Verbriefungsmarkt

Weniger Regulierung löst nicht das Problem

Europäische Top-Banker und Politiker fordern einen stärkeren Verbriefungsmarkt, um die nachhaltige Transformation zu finanzieren. An sich eine gute Idee, doch weniger Regulierung hilft nur bedingt.

Weniger Regulierung löst nicht das Problem

Über die Jahreswende haben Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, BNP-Paribas-Deutschlandchef Lutz Diederichs und Bundesfinanzminister Christian Lindner vehement die Werbetrommel für die Wiederbelebung des europäischen Verbriefungsmarkts gerührt. Bei allen dreien schwang mehr oder weniger direkt formuliert die Forderung nach weniger Regulierung mit. Wie passend, dass Oliver Wyman kurz darauf eine Studie veröffentlicht hat, die nicht nur fein säuberlich die Kosten der Regulierung und den daraus resultierenden Wettbewerbsnachteil für die europäischen Banken vorrechnet, sondern auch aufzeigt, wie ein europäischer Verbriefungsmarkt den EU-Banken theoretisch dabei helfen würde, die Lücke zu den US-Wettbewerbern zu verringern. Mitherausgeber der Studie ist die European Banking Federation, der Dachverband der euro­päischen Bankenverbände.

Ein wiederbelebter Verbriefungsmarkt würde bei europäischen Banken Billionen freisetzen, die wiederum für die Finanzierung der nachhaltigen Transformation der europäischen Wirtschaft verwendet werden könnten, ködert die Banken-Lobby. Ein verlockendes Angebot im Namen der Nachhaltigkeit, da es für dieses Generationenprojekt einen Finanzierungsdreiklang aus Banken- und Kapitalmarkt sowie staatlicher Förderung benötigen wird. Ein größerer und tieferer europäischer Kapitalmarkt ist da nur begrüßenswert. Verbriefungen können dazu einen wichtigen Beitrag leisten, da sie Risiken auf mehrere Schultern verteilen. Sie sind deshalb nicht grundsätzlich zu verteufeln, bedürfen aufgrund ihrer systemgefährdenden Auswüchse vor der Finanzkrise aber einer kritischen, regulatorischen Überwachung. Weniger Regulierung würde es für Banken an der ein oder anderen Stelle vermutlich leichter und ganz sicher lukrativer machen, Kredite zu verbriefen. Ob weniger Regulierung aber für den entscheidenden Schwung im Verbriefungsmarkt sorgen kann, ist dennoch fraglich. Die strukturellen Probleme würden dadurch nicht gelöst. Solange es keine Kapitalmarktunion gibt, haben potenzielle Kreditinvestoren das Problem, dass sie nur schwer in ein „europäisches“ Kreditportfolio investieren können. Zu verschieden sind die Jurisdiktionen, zu heterogen die länderübergreifenden Kreditportfolios. Um in Europa einen mit den USA vergleichbaren Verbriefungsmarkt zu schaffen, müssten Banken zudem ihr Geschäftsmodell grundlegend ändern. Banken müssten zu Intermediären werden, die Kredite strukturieren (Originate) und dann an Investoren weiterreichen (Distribute).

Die Idee des Originate-to-Distribute-Modells ist allerdings auch hierzulande nicht neu. Berater rennen mit diesem Pitch seit Jahren von Bank zu Bank, doch vor allem Mittelständler mögen es nicht, wenn ihr Kredit verkauft wird. Aus Furcht vor aggressiven Investoren pochen sie häufig auf ein Abtretungsverbot im Kreditvertrag. Auch Fintechs wie Crosslend oder Debitos versuchen seit Jahren, den Verbriefungsmarkt in Deutschland und Europa anzuschieben. Die Infrastruktur ist da, Verbriefungen sind auch heute möglich, werden aber nur situativ genutzt. Griechische und italienische Banken haben über den Verbriefungsmarkt ihr milliardenschweres Problem mit faulen Krediten gelöst. Das ging aber nur, weil die Verbriefungsprogramme mit staatlichen Garantien hinterlegt wurden. Und auch die Amerikaner drehen bei der Verbriefung ihrer Immobilienfinanzierungen vor allem deshalb ein so großes Rad, weil sie mit Fannie Mae und Freddie Mac über zwei staatlich geförderte Institutionen verfügen, die für die nötige Liquidität im Markt sorgen, indem sie die Kredite aufkaufen.

Warum Deutschlands Top-Banker auf einen funktionierenden Verbriefungsmarkt mit niedrigeren regulatorischen Hürden so scharf sind, ist klar: Es würde das Kreditgeschäft und damit europäische Banken deutlich profitabler machen, wenn sie ihre Risiken nach amerikanischem Vorbild am Kapitalmarkt ausplatzieren könnten. Der dortige Verbriefungsmarkt entspricht 18% des Bruttoinlandsprodukts, in Europa ist es 1%. In den USA ist allein mehr als die Hälfte des ausstehenden Immobilienkredit-Expo­sures der Banken verbrieft. Könnten EU-Banken die Hälfte ihres Immobilienkreditbestandes auf den Kapitalmarkt transferieren, was laut der Oliver-Wyman-Studie rund 5,2 Bill. Euro entspräche, dann würden sich die Kernkapitalquoten der EU-Banken um 0,9 Prozentpunkte verbessern und das zusätzliche Kreditvergabepotenzial würde sich um sagenhafte 900 Bill. Euro erhöhen. Bei Unternehmenskrediten sei der Hebel theoretisch sogar noch größer. Doch solange Banken diese nicht verkaufen dürfen und ohne eine echte Kapitalmarktunion ändert Deregulierung wenig.

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