Schwellenländer-Anleihen

Emerging Markets stehen vor Herausforderungen

Die Zentralbanken der Schwellenländer stehen vor großen Herausforderungen. Insbesondere Inflationsanstiege und die erwarteten Reaktionen der Fed hinterlassen ihre Spuren.

Emerging Markets stehen vor Herausforderungen

Von Sören Hettler*)

In den meisten Emerging Markets bereiten den Zentralbanken derzeit mehrere Baustellen Kopfzerbrechen. Die größte Herausforderung stellt dabei der global zunehmende Preisdruck dar. Bereits im März hatten die Notenbanken in Brasilien und Russland damit begonnen, ihre Leitzinsen anzuheben, um damit den steigenden Inflationsraten zu begegnen. Vergangene Woche be­kam dieser Club neue Mitglieder aus Ungarn, Tschechien und Mexiko, wobei marktseitig vor allem der Schritt der mexikanischen Währungshüter überraschte. Zu deutlich wurden in diesen Ländern die Schwellenwerte für die Zielinflation überschritten, zu groß war offensichtlich die Sorge vor Zweitrundeneffekten und einem dauerhaft (zu) hohen Preisdruck.

Niedrige Impfquoten

Leicht dürfte den geldpolitisch Verantwortlichen insbesondere in Lateinamerika und Moskau diese Entscheidung nicht gefallen sein. Denn während im Zuge der erfolgreichen Impfkampagnen in zahlreichen entwickelten Regionen bereits mehr als die Hälfte der Menschen mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft wurde, hinken die meisten Schwellenländer mit ihren Kampagnen aufgrund des weiterhin bestehenden Impfstoffmangels oder vorherrschender Skepsis bei den Bürgerinnen und Bürgern sehr deutlich hinterher. In Mexiko haben derzeit nur knapp 25% der Bevölkerung eine erste Impfung erhalten, in Russland sind es sogar nur rund 15%. Von einem mutmaßlich gesicherten wirtschaftlichen Aufschwung, wie er für die USA und Europa momentan unterstellt wird, sind viele Schwellenländer weiterhin ein gutes Stück entfernt. Und die zunehmende Verbreitung der nach jüngsten Erkenntnissen ansteckenderen und gefährlicheren Delta-Variante des Coronavirus macht die Ausgangslage für die Notenbanken nicht besser.

Sorge dürfte den Zentralbanken der Schwellenländer auch der Blick auf die US-Geldpolitik bereiten. Zum einen hinterließen die zu Jahresbeginn einsetzenden vorübergehenden Spekulationen über eine zeitnah bevorstehende Reduzierung der Anleiheankäufe durch die Federal Reserve nachhaltige Spuren. Zwischen rund 150 und gut 250 Basispunkten legten die fünfjährigen Staatsanleiherenditen in Russland, Mexiko und Brasilien seitdem zu. Zum anderen hat sich die Perspektive erster US-Leitzinserhöhungen spätestens für das Jahr 2023 im Zuge der Sitzung des geldpolitischen Ausschusses der Federal Reserve von Mitte Juni verfestigt. Schließlich rechnet nun eine Mehrheit der Mitglieder des Gremiums mit zwei Zinsanhebungen im übernächsten Jahr. Das Ende der äußerst lockeren Geldpolitik vonseiten der weltweit bedeutendsten Notenbanken, die in den vergangenen Monaten (und Jahren) einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass internationale Investoren auf der Suche nach Rendite das Schwellenländersegment für sich entdeckt haben, rückt folglich und für jeden offensichtlich näher.

Der hohe, teils weiter steigende Preisdruck, ein fragiler wirtschaftlicher Aufschwung und das Damoklesschwert einer perspektivisch restriktiveren US-Geldpolitik sprechen dafür, dass das Pflaster für ein Engagement in den Schwellenländern auf absehbare Zeit holpriger werden sollte. Grund zur Panik besteht unseres Erachtens aber nicht. Die Währungshüter in Lateinamerika und Osteuropa dürften nicht nur den eingeschlagenen Kurs fortsetzen und auf Jahressicht weitere Leitzinserhöhungen vornehmen. Zudem sollten die Zentralbanken aus Südafrika und Polen erste vorsichtige restriktive Schritte unternehmen, um ein Ausufern der Inflation zu unterbinden.

Noch wichtiger ist unsere Erwartung für das weitere Vorgehen der US-Notenbank. Wir rechnen so­wohl für die Rückführung des laufenden Anleihekaufprogramms als auch mit Blick auf die Bereitschaft der Verantwortlichen, die Leitzinsen anzuheben, mit einer behutsamen Gangart. Hintergrund dieser Einschätzung ist insbesondere die Entwicklung am US-Arbeitsmarkt, dessen Erholung vom Ziel eines breiten Aufschwungs noch weit entfernt ist und, verglichen mit dem Beschäftigungsniveau von vor der Pandemie, noch über umfangreiches Aufwärtspotenzial verfügt. Den Spielraum, auch längere Phasen einer erhöhten Inflation aussitzen zu können, besitzt die US-Notenbank dank ihrer Strategieanpassung von Mitte des vergangenen Jahres. Erweist sich der momentan hohe Preisdruck in den USA erwartungsgemäß zu einem nennenswerten Teil als vorübergehend, gibt es für Jerome Powell und seine Kollegen auch keine Notwendigkeit, rasch und dynamisch die Zinsen anzuheben.

Die Kombination aus einer gemächlich agierenden US-Notenbank und fortlaufenden Leitzinsanhebungen in zahlreichen Schwellenländern dürfte auf Jahressicht genügen, um Investoren bei der Stange zu halten und einen größer angelegten Kapitalabzug zu verhindern. Hierzu beitragen dürfte auch ein weiterhin freundliches globales Risikosentiment. Zwar haben die Finanzmarktteilnehmer bereits sehr viel Zuversicht eingepreist – teils herrscht sogar der Eindruck vor, die Corona-Pandemie sei überwunden. Eine für die nächsten Quartale zu erwartende, breit angelegte Erholung der Weltwirtschaft dürfte jedoch über das Potenzial verfügen, diesem Optimismus gerecht zu werden.

Positiv hervorzuheben sind unter den Rentenmärkten der Schwellenländer vor allem die drei „kleinen Osteuropäer“. Gespeist wird die Attraktivität Polens, Ungarns und Tschechiens gegenüber anderen Währungsräumen derzeit nicht nur durch die, unter Berücksichtigung der vorherrschenden Risiken, vergleichsweise hohe Rendite der fünf-jährigen Anleihen zwischen rund 1,5% und gut 2% pro Jahr. Darüber hinaus ist Zloty, Forint und tschechischer Krone auf Jahressicht eine Aufwertung gegenüber dem Euro zuzutrauen.

Fed-Geldpolitik als Risiko

Es sind vor allem zwei Risiken, die für das Schwellenländersegment bis auf weiteres von Bedeutung sein dürften. Zentral ist in diesem Zusammenhang die US-Geldpolitik. Jede Aussage aus den Reihen der Federal Reserve wird derzeit auf Hinweise zur künftigen geldpolitischen Ausrichtung und zum Zeitpunkt möglicher restriktiver Schritte untersucht. Sollten die Verantwortlichen klare Signale zugunsten einer oder gar mehrerer Leitzinsanhebungen bis Ende 2022 geben, würde dies den Blick der Anleger auf das Schwellenländersegment spürbar belasten.

Nicht zu vernachlässigen ist zudem die Gefahr möglicher Mutationen des Coronavirus, gegen die vorhandene Impfstoffe nur einen unzureichenden Schutz darstellen könnten. Sehr wahrscheinlich müssten sich die Schwellenländer bei der Versorgung mit Vakzinen in diesem Fall wieder hinten anstellen. Darüber hinaus würde eine massive weitere Coronawelle den wirtschaftlichen Aufschwung auch in den USA und Europa infrage stellen. Dem Stimmungsbild an den internationalen Finanzmärkten wäre dies alles andere als zuträglich. Umso wichtiger muss es aus Sicht der Finanzmarktteilnehmer sein, die Corona-Pandemie weiterhin ernst zu nehmen und als globale Herausforderung zu betrachten.

*) Sören Hettler ist Senior-Devisenanalyst der DZBank.