Energiewende

Wasserstoff-Boom erhält neuen Antrieb

Wasserstoffaktien liegen nach schwierigen Monaten wieder im Aufwind. Die Bemühungen Westeuropas, sich unabhängiger von russischen Energielieferungen zu machen, spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Wasserstoff-Boom erhält neuen Antrieb

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Die Bemühungen um eine unabhängigere europäische Energieversorgung lassen Investoren auf einen neuen Wasserstoff-Boom an den Börsen hoffen. „Im Moment spricht alles für eine Beschleunigung der Energiewende“, kommentiert Pascal Menges, Leiter Aktieninvestment und -Research bei Lombard Odier Investment Managers (LOIM), und verweist auf den Krieg in der Ukraine, die resultierenden Gaspreisanstiege sowie „horrende Energierechnungen“ für Verbraucher. H2-Titel wie die Aktie des norwegischen Elektrolyseanbieters Nel oder das Papier des kanadischen Brennstoffzellen-Produzenten Ballard Power hatten 2020 angesichts ambitionierter internationaler Klimaziele eine gewaltige Rally hingelegt, waren im vergangenen Jahr aber in einen Abwärtssog geraten. Doch in den vergangenen Wochen zeigt der Kurstrend wieder nach oben.

Emirate als Partner

Wasserstoff, so hofft es die Bundesregierung, soll mittelfristig vor allem Erdgas ersetzen. Deutschland hat seine Zusammenarbeit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten bei der Wasserstoffforschung zuletzt ausgebaut, außerdem hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) jüngst auch eine Energiepartnerschaft mit Katar vereinbart. Das vorderasiatische Emirat gilt aufgrund der hohen Sonneneinstrahlung als vielversprechender Standort für eine emissionsfreie Wasserstofferzeugung über Solaranlagen.

Auch die Analysten der US-Großbank J.P. Morgan sehen die Bestrebungen westeuropäischer Regierungen, sich von Rohstofflieferungen aus Russland loszueisen, als Auslöser einer beschleunigten Wasserstoffwende. Durch den Anstieg der Kraftstoffpreise auf rekordhohe Niveaus sei der Kostenunterschied gegenüber grünem H2 massiv gesunken, Letzteres sei somit wettbewerbsfähig ge­worden. „Dadurch entstehen Gelegenheiten – insbesondere für Vertreter von Industrien, die bereits Wasserstoff nutzen, zum Beispiel Raffinerien oder Ammoniakproduzenten“, heißt es bei dem New Yorker Geldhaus.

Für den Elektrolysesektor – also Anbieter von Lösungen für die Aufspaltung von Wasser in Sauer- und Wasserstoff – sei der langfristige fundamentale Ausblick indes unsicherer. Denn die Unternehmen träfen zwar auf eine hohe Nachfrage, allerdings bestünden aufgrund der hohen Herstellungskosten bezüglich ihrer Margenentwicklung auch erhebliche Risiken. Trotzdem könne die aktuelle Energiekrise auch für diese Unternehmen zu kurz- und mittelfristigem politischen Rückenwind führen und über die kommenden zwölf Monate ein stärkeres Auftragsmomentum auslösen als ursprünglich erwartet. J.P. Morgan geht deshalb davon aus, dass in Europa bis 2030 Elektrolysekapazitäten von 102 Gigawatt installiert sein werden – zuvor hatte die Prognose der Analysten noch auf 83 Gigawatt gelautet. Potenzial für weitere Korrekturen nach oben bestehe, wenn global und regional koordinierte Wasserstoffprojekte an Schwung gewännen.

„Europa bleibt das Zentrum der Wasserstoffentwicklung“, sagt LOIM-Aktienstratege Menges. „Mehr als die Hälfte der angekündigten Projekte und geschätzte Investitionen in Höhe von 130 Mrd. Dollar entfallen auf Europa.“ Proportional betrachtet schreite das Wachstum in anderen Regionen, zumindest gemessen am Anstieg der neuen Projektankündigungen gegenüber dem Vorjahr, aber noch schneller voran.

Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, dass das Volumen der globalen Wasserstoffnachfrage bis 2030 auf 211 Mill. Tonnen steigen wird, gegenüber 2020 wäre dies ein Wachstum um nahezu 140%. Der Großteil werde dabei wie bisher auf Raffinerien und industrielle Anwendungen entfallen, doch auch auf die Energieversorgung werde ein beträchtlicher Anteil entfallen. Voraussetzung für diese Entwicklung sei aber, dass Wirtschaft und Gesellschaft bezüglich des Ziels von Netto-null-Emissionen bis 2050 im Plan lägen. Diesbezüglich sei aber noch viel Arbeit notwendig – gerade in der Wasserstoffherstellung. Denn diese basiere bislang größtenteils auf fossilen Quellen wie Erdgas oder Kohle, bei der Produktion würden pro Jahr nahezu 900 Mill. Tonnen Kohlenstoffdioxid ausgestoßen.

Großprojekte angekündigt

Würde der globale H2-Verbrauch durch grünen, also auf Elektrolyse basierenden Wasserstoff ersetzt, wären laut J.P. Morgan 1000 Gigawatt an Elektrolysekapazitäten notwendig. Gerade dies unterstreiche aber die enorme Wachstumschance, die infolge einer beschleunigten H2-Transition bestehe. Die Projektpipeline füllt sich jedenfalls. „So haben beispielsweise Iberdrola und BP vor kurzem Investitionen in neue Kraftwerke zur Erzeugung von grünem Wasserstoff auf der Iberischen Halbinsel beziehungsweise in Groß­britannien angekündigt“, führt Menges aus.

Der Ölkonzern aus dem Vereinigten Königreich erwäge zudem die Produktion von grünem Wasserstoff in Raffinerien in Deutschland, Spanien und den Niederlanden und wolle am Markt für kohlenstoffarmen Wasserstoff bis 2030 einen Anteil von 10% einnehmen.

Viele nachhaltigkeitsbewusste Marktteilnehmer dürften aber wohl weiter vor Investitionen in BP zurückschrecken und eher über Pure Plays den Zugang zum Wasserstofftrend suchen. Die Ausblicke für einen der bekanntesten Werte der Branche, Nel, fallen allerdings wesentlich verhaltener aus als noch vor einem Jahr: Laut dem Informationsdienstleister Bloomberg ist der Anteil der Analysten, die zu einem Kauf der Aktie raten, inzwischen auf knapp 42% gefallen. Dagegen raten 25% der Investmenthäuser dazu, den Titel zu halten – und ein Drittel votiert auf „Untergewichten“ oder „Verkaufen“. Zu den Pessimisten gehören auch die Analysten von J.P. Morgan. Sie bescheinigen dem Management von Nel zwar große Ambitionen – allerdings berge der rasante Ausbau der Elektrolysekapazitäten des Unternehmens auch die Gefahr, dass das Nachfragewachstum nicht mit dem Angebot Schritt halten könne. Niedrige Nutzungsraten der Wasserstoffanlagen könnten zu einer zusätzlichen Margenbelastung werden.

Optimismus für ITM Power

Dagegen hat die US-Großbank den britischen Elektrolysespezialisten ITM Power jüngst von „Neutral“ auf „Overweight“ hochgestuft. Die moderneren Produktionsbedingungen in der neuen Gigafactory des Unternehmens in Sheffield ermöglichten einen höheren Output zu niedrigeren Kosten und somit eine gesteigerte Profitabilität. Allerdings war die ITM-Aktie ebenso wie andere Werte aus dem Sektor in der Vergangenheit wiederholt heftigen Kursschwankungen ausgesetzt.

Inzwischen sind aber mehr Exchange Traded Funds (ETFs) mit Wasserstofffokus verfügbar als in vergangenen Boomphasen, mit denen Anleger am Aufschwung der Gesamtbranche partizipieren können, statt nur bei volatilen Einzelwerten mitzumischen. Ein im Februar 2021 aufgelegtes Vehikel des Anbieters Legal & General kommt mittlerweile auf ein Volumen von 554 Mill. Dollar, bei einem Konkurrenzprodukt von Van Eck beläuft sich das verwaltete Vermögen immerhin auf knapp 100 Mill. Dollar. Die Performance der Indexfonds hat nach schwachem Start zuletzt gedreht – und auch ein neuer ETF von Global X hat seit Auflage Anfang Februar deutliche Gewinne verzeichnet. Zudem ist mit der BNP Paribas inzwischen eine europäische Großbank mit einem fokussierten Passivprodukt im Segment vertreten und setzt somit auf einen neuen H2-Boom.

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