Eugen Weinberg

Ende des Ölzeitalters erwartet

Die Rohstoffpreise sind extrem gestiegen. Eugen Weinberg, Leiter des Rohstoff-Research der Commerzbank und einer der besten deutschen Kenner der Rohstoffmärkte, beantwortet die heiß diskutierte Frage, ob es hier einen neuen Superzyklus gibt.

Ende des Ölzeitalters erwartet

Dieter Kuckelkorn.

Herr Weinberg, haben wir eigentlich einen neuen Superzyklus im Rohstoffsektor?

Nun, es kommt darauf an, wie man den Begriff Superzyklus definiert. Wir haben zwar derzeit Verteuerungen in vielen Bereichen des Rohstoffsektors, die aber unterschiedliche Ursachen haben. So sind die Notierungen für Öl, für Metalle, aber auch für Nahrungsmittel gestiegen. Insbesondere bei den Agrarrohstoffen lässt sich aber nicht von einem neuen Megazyklus sprechen. Die Gründe für diesen Anstieg sind eher temporärer Natur, nach einer gewissen Zeit werden die Lebensmittelpreise auch wieder sinken.

Und wie sieht es bei Rohöl aus?

Für die Verteuerung von Rohöl gibt es viele Gründe wie ein unzureichendes Angebot, eine deutlich stärkere Nachfrage als erwartet und ein sehr diszipliniertes Verhalten der Opec. Aber beim Rohöl würde ich auch noch nicht von einem Megazyklus sprechen wollen, weil ich nicht erkennen kann, dass die Nachfrage nach Öl konjunkturunabhängig steigen wird. Allerdings sehe ich schon einen Megatrend im Ölbereich: In diesem oder spätestens im nächsten Jahr wird das Ende des Ölzeitalters eingeleitet. Sowohl Produktion als auch Nachfrage werden nicht mehr stetig steigen, sondern in wenigen Jahren bereits zurückgehen – und zwar wegen des Megatrends Umweltschutz. Es kann in diesem Zusammenhang zu einem Ölpreisanstieg kommen, muss aber nicht. Wenn die Preise steigen, wird es daran liegen, dass aus Umweltschutzgründen die Investitionen in die Produktionsseite zurückgefahren werden, so dass die Verringerung der Produktion stärker ausfällt als die von der Politik gewollte Reduzierung der Nachfrage.

Gibt es bei den Metallen einen Megatrend?

Ja, durchaus. Weltweit wird die Infrastruktur ausgebaut, zum einen, weil diese inzwischen oft marode ist, zum anderen aber auch wegen der niedrigen Zinsen. Bei den Preisanstiegen spielt auch eine Rolle, dass die Erzkonzentrationen zurückgehen, so dass zu den bisherigen Kosten nicht mehr produziert werden konnte. Auf der Angebotsseite spielen sicherlich auch Umweltschutzgesichtspunkte eine Rolle bei den Kosten.

Gibt es auch bei Edelmetallen wie Gold ähnlich grundlegende Tendenzen?

Ohne Zweifel. Ich rechne auch auf längere Sicht mit einem höheren Goldpreis. Man kann diese Entwicklung auf Inflation oder auch einen Wertverlust unserer Papierwährungen hinsichtlich ihrer Kaufkraft in erster Linie gegenüber den Sachwerten zurückführen.

Gibt es Ihrer Meinung nach auch Megatrends, die für den gesamten Rohstoffsektor Bedeutung haben?

Seit einigen Jahren haben wir einen Trend der Deglobalisierung. Die Globalisierung, die Ende der 1940er Jahre begann, fand 2008 ihr Ende. Der Welthandel sieht sich immer größeren Schwierigkeiten gegenüber, er wächst längst nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit. Die Deglobalisierung hat zu der Verteuerung von Rohstoffen beigetragen, weil die Engpässe in den Lieferketten größer geworden sind. Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind sicherlich auch ein Megatrend, der für den gesamten Sektor gilt und der aktuell bei unternehmerischen Entscheidungen für ein Umdenken sorgt.

Ist eigentlich der Preisanstieg bei Rohöl fundamental gerechtfertigt und wird sich die Ölpreisrally fortsetzen?

Vor etwa sechs Monaten war der Ölpreisanstieg noch überwiegend spekulationsgetrieben, was man an den Netto-Long-Positionen an den Terminbörsen klar ablesen konnte. Dieser Zusammenhang ist jetzt jedoch nicht mehr zu sehen. Schon seit Monaten steigen die Netto-Long-Positionen spekulativer Investoren nicht mehr an, während die Preise weiter zulegen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass in China gegen die Spekulation sowie gegen den starken Preisauftrieb vorgegangen wird, was aber kaum auf die Preise durchgeschlagen hat. Man hat dafür gesorgt, dass die Marktteilnehmer höhere Kosten für den Handel mit Derivaten haben und man hat auch die Hinterlegungspflichten verschärft. Dies alles hat aber nur kurzfristige Effekte gezeigt, nach ein paar Tagen sind die Preise wieder gestiegen. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass der Preisanstieg bei Rohöl fundamentaler Natur ist, weil sich die Nachfrage stärker erholt hat als erwartet, während sich die Produktion aber nicht so stark erholt wie gedacht. Hinzu kommt, dass die Opec nach wie vor weit unter ihren Möglichkeiten bleibt. Außerhalb der Opec steigt die Produktion ebenfalls nicht an, was vermutlich die wichtigste Erklärungskomponente für den Ölpreisanstieg darstellt.

Weshalb ist das so?

Nun, die Schieferölproduktion stockt. Die Unternehmen haben es in den vergangenen Jahren versäumt, bei Preisen über 70 Dollar je Barrel und teilweise von 100 Dollar für eine nachhaltige Profitabilität zu sorgen. Unter dem Motto „Wachstum um jeden Preis“ haben sie fast täglich neue Bohrungen unternommen und neue Projekte angestoßen, letztlich aber den Investoren wenig Geld eingebracht. Die Aktionäre haben daher die Krise des vergangenen Jahres dazu genutzt, die Unternehmensführungen auf eine ganz andere Linie zu bringen, mit Profitabilität und Nachhaltigkeit der Gewinne als oberste Maxime. Dies wiederum führt dazu, dass weniger investiert wird. Dementsprechend wird auch weniger produziert. Das Ganze geht aber noch viel weiter: Mit Blick auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit gab es sogar bereits Gerichtsentscheidungen, die große Ölkonzerne dazu bewegt haben, ihre Investitionen hinsichtlich dieser Kriterien zu überdenken und ihre Emissionen zu reduzieren. Man konzentriert sich dabei aber nicht nur darauf, die eigenen Emissionen bei der Förderung zu reduzieren. Es geht auch um die sogenannten Scope-3-Aspekte, also um den Verbrauch und die Emissionen bei der Verbrennung von Öl, die in der Kalkulation berücksichtigt werden sollen. Dies alles wird dazu führen, dass die Konzerne gar nicht mehr in neue Ölprojekte investieren. So hat jetzt die Internationale Energieagentur, die sich in den vergangenen 40 Jahren eher als Lobbygruppe für die Ölbranche präsentierte, den Vorschlag unterbreitet, ab sofort sämtliche Investitionen in neue Projekte einzustellen und nur noch bereits bestehende Projekte weiter zu betreiben. Die Folge von alldem ist unschwer auszumachen: Die Produktion der Ölkonzerne wird in den kommenden Jahren deutlich sinken.

Was bedeutet das für die künftige Entwicklung des Ölpreises?

Es ist noch offen, wie sich das auf den Ölpreis auswirken wird. Denn auf der anderen Seite werden Konsumenten dazu animiert, mehr oder weniger freiwillig ihren Verbrauch fossiler Energieträger einzuschränken.

Der stellvertretende russische Mi­nisterpräsident Alexander Nowak hat gesagt, es kann noch zu einem Ölpreis von 200 Dollar kommen.

Man kann hier sicherlich nichts ausschließen, auch wenn ein Preis von 200 Dollar eher unwahrscheinlich ist. Aber es wird ja nicht notwendigerweise weniger Öl produziert. An die Stelle westlicher Konzerne werden andere Anbieter treten, nämlich die staatlichen Ölgesellschaften der nichtwestlichen Länder. Diese Anbieter, die unter anderem in der Opec organisiert sind, werden möglicherweise in wenigen Jahren zwei Drittel zur weltweiten Produktion beisteuern. Sie könnten die Preise in die von Ihnen gewünschte Richtung bewegen. Schon in den kommenden Monaten sind Preise von 80 Dollar und darüber durchaus möglich.

Aus Anlegersicht haben sich die Preise der Industriemetalle sehr positiv entwickelt. Wo sehen Sie in diesem Bereich Chancen für Anleger?

Das Thema der Elektromobilität ist bei den Metallen gegenwärtig sehr präsent. Davon sollten in erster Linie Kupfer und Nickel profitieren. Elektroautos haben einen wesentlich größeren Kupferanteil, während Nickel Kobalt in den Batterien verdrängen wird. Zukünftig wird die Nachfrage aus dem Bereich Batterie mehr als die Hälfte des gesamten Verbrauchs an hochreinem Nickel ausmachen. Noch ist der Preis von Nickel weit von der Notierung von Kobalt entfernt. Das kann sich aber in den kommenden Jahren ändern. Außerdem wird der gesamte Bereich der Industriemetalle von denen enormen Infrastrukturinvestitionen profitieren. Wir sprechen von Billionen Dollar, die direkt oder indirekt in die Infrastruktur investiert werden sollen. Mehrere Hundert Milliarden Dollar gehen direkt in den Ausbau der Verkehrsnetze, des Stromnetzes, der Sanierung von Gebäuden und Ähnliches. Davon werden die baunahen Metalle wie beispielsweise Stahl, Nickel, Kupfer und Aluminium profitieren. Dem steht teilweise ein auch aus Umweltschutzgründen begrenztes Angebot gegenüber. So ist beispielsweise in Chile und Peru für die Kupferminen Umweltschutz schon seit Jahren eine große Herausforderung.

Die Preise für Agrarrohstoffe sind ebenfalls sehr stark gestiegen. Was sind die Gründe dafür?

Während starke Preisanstiege in diesem Bereich in der Vergangenheit oft spekulationsgetrieben waren, kann man diesmal fundamentale Gründe anführen, nämlich eine solide Nachfrage bei einem sehr knappen Angebot. Ein Grund dafür ist die sich fortsetzende Landflucht in China, die die Abhängigkeit des Landes von Nahrungsmittelimporten erhöht. Agrarrohstoffe sind aber stark zyklische Güter, weil das Angebot in vielen Fällen relativ kurzfristig deutlich erhöht werden kann.

Wie halten Sie es mit Investments in diesem Bereich?

Wie viele deutsche Banken raten wir aus ethischen Gründen von Investments im Bereich der Agrarrohstoffe ab. Anleger können aber beispielsweise in die Aktien von Düngemittelherstellern investieren.

Das Interview führte