mehr Geld, das wieder an den Anleihemärkten investiert werden wollte. Folglich konnten die Renditen und die Spreads fallen, und die meisten Neuemissionsprämien fielen bescheiden aus.

Auch viele grüne, soziale und nachhaltige sowie nachhaltigkeitsgebundene Anleihen wurden in den ersten vier Wochen bereits emittiert. Was sind die Treiber, und setzt sich das fort?

Gemessen an den Assets under Management ist ESG-Investing in Europa bislang ein durchschlagender Erfolg, insbesondere im Vergleich zu anderen Regionen. Westeuropa verzeichnete in den vorigen Jahren einen konstanten Mittelflussvorteil für ESG-Fonds, wodurch der ESG-Anteil am verwalteten Vermögen von unter 5% auf fast 30% seit 2018 gestiegen ist. Wir rechnen jedoch damit, dass sich die Dynamik abschwächt. Der jüngste Negativtrend bei der Anzahl der ESG-Fonds dürfte sich fortsetzen, da Regulierungsbehörden die Kennzeichnung von Fonds strenger handhaben werden, um Greenwashing-Bedenken zu begegnen.

Viele setzen aktuell darauf, dass sich das Inflationsgespenst nun langsam zurückziehen wird, schon allein aufgrund des Basiseffekts, der ja nun im Vorjahresvergleich zum Tragen kommt. Wie beurteilen Sie die Inflationsentwicklung?

Es gibt wenig Zweifel daran, dass die Gesamtinflation dadurch im Jahresverlauf deutlich fallen wird. Entscheidend wird aber sein, wie sich die unterliegende Inflation, d.h. die Kernrate entwickeln wird. Hier sehen wir wenig Entspannung und rechnen zum Jahresende immer noch mit Niveaus von fast 4%.

Wie sehen Sie die weitere Konjunkturentwicklung in Deutschland?

Vor einiger Zeit wurde nur diskutiert, wie schwer die Rezession dieses Jahr wird. Mittlerweile lautet die Frage, ob wir noch eine milde oder gar keine Rezession mehr erleben werden. Es gibt gute Gründe für weniger Pessimismus. Neben der erfreulichen Entwicklung an den Energiemärkten und Verbesserungen bei den Lieferketten spielt die Unterstützung durch die Fiskalpolitik eine wichtige Rolle. Angesichts des Gegenwinds durch die höheren Zinsen und der globalen Abschwächung rechnen wir allerdings weiter damit, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland nach dem Minus zum Ende des vergangenen Jahres auch im ersten Halbjahr leicht schrumpfen wird.

Und wie beurteilen Sie die weitere Konjunkturentwicklung in der Eurozone?

Auch in der Eurozone rechnen wir mit einer milden Rezession im ersten Halbjahr, gefolgt von einer sehr langsamen Erholung.

Die Zinskurve ist vielerorten in­vertiert, so auch beim Bund. Wie verlässlich ist dieses Signal, und wie scharf wird die Rezession ausfallen?

Die extreme Kurveninversion sagt wenig aus über das Ausmaß der Rezession. Das Rezessionssignal an sich ist hingegen zuverlässig.

Welche ökonomisch gravierenden Auswirkungen durch die Covid-19-Pandemie sehen Sie derzeit noch auf uns zukommen, auch mit Blick auf die neuesten Entwicklungen in China?

Der wichtigste Faktor dürfte dabei das Ende von Zero Covid in China sein. Wir sehen die positiven Wirtschaftseffekte dadurch klar dominieren, so dass der Wachstumsbeitrag Chinas nach dem ersten Quartal steigen sollte. Ungeachtet der großen längerfristigen Herausforderungen für die chinesische Volkswirtschaft haben wir deshalb zum Jahresbeginn unsere China-Prognose für dieses und nächstes Jahr nach oben revidiert.

Und welche längerfristig beeinträchtigenden Konsequenzen sehen Sie nun noch aus dem Ukraine-Krieg auf uns zusteuern? Die ganz große Energiekrise mit Blackouts im Winter ist uns ja – Gott sei dank – erspart geblieben – zumindest bislang.

Auch wenn uns eine Gasmangellage diesen Winter erspart bleibt und die Gaspreise zuletzt deutlich gefallen sind, muss damit gerechnet werden, dass Energie längerfristig teurer wird. Bereits im Frühjahr, wenn die Gasspeicher wieder gefüllt werden müssen, könnte sich das ab­zeichnen.

Wie wird die EZB im laufenden Jahr und im kommenden Jahr 2024 in diesem Umfeld agieren?

Nach der bewussten Anpassung ihrer Guidance im Dezember ist nicht davon auszugehen, dass die EZB bald schon wieder sanftere Töne an­schlägt. In den kommenden Sitzungen sind somit weitere Zinserhöhungen um 50 Basispunkte zu erwarten. Wir rechnen damit, dass der Einlagensatz im Mai dann 3,25% erreicht. Auf diesem Niveau sollten sich die Tauben im Rat dann mit einer Zinspause durchsetzen, insbesondere wenn die Wirtschaft schrumpft und die Inflation deutlich fällt. Ein weiteres Argument gegen höhere Zinsen, das man dann vermutlich hören wird, ist, dass eine zu restriktive Geldpolitik die notwendigen Investitionen in eine grüne Wirtschaft untergräbt.

Und wie stufen Sie die Entwicklung der US-Wirtschaft derzeit ein?

Auch in den USA war der Zinsanstieg so rasant wie nie zuvor, was dieses Jahr deutliche Bremsspuren hinterlassen wird. Wir rechnen daher auch in den USA mit einer Rezession mit negativen Wachstumsraten bis einschließlich zum dritten Quartal.

Welche Politik erwarten Sie von der Fed in den kommenden Monaten – sagen wir bis Mitte 2024?

Das Tempo der Zinserhöhungen hat sich bereits verlangsamt, und der Zinshochpunkt dürfte nicht allzu weit entfernt sein. Bei 5 bis 5,25% dürfte die Fed die Zinsen als hin­reichend restriktiv erachten und wir sehen Chancen, dass zum Jahresende eine Zinssenkung erfolgt. Die deutlichen Zinssenkungen, die am Markt bis Ende 2024 erwartet ­werden, erscheinen hingegen überzogen.

Wo sehen Sie die zehnjährige Bundrendite Mitte dieses Jahres und Ende des Jahres?

Zur Jahresmitte bei 2,4%, am Jahresende bei 1,8%.

Wo sehen Sie die zehnjährige US-Staatsanleiherendite Mitte 2023 und Ende 2023?

Mitte 2023 bei 3,6%, Ende 2023 bei 3%.

Vor einigen Wochen haben wir einige Verspannung an den Repo-Märkten gesehen, das hat sich gelegt. Was hat dazu geführt, und wie groß ist im gegenwärtigen Umfeld die Gefahr, dass wir erneut solche Verspannungen be­kommen?

Die Lage an den Repo-Märkten hat sich seit Herbst deutlich entspannt. Insbesondere die Maßnahmen der Deutschen Finanzagentur im Oktober haben dazu beigetragen, aber natürlich auch die Aussichten auf mehr Angebot. Deutschland wird dieses Jahr mehr Anleihen als Frankreich begeben, fast so viele wie Italien. Folglich war die Situation über den Jahreswechsel schon wesentlich entspannter als anfangs befürchtet, und die Entspannung setzt sich seitdem fort.

Was sind diesbezüglich Lösungsmöglichkeiten?

Die Verwerfungen an den Repo-Märkten im vergangenen Jahr haben Forderungen nach strukturellen Anpassungen laut werden lassen. Diese könnten etwa den Zugang von Nichtbanken zur EZB-Bilanz bedeuten, beispielsweise über Reverse Repos, wie sie die Fed durchführt. Eine andere Alternative wäre die Emission von EZB-Bills, was wir zuvor auch als „Bazooka“ an den Geldmärkten bezeichnet haben. Spätestens wenn die Leitzinserhöhungen der EZB nicht mehr in den wichtigsten Geldmarktsegmenten voll ankommen, gibt es Handlungsbedarf. Dem scheint jedoch die Finanzagentur zuvorgekommen zu sein. Durch die Entspannung an den Repo-Märkten in den vergangenen Monaten sind drastischere Maßnahmen seitens der EZB weniger wahrscheinlich geworden.

Das Interview führte

BZ+
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