Emerging Markets

Schwellen­länder bieten Potenzial

Auch wenn die gestiegene Rezessionsgefahr ein temporäres Risiko auch für Schwellenländeranlagen bedeutet, spricht die günstige Bewertung für Lokalwährungsanleihen.

Schwellen­länder bieten Potenzial

Von Sven Schubert *)

Eine der großen Überraschungen des Jahres 2023 ist, zumindest bis vor kurzem, die Resilienz der Wirtschaften in den USA und Europa gewesen. Einmal mehr scheint sich zu bewahrheiten, was Milton Friedman 1961 in seinem Artikel „The Lag in Effect of Monetary Policy“ beschrieben hat: Zinserhöhungen wirken mit starker Verzögerung auf die Wirtschaft. Nach heutigem Stand der Wissenschaft entfalten Zinserhöhungszyklen ihren maximalen Effekt zwölf bis 24 Monate nach dem Beginn der Erhöhungen. Daher ist der Stress, welcher sich im März dieses Jahres in Form des Kollapses von drei US-Banken und dem Beinahe-Zusammenbruch der Credit Suisse gezeigt hat, zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt verwunderlich und zeigt, dass die Rezessionsrisiken in Ländern wie den USA, aber auch Europa weiterhin hoch bleiben.

Risiken einer Rezession in den USA und Europa bedeuten in der Regel nichts Gutes für Schwellenländer und sorgen oftmals für starke Kapitalabflüsse und Währungsabwertung. Im Gegensatz zu früheren Zinserhöhungszyklen haben die Schwellenländer ihre Hausaufgaben jedoch deutlich besser gemacht und ihre Verwundbarkeiten über die vergangenen zehn Jahre in vielen Bereichen reduziert. Die Attraktivität von Schwellenländeranlageklassen ist in den vergangenen Monaten gestiegen.

„Carry“ ist zurück

Einer der wichtigsten Stabilisatoren ist der „Carry“ oder Zinsvorteil, welcher über die Attraktivität von Währungen und Anleihen entscheidet. Während Schwellenländer in vergangenen Jahrzehnten oftmals durch Zinserhöhungen in Industrieländern gezwungen wurden mitzuziehen, haben die meisten Schwellenländer ihre Zinsen proaktiv schon vor dem ersten Zinsschritt der USA im März 2022 erhöht. Am eindrücklichsten tat dies wohl die brasilianische Zentralbank, welche zwischen März 2021 und August 2022 den Leitzinssatz um ganze 11,75 Prozentpunkte auf 13,75% angehoben hatte. Positiver Nebeneffekt ist die Stärke des Reals gewesen, welcher sich als eine der wenigen Währungen gegenüber dem Dollar 2022 behaupten konnte und weiteres Erholungspotenzial haben dürfte. Mit 8,6% (Dollar-Anleihen) bzw. 6,6% (Lokalwährungsanleihen) können Schwellenländer insgesamt wieder eine attraktive Rendite aufweisen.

Bewertung ist günstig

Der Zeitpunkt für eine Engagement in Schwellenländern erscheint günstig, auch wenn eine Rezession in den USA bzw. Europa temporäres Rückschlagspotenzial bedeuten könnte. Der sogenannte „Schmerzindex“ von Schwellenländeranlageklassen, welcher die Distanz zwischen dem Allzeithoch und dem derzeitigen Niveau misst, zeigt, dass sämtliche Schwellenländeranlageklassen bereits auf oder nahe Krisenniveaus handeln. So befinden sich Lokalwährungsanleihen 18% unter ihrem letzten Allzeithoch (Aktien: 27%; Dollar-Anleihen: 19%). Sophistiziertere Bewertungsmethoden kommen zu einem ähnlichen Urteil: Die Kaufkraftparität signalisiert derzeit eine Unterbewertung von Schwellenländerwährungen (gemäß der Definition von JPM GBI-EM) von ca. 15% gegenüber dem Dollar und Euro. Der Euro-Dollar-Wechselkurs befindet sich derzeit nahe dem fairen Wert gemäß Kaufkraftparität.

Ein anziehendes Wirtschaftswachstum ist ebenfalls ein wichtiger Treiber für Schwellenländerwährungen, da es Nachfrage nach wachstumsabhängigen Anlageklassen wie Aktien bedeutet. Seit 2020 führt China den globalen Konjunkturzyklus an, wobei es seinen konjunkturellen Tiefpunkt, mit dem tiefsten Wachstum seit nahezu 50 Jahren (2020 ausgenommen), 2022 gehabt haben dürfte. Während der geldpolitische Stimulus im Jahr 2022 aufgrund der restriktiven Covid-Maßnahmen verpuffte, haben die Covid-Lockerungen für eine Belebung der Wirtschaft in sämtlichen Sektoren gesorgt. Sogar der sich seit nunmehr fast drei Jahren im Fallen befindende Immobilienmarkt scheint einen Boden gefunden zu haben. Die hohe Verschuldung Chinas schränkt die Behörden zwar in ihren Mitteln zur Ankurbelung der Wirtschaft ein, dürften einer Erholung von 3% 2022 auf 5% 2023 jedoch nicht im Wege stehen. Unser Konjunkturzyklusmodell bescheinigt China eine rasante Konjunkturerholung im ersten Halbjahr 2023, in einem Umfeld in welchem die USA und Europa mit Rezessionsängsten zu kämpfen haben. Dies dürfte die Aufmerksamkeit in den kommenden Monaten vermehrt auf China lenken und den Yuan stützen.

Dollarstärke gebrochen

Zusätzliche Unterstützung dürfte der Yuan in den kommenden Jahren von einem weiteren strukturellen Trend erhalten: der Diversifikation von Währungs-Exposure. Zwar erscheint es weiterhin unwahrscheinlich, dass der Dollar seinen Reservestatus verliert. Zu dominant sind die USA in Bereichen wie Innovation, Forschung, manchen wichtigen Technologiebereichen und im Militär, um nur einige Bereiche zu nennen. Auch fehlt es an einer ernsthaften Alternative. Dennoch dürfte die Dominanz des Dollar in den 2020er Jahren etwas bröckeln. Davon profitieren könnte insbesondere der Yuan. Zwar ist der jüngste Deal zwischen der chinesischen Ölfirma CNOOC und der französischen Total Energies, zukünftige LNG-Geschäfte in Yuan abzuwickeln, nur ein Tropfen auf den 7,5 Bill. Dollar schweren Devisenhandel (täglich durchschnittliches Handelsvolumen gemäß Statistik der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, BIZ). Aber er spiegelt einen Trend der letzten Jahre wider, der durch den Handelskrieg zwischen den USA und China an Kraft gewonnen hat. Das Einfrieren russischer Zentralbankreserven während des Krieges zwischen der Ukraine und Russland dürfte auch die Zentralbanker dazu motivieren, ihre eigene Währungsdiversifikation von Zentralbankreserven weg vom Dollar voranzutreiben, wobei der Anteil von Dollar-Reserven in Zentralbankportfolios seit 2016 von 65% auf 59% zurückgegangen ist. Dass der Yuan von dieser Entwicklung profitiert, zeigt sich auch in dem Dreijahresbericht der BIZ, der im Dezember 2022 publiziert wurde. So hat der Anteil des Yuan bei Währungstransaktionen von 4% auf 7% zugelegt.

Auch wenn die gestiegene Rezessionsgefahr ein temporäres Risiko für risikobehaftete Anlageklassen und daher auch für Schwellenländeranlageklassen bedeutet, sprechen die günstige Bewertung, der wieder attraktive „carry“ sowie das anziehende Konjunkturmomentum in Asien für Lokalwährungsanleihen für Investoren mit mittel- bis längerfristigem Anlagehorizont.

*) Sven Schubert ist Senior Investment Strategist bei Vontobel.