Zahlungsausfälle

Auf die US-Banken kommen mehr Kreditausfälle zu

Ratingagenturen rechnen für das laufende Jahr mit deutlich steigenden Kreditausfällen. Die Rückstellungen der US-Banken für die Risikovorsorge werden laut Analysten daher noch steigen müssen.

Auf die US-Banken kommen mehr Kreditausfälle zu

In den Kreditportfolios der US-Banken sind Bausteine locker: Die Ratingagentur S&P Global geht davon aus, dass die Ausfallraten im Unternehmenssegment 2023 anziehen werden. Gerade unter Schuldnern mit niedriger Bonität stünden wohl erhebliche Anstiege bevor: Im pessimistischen Szenario geht S&P Global von einem Sprung der Default-Rate von 6% aus. Doch auch die Basisannahme von 3,75% würde im Vergleich zu 2022 mehr als eine Verdopplung darstellen.

„Dass der Druck zunimmt, ist auch dem Ausgangsniveau geschuldet – schließlich ist das Volumen der Zahlungsausfälle seit dem Corona-Crash 2020 historisch niedrig ausgefallen“, gibt Greg Hertrich, Leiter US-Bankenstrategie beim japanischen Finanzdienstleister Nomura in New York, zu bedenken. Dennoch seien notleidende Kredite und Assets auf den Bilanzen zu beachten, die durchaus zu einem Sprung der Netto-Abschreibungen führen könnten.

Erhebliche Herausforderung

Für die US-Banken birgt dies nicht zu unterschätzende Herausforderungen. Im Schlussquartal des vergangenen Jahres haben die sechs nach Bilanzsumme führenden Finanzinstitute 4,5 Mrd. Dollar für faule Kredite beiseitegelegt. Insgesamt wuchs die Risikovorsorge aller durch den staatlichen Einlagensicherungsfonds FDIC geschützten Kredithäuser zwischen Oktober und Dezember laut S&P um über 20 Mrd. Dollar.

„Angesichts der ökonomischen Unsicherheit dürften die Rückstellungen weiter wachsen“, betonten die Analysten von S&P jüngst im Rahmen eines Ausblicks für den Bankensektor. Die Vorsorge werde im Verhältnis zur Gesamtgröße der Kreditportfolios weiter zunehmen. Zuletzt lag der Quotient aus beiden Volumina mit 1,6% deutlich unter den Niveaus zur Hochphase der Corona-Pandemie im Jahr 2020.

S&P geht im Basisszenario von einem Anstieg auf 1,75 % im laufenden Jahr aus. Allerdings könne die Quote in Reaktion auf steigende Abschreibungen auch auf bis zu 2 % zunehmen – und die Eigenkapitalrentabilität der Banken bis in den mittleren einstelligen Prozentbereich drücken.

Ein stärkerer Absicherungsbedarf ergebe sich auch daraus, dass das Volumen der Kreditvergabe an Finanzdienstleister ohne Einlagengeschäft in den vergangenen Jahren rasant gestiegen sei. Dazu zählen neben Versicherern, staatlich geförderten Hypothekenbanken und Pensionsfonds auch Private-Equity- und Venture-Capital-Investoren und Hedgefonds. Während sich das Volumen der Kredite an diese Schuldner laut S&P 2015 noch auf unter 300 Mrd. Dollar summierte, belief es sich im vergangenen Jahr auf mehr als 700 Mrd. Dollar.

Höhere Rückstellungen für faule Kredite bedeuten anhaltende Belastungen für die Überschüsse der Großbanken. Dies hob auch John Waldron, Präsident und Chief Operating Officer von Goldman Sachs, in der abgelaufenen Woche beim Investorentag des Geldhauses hervor. Dabei haben die Liquiditätsverknappung an den Finanzmärkten und daraus resultierende Einbrüche der Gebühreneinnahmen aus dem Aktien- und Anleihe-Underwriting zuletzt ohnehin schon auf den Nettogewinnen gelastet. Bei Goldman brach der Gewinn infolge von um 48% gesunkenen Erträgen aus dem Investment Banking und Kreditrückstellungen von 972 Mill. Dollar im Schlussquartal 2022 um 66% ein.

Erhebliche Unterschiede

Unterdessen fällt auf, dass zwischen den Vorsorgemaßnahmen der einzelnen Geldhäuser große Unterschiede bestehen. Die traditionell schärfste Goldman-Konkurrentin Morgan Stanley etwa legte zwischen Oktober und Dezember lediglich 87 Mill. Dollar beiseite – die breiter aufgestellte J.P. Morgan dagegen 1,4 Mrd. Dollar. Auch die Verhältnisse zwischen dem Volumen der Rückstellungen und der Gesamtgröße der Kreditportfolios heben sich mitunter deutlich voneinander ab.

Die Abweichungen dürften mit Unterschieden in den Zusammensetzungen der Kreditportfolios und der Gesamtbilanzen zusammenhängen, wie Nomura-Stratege Hertrich betont. Soll heißen: Wer stärker im Hypothekengeschäft aktiv ist, hat einen anderen Absicherungsbedarf als ein Finanzinstitut mit stärkerem Junk-Loan-Geschäft. Auch die Präsenz im Privatkundengeschäft spielt eine bedeutende Rolle, sind die Kreditkartensalden amerikanischer Verbraucher in den vergangenen beiden Jahren doch massiv gestiegen.

Der Effekt zeigt sich auch bei Goldman: Die Bank startete 2016 einen bisher kostspieligen Ausflug ins Consumer Banking und unterhält Kreditkartenpartnerschaften mit dem Technologieriesen Apple und dem Autobauer General Motors. Die darüber generierten Erlöse sollen 2023 zwar erstmals das Volumen der Abschreibungen und Rückstellungen überschreiten. Doch sei auch zu beachten, dass jeder Anstieg der US-Arbeitslosenquote, der über die Basisannahme von Goldman hinausgeht, eine Ausweitung der Kreditrisikovorsorge um 150 Mill. Dollar nötig machen könne, wie die Chefin der auf das Consumer und Transaction Banking fokussierten Sparte Platform Solutions, Stephanie Cohen, jüngst beim Investorentag betonte.

Nomura-Stratege Hertrich geht trotz der Tatsache, dass einige Großbanken bis ins zweite Quartal 2022 Risikoreserven auflösten, davon aus, dass die Finanzinstitute ihre Positionen eher konservativ bewerten. Dies hänge mit dem 2016 herausgegebenen Rechnungslegungsstandard CECL (Current Expected Credit Losses) zusammen. „Im Zuge der Accounting-Umstellung haben viele Finanzinstitute ihre bestehenden Kreditportfolios grundsätzlich neu evaluiert“, sagt der ehemalige Deutschbanker. Dies präge auch die Entscheidungen bezüglich der künftigen Kreditvergabe und des Absicherungsbedarfs.

Für Banken, die neu in ein Segment wie das Kreditkartengeschäft einsteigen, sei die Risikoabwägung dagegen schwieriger. „Finanzinstitute tendieren in einer solchen Situation dazu, nur die aktuelle Marktlage zu betrachten“, führt Hertrich aus. Damit bewerteten sie die Aussichten bezüglich der Credit Performance anders als Anbieter, die auf eine größere Datenhistorie zurückgreifen könnten. Für Neulinge in speziellen Geschäftsbereichen sei es deshalb ratsam, mit erfahreneren Marktteilnehmern zu kooperieren. „Der CECL-Standard bietet diesbezüglich Vorteile, weil die Aktivitäten spezialisierter Lender durch ihn transparenter werden“, betont der Nomura-Stratege.

Zinskurve im Fokus

Neben der Betrachtung der bisherigen Credit Performance werde die Vorsorge-Strategie der amerikanischen Banken indes auch entscheidend durch die Entwicklung der Treasury-Zinskurve beeinflusst. Diese ist derzeit steil invertiert: Sprang die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen in der abgelaufenen Woche infolge der Erwartung einer anhaltend restriktiven Fed-Geldpolitik wieder über die Marke von 4%, liegt die laufende Verzinsung zweijähriger Titel noch deutlich darüber. Nomura erwartet, dass sich das Verhältnis erst ab dem kommenden Jahr langsam wieder normalisiert.

Eine Inversion der Zinskurve gilt als verlässliches Signal für eine Rezession in den darauffolgenden zwölf Monaten. Über die Schwere der Rezession ist damit nichts gesagt. Diese – und die Dauer des Ab­schwungs – stellen laut S&P derzeit schwierig zu bewertende Risiken für die Banken dar. Einerseits spekulieren Investoren immer noch darauf, dass eine schwere Rezession die Federal Reserve dazu zwingen wird, die Liquiditätszufuhr an den Märkten früher als gemeinhin erwartet wieder zu erhöhen. Andererseits könnte eine schwere Rezession dazu führen, dass sich noch mehr Bausteine in den Kreditportfolios der Banken lockern.

Von Alex Wehnert, New York

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