Großbritannien

Abschied vom Wachstums­versprechen

Wirtschaftliche Stagnation wäre mit dem Haushalt, den Jeremy Hunt vorgestellt hat, bereits ein Erfolg. In Großbritannien wächst in den kommenden Jahren wohl nur noch der öffentliche Sektor.

Abschied vom Wachstums­versprechen

Es ist kein Zufall, dass in Großbritannien wieder intensiv über das Verhältnis zur EU diskutiert wird. Das Land befindet sich in einer schweren Krise. Die mit dem Brexit verbundenen Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Dabei spielt es für seine Bürger keine große Rolle, ob die Pandemie oder der Krieg in der Ukraine dafür gesorgt haben, dass die Inflation durch die Decke geht und das Gesundheitswesen kollabiert. Fakt ist, dass Boris Johnsons „Build Back Better“-Schönrednerei die Probleme ebenso wenig lösen konnte wie seine Nachfolgerin Liz Truss, die sich Margaret Thatcher zum Vorbild genommen hatte. Träume, das Vereinigte Königreich werde wirtschaftlich aufblühen, sobald die Steuern gesenkt und belastende aufsichtsrechtliche Vorgaben abgeschafft worden sind, zerstoben schnell. Denn zur Gegenfinanzierung schwiegen sie und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng sich aus. Und keiner traute ihrer Regierung zu, die von ihr angestrebte umfassende Deregulierung tatsächlich verwirklichen zu können. Die Renditen britischer Staatsanleihen schossen nach oben, die Monatsraten, mit denen viele britische Eigenheimbesitzer ihre Hypotheken abzahlen, ebenso. Rishi Sunak, der dritte Premierminister in diesem Jahr, hat es gemeinsam mit seinem Schatzkanzler Jeremy Hunt zwar geschafft, die Finanzmärkte gnädig zu stimmen. Doch hat die Ruhe ihren Preis: den Abschied vom Wachstumsversprechen, das all die Jahre Hoffnungen auf einen steigenden Lebensstandard genährt hat.

Wenn in den kommenden Jahren noch etwas wachsen wird, dann der ohnehin schon aufgeblähte und zunehmend ineffiziente öffentliche Sektor. Schließlich muss man den Söhnen und Töchtern aus gutem Hause, die es in der freien Wirtschaft nicht schaffen, ausreichend gut dotierte Positionen zur Verfügung stellen können. Das ist man seiner Klientel schuldig. Wenn sich sonst noch etwas regt, wird es zu Tode besteuert. Die sogenannte Übergewinnsteuer (Windfall Tax) für die Öl- und Gasbranche zeugt von der Verzweiflung, mit der nach Einnahmequellen gesucht wird, um überfällige Kürzungen bei den Ausgaben zu vermeiden. Eigentlich handelt es sich dabei um einen Vorschlag von Klimaschützern und Opposition. Sunak brachte sie noch in seiner Zeit als Johnsons Schatzkanzler an den Start. Allerdings ermöglichte er den Energiekonzernen, Investitionen in Großbritannien zu 80 % abzusetzen. Schließlich verfügt das Land noch über Gasvorhaben, die dringend erschlossen werden müssen. Der nächste Winter kommt bestimmt, und eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung ist die Grundvoraussetzung für Wachstum. Die Karrierebeamten des Schatzamts, die Hunt seinen Haushaltsentwurf in die Feder diktierten, erhöhten jedoch nicht nur die Übergewinnsteuer und verlängerten den Zeitraum, in dem sie erhoben werden soll. Die Unternehmen dürfen auch nur noch 28 % ihrer Investitionen verrechnen, was viele umgehend dazu veranlasste, ihre Investitionsplanung auf den Prüfstand zu stellen. Stromversorger wurden ebenfalls mit einer Windfall Tax belegt. So kommt schnell Geld in die Staatskasse, doch bleibt die Frage, wie Großbritannien den Übergang zur Nullemissionswirtschaft bewältigen soll, auf Jahre hinaus unbeantwortet. Alle betroffenen Unternehmen müssen überdies fürchten, dass aus den angeblich temporären Belastungen permanente Steuern werden. Zudem will Hunt die Körperschaftsteuer erhöhen. Londoner Banken werden bald mehr Steuern zahlen als Frankfurter Institute.

Hunt weiß, dass sich Banken, Ölkonzerne und Stromversorger keiner großen Beliebtheit erfreuen. Das gilt auch für Rüstungskonzerne. Deshalb sorgte die Ankündigung, das Verteidigungsbudget nicht auf 3 % des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, sondern bei den von der Nato erwarteten 2 % zu bleiben, für keinen öffentlichen Aufschrei. Sie bedeutet jedoch ausbleibende Aufträge für Unternehmen wie Babcock. Die Schrumpfung von Großprojekten wie Northern Powerhouse Rail und die Hochgeschwindigkeitstrasse HS2 trifft die Bauindustrie. Die Erhöhung des Mindestlohns von 9,50 auf 10,42 Pfund mag der Regierung das Image verschaffen, etwas für die Schwachen in der Gesellschaft zu tun. Sie wird aber auch dafür sorgen, dass viele Geringverdiener erstmals einkommensteuer- und sozialversicherungspflichtig werden.

Wirtschaftliche Stagnation wäre mit so einem Programm bereits ein Erfolg. Unternehmen werden kaum bereit sein, mehr in Großbritannien zu investieren.

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