Digitale Anlagen

Große, weite Blockchain-Welt

Fondsmanager sehen innerhalb der Blockchain-Welt Chancen abseits der Kryptowährungen. Im Lieferkettenmanagement und Finanzwesen bestünden zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für dezentrale Lösungen.

Große, weite Blockchain-Welt

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Kryptowährungen erfahren im laufenden Jahr gewaltige Aufmerksamkeit – doch stellen sie nur die Speerspitze eines größeren Trends dar. So argumentiert eine wachsende Zahl an Analysten, die Blockchains als Fundament für die Wirtschaft der Zukunft sehen. Auch die Unternehmen haben sich dieser Meinung offenbar angeschlossen. Laut dem „Global Blockchain Survey“ der Beratungsgesellschaft Deloitte stimmen 81% der 1280 befragten Manager aus verschiedenen Branchen der Aussage zu, Blockchain-Technologie sei umfassend skalierbar und habe bereits eine Adaption im Mainstream erreicht. Unter den 320 Umfrageteilnehmern aus der Finanzdienstleistungsbranche betrug der Anteil der Zustimmungen sogar 84%.

Das Spektrum der Einsatzmöglichkeiten fällt dabei breit aus. Zwar nennen 44% der Befragten Digitalwährungen als bestimmenden Anwendungsfall, am häufigsten genutzt werden Blockchains laut der Deloitte-Studie aber zum sicheren Informationsaustausch. Zudem findet sich unter den zehn häufigsten Blockchain-Einsatzgebieten die Nachverfolgung von Gütern innerhalb von Lieferketten. „Blockchain-Technologie ist global und industrieübergreifend ausgerichtet. Derzeit stellt die Lieferkettenoptimierung einen wichtigen Anwendungsbereich dar“, sagt Laurenz Apiarius, Gründer und Managing Partner des Venture-Capital-Investors Blockwall. Zwar sei der Grad der Digitalisierung in Lieferketten bereits hoch, Distributed-Ledger-Technologien (DLT) trieben aber die Automatisierung bereits bestehender digitaler Prozesse voran.

Belastbare Dokumentation

In der Kaffeeproduktion könnten somit zum Beispiel vom Bauern bis zum Verarbeiter alle das gleiche dezentrale System beschreiben, ihre Einträge seien dann für alle Teilnehmer der Lieferkette gleichzeitig nachvollziehbar und unveränderlich. Die Dokumentation sei somit belastbarer als in der klassischen Papierwirtschaft und erfülle auch die Anforderungen des im Sommer verabschiedeten und 2023 in Kraft tretenden Lieferkettengesetzes. Dieses soll deutsche Unternehmen dazu verpflichten, menschenrechtliche Standards und Umweltschutzkriterien in ihren Lieferketten einzuhalten.

Auch Newton Investment Management, eine Tochter von BNY Mellon Investment Management, beobachtet einen verstärkten DLT-Einsatz in der Lebensmittelindustrie. „In nicht allzu ferner Zukunft werden Kunden im Supermarkt, bevor sie beispielsweise Milch kaufen, den QR-Code scannen, um zu erfahren, wie lange das Produkt unterwegs war, wie lange es im Regal gestanden hat, ob es wirklich biologisch erzeugt wurde und von welchem Bauernhof es stammt“, prognostiziert Erik Swords, Portfoliomanager des BNY Mellon Blockchain Innovation Fund. Möglich machten dies Blockchain-Lösungen, mit deren Hilfe Lieferanten und Lebensmittelhändler zudem flexibler auf Veränderungen bei Angebot und Nachfrage reagieren könnten. Wenn in den Regalen eines großen Supermarktes beispielsweise ein Mangel an bestimmten Gemüsesorten herrsche, werde dies sofort an die Lieferanten weitergegeben und somit eine neue Lieferung angestoßen. Die Zahl solcher Anwendungen steige exponentiell, da Nutzer zunehmend über deren Vorteile informiert seien.

ETF-Anbieter mischen mit

Dieses Wachstum der Blockchain-Welt ruft auch Fondsanbieter auf den Plan. So hat der Assetmanager Van Eck im Frühjahr den Vectors Digital Assets Equity ETF aufgelegt. Damit partizipieren Investoren an der Wertentwicklung von Unternehmen, die mindestens 50% ihrer Erträge direkt oder indirekt mit digitalen Vermögenswerten erwirtschaften. Van Eck folgte mit dem Produkt auf die US-Investmentgesellschaft Invesco, die ihren Elwood Global Blockchain ETF bereits im März 2019 lanciert hatte.

Auf Jahressicht hat das Invesco-Vehikel gegenüber dem als Benchmark herangezogenen MSCI World Information Technology Index eine Outperformance von nahezu 50 Prozentpunkten hingelegt. Zu den größten Positionen zählen die Krypto-Mining-Gesellschaft Hive Blockchain Technologies und der in der Krypto-Brokerage aktive japanische Finanzdienstleister Monex, dessen Aktien im laufenden Jahr Kursgewinne von über 110% bzw. nahezu 80% vorweisen können. Doch auch die Kryptohandelsplattform Coinbase, die im April per Direktlisting den Sprung an die Nasdaq gewagt hatte, ist darunter.

Die Wertentwicklung der Coin­base-Aktie weist seit dem Börsengang eine deutlich positive Korrelation zur Performance von Kryptowährungen wie Bitcoin auf. Ähnlich verhält es sich auch bei anderen Blockchain-Titeln wie der Bank Silvergate Capital, über deren Echtzeit-Zahlungsnetzwerk Nutzer rund um die Uhr Dollar-Transaktionen abwickeln können. Krypto-Trader nutzen das Silvergate Exchange Network als Hilfsmittel, da Cyberdevisen ebenfalls durchgängig gehandelt werden.

Laut Blockwall-Gründer Apiarius verhalten sich Blockchain- und rein auf Kryptowährungen fokussierte Investmentstrategien zwar tatsächlich komplementär zueinander, deckungsgleich seien sie aber nicht. „Einige Investoren dürfen aus steuerlichen und regulatorischen Gründen gar nicht in Token investieren. Außerdem gibt es die klassischen Venture-Generalisten, die im Blockchain-Bereich aktiv werden wollen und für die Investitionen in Unternehmen sehr viel naheliegender sind als Anlagen in Token“, sagt Apiarius. 

Auch bei etablierten Vertretern der Finanzindustrie habe Distributed-Ledger-Technologie an Bedeutung gewonnen. Die US-Technologiebörse Nasdaq sei bereits seit Jahren damit beschäftigt, ihr Settlement zu beschleunigen, und habe dabei einzelne Bausteine mithilfe von Blockchain-Lösungen automatisiert. Für den einzelnen Trader sei das zwar nicht ersichtlich, die Dienstleistung der Nasdaq sei dadurch aber bereits effizienter geworden.

CME führt neue Futures ein

Produktorientierter interpretiert das Thema die weltgrößte Terminbörse: Seit Ende 2017 sind Terminkontrakte auf Bitcoin an der Chicago Mercantile Exchange (CME Group) handelbar, im Februar 2021 kamen Produkte auf Ether hinzu. Am Dienstag vermeldete die CME zudem, dass sie nach den im Mai gestarteten Micro Bitcoin Futures am 6. Dezember auch Mini-Futures auf Ether auflegen werde. Diese werden einen Nennwert von einem Zehntel Ether aufweisen und sollen institutionellen Investoren, aber auch aktiven Privatanlegern zur Verfügung stehen.

Ein weiteres Beispiel für den Digital-Assets-Trend in der Finanzbranche ist laut Apiarius die US-Großbank J.P. Morgan, die den JPM Coin begeben habe – dieser stelle eine digital fungible Version des Dollar dar. Das Geldhaus verfolge damit das Ziel, das Settlement zwischen einzelnen Rechtseinheiten innerhalb des Konzerns zu beschleunigen, was zu Effizienzgewinnen führe. In der Folge hätten sich inzwischen 50 Banken dem JPM Coin angeschlossen.  

Banken öffnen sich

Dies zeige das Potenzial von Distributed-Ledger-Technologien, das sich auch im Trendthema Decentralized Finance (DeFi) niederschlagen werde. Der Grundgedanke hinter DeFi besteht darin, auf zentrale Intermediäre wie Börsenmakler und Banken zu verzichten. Stattdessen soll eine offene, transparente und nutzergeführte Finanzinfrastruktur entstehen. „DeFi verzeichnet weltweit ein enormes Wachstum, zu dem Blockchain-Technologie einen gewaltigen Beitrag leistet“, betont Apiarius. Noch sei der Markt aus Sicht vieler Großbanken zwar zu klein und experimentell, in den vergangenen Jahren seien die Finanzinstitute aber aufgeschlossener geworden.

Eine der spannendsten Lösungen im DeFi-Bereich seien indes dezentrale Börsen, an denen Anleger direkt untereinander handeln könnten. Das Orderbuch, das dort bestehe, könne also dezentral geführt und umgesetzt werden – auf Kryptoplattformen wie Solana werde diese Funktion mit beachtlicher Geschwindigkeit ausgebaut. „Das klassische Aktiensettlement fällt dabei komplett weg, da die Assets direkt beim Käufer und Verkäufer verwahrt werden können und keine dritte Partei mehr zwischengeschaltet werden muss“, sagt Apiarius.

Darauf aufbauend seien weitere Anwendungen, zum Beispiel das Krypto-Borrowing und -Lending entstanden. „Wer seine digitalen Assets verleiht, kann darauf noch attraktive Zinsen einfahren und muss keine Kapitalertragsteuern auf einen Verkauf bezahlen“, sagt Apiarius. Dem stünden Marktteilnehmer gegenüber, die kurzfristig auf der Suche nach großen Volumen an Kryptowährungen seien. Zudem gebe es inzwischen sogenannte Yield-Aggregatoren, die mit den Borrowing-Lending-Plattformen verbunden seien.

Wenn ein Investor dort digitale Assets eingebe, verleihe der Aggregator diese an die Plattform aus seinem Portfolio mit den bestmöglichen Konditionen weiter. Dadurch entstehe ein Zinseszins, der alle 30 Sekunden ausgeschüttet und automatisch wieder angelegt werde. Der Zinseszinseffekt falle auf das Jahr gesehen im Schnitt 25% höher aus als in klassischen Modellen. „Dieses Renditesystem ist für die Assetmanagement-Branche perspektivisch extrem spannend“, sagt Apiarius. Einer der größten Yield-Aggregatoren, Yearn Finance, funktioniere bereits wie ein voll automatisierter Hedgefonds, der öffentlich zugänglich sei. 

Prinzipiell liefen die Investmentmöglichkeiten im DeFi-Bereich somit auch zu großen Teilen über Kryptowährungen. Allerdings investiere der Venture-Fonds von Blockwall auch in Fintechs, die daran arbeiteten, der Kryptoanlage die Komplexität zu nehmen – zum Beispiel über Apps, in die Nutzer per Sepa-Überweisung einzahlen könnten und die im Hintergrund mit den Protokollen der Yield-Aggregatoren interagierten, um den Zinseszins in der App an den Nutzer zurückzuführen. „Wenn ein Anbieter schnell große Volumen erreicht und einen soliden Zins auszahlt, könnten die etablierten Assetmanager massive Konkurrenz erhalten“, prognostiziert Apiarius. Denn für Vermögensverwalter ergäben sich weiterhin hohe Personal- und Infrastrukturkosten – dem stünden voll automatisierte DeFi-Protokolle gegenüber, die eine gewaltige Rechenleistung zu praktisch nicht existenten Kosten abspulten.

Mehr Börsengänge erwartet

Die Investmentgelegenheiten im DeFi-Bereich dürften sich laut Apiarius künftig über den Venture-Capital-Bereich ausdehnen – so werde die Zahl der Börsengänge im Segment vermutlich zunehmen. „Der Markt dehnt sich weiterhin extrem stark aus. Wenngleich Private-Equity-Investoren großvolumige Mittel aufbringen, sind die privaten Finanzierungsmöglichkeiten ab einem gewissen Punkt eben ausgeschöpft, und es braucht Public Equity, um den Wachstumskurs fortzuführen“, sagt der Blockwall-Gründer. Dass verstärkt börsengehandeltes Kapital in DeFi fließe, stelle auch eine Validierung des Investmenttrends dar. Langfristig stehe indes auch eine stärkere Konsolidierung in der Branche an, wenn zum Beispiel mehr Aktien von Kryptobörsen öffentlich gehandelt würden. Denn der Aktionärsdruck könne die Notwendigkeit schaffen, sich durch Zukäufe in anderen Regionen zu verstärken.

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