Grossbritannien

Truss startet Charme­offensive

Die britische Premierministerin Liz Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng sind auf ihre innerparteilichen Gegner zugegangen. Der mittelfristige Haushaltsplan wird schon Ende Oktober vorgelegt.

Truss startet Charme­offensive

hip London

Die britische Premierministerin Liz Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng haben sich nach dem Tory-Parteitag um Schadensbegrenzung bemüht und eine Charmeoffensive gestartet. Ur­sprünglich wollte Kwarteng seinen mittelfristigen Haushaltsplan erst am 23. November vorlegen. „Ich habe mich dazu entschlossen, diesen Termin auf den 31. Oktober vorzuziehen“, schrieb er dem Vorsitzenden des Finanzausschusses des Unterhauses, Mel Stride. Das werde den unabhängigen Haushaltshütern des Office for Budget Responsibility (OBR) Zeit geben, aktuelle Daten in ihre Einschätzung einzuarbeiten. Stride hieß den Entschluss willkommen. Kwartengs Plan könne „für Millionen von Hypothekenschuldnern von entscheidender Bedeutung“ sein, sollte er an den Finanzmärkten positiv aufgenommen werden.

„Es ist ein bisschen so, als hätte das politische Experiment das Chemielabor in die Luft gejagt“, sagte Ex-Schatzkanzler George Osborne dem Fernsehmoderator Andrew Neil von Channel 4. Jetzt stehe man vor den Trümmern. Die Situation sei wesentlich schlechter für die Tories als noch vor ein paar Monaten, wenn es um die Wahrscheinlichkeit gehe, dass die Tories bei einer Unterhauswahl „ausradiert“ werden.

Kwarteng hatte kurz nach seinem Antritt angekündigt, Steuern zu senken und den Spitzensteuersatz zu streichen, ohne sich näher zur Gegenfinanzierung zu äußern. Das hatte das Pfund auf Talfahrt gegen den Dollar geschickt und die Renditen von Staatsanleihen nach oben gejagt. Dadurch verteuern sich die monatlichen Raten zahlloser Immobilienbesitzer, die nach Ablauf ihrer Hypothek umschulden müssen. Die Bank of England musste am Staatsanleihenmarkt intervenieren, um Pensionsfonds über Wasser zu halten, die riskante Derivatgeschäfte getätigt hatten.

Ein Teil der Gegner von Truss begrüßte die neue Gangart des Schatzkanzlers. Der ehemalige Verkehrsminister Grant Shapps sprach von einem „verspäteten, aber vernünftigen Schritt angesichts der dringenden Notwendigkeit, den Märkten die transparenteste Sicht auf die britische Wirtschaft zu geben“.

Vielsagende Personalien

Von Kwartengs Anspruch, dem Gruppendenken der Ministerialbürokratie, der „Schatzamtsorthodoxie“, ein Ende zu bereiten, ist nicht mehr viel übrig geblieben. Er feuerte zwar Tom Scholar, den ranghöchsten Beamten im Schatzamt, um ein Exempel zu statuieren. Aber Truss votierte gegen die von ihrem Schatzkanzler favorisierte Nachfolgerin Antonia Romero. Statt mit der ranghöchsten Beamtin des Justizministeriums wird sich Kwarteng künftig mit James Bowler auseinandersetzen müssen. Der zwischenzeitlich im Handelsministerium geparkte Karrierebeamte war zuvor mehr als 20 Jahre lang im Schatzamt tätig. „Ich weiß aus erster Hand, wie exzellent die Leute dort sind“, sagte er nach seiner Ernennung.

Zudem machte Truss Greg Hands, einen Unterstützer ihres Rivalen Rishi­ Sunak, zum Staatssekretär im Handelsministerium. Die Stelle war frei geworden, nachdem der bisherige Amtsinhaber Conor Burns vergangene Woche wegen einer Beschwerde über schweres Fehlverhalten auf dem Parteitag entlassen wurde. Wie die BBC berichtet, soll er einen jungen Mann an der Hotelbar angefasst haben. Sein Unterhausmandat ist suspendiert. Am Dienstag nimmt das Parlament seine Sitzungstätigkeit wieder auf. Zudem wird Truss vor dem 1922 Committee sprechen, einem wichtigen Forum, wenn es darum geht, rebellische Hinterbänkler für sich zu gewinnen.

Entgegen allen Versuchen, Brücken zu bauen, bahnt sich ein Streit darüber an, ob es einen vollen Inflationsausgleich für Sozialhilfeempfänger geben soll. Truss legte sich bislang nicht fest. Mit Penny Mordaunt gibt es zumindest eine Befürworterin in ihrem Kabinett. Zuletzt sprach sich auch der ehemalige Schatzkanzler Sajid Javid dafür aus. Die Menschen machten „unglaublich schwere Zeiten“ durch, sagte Javid. Steigen die staatlichen Leistungen lediglich im Einklang mit den durchschnittlichen Lohneinkommen, könnte der Staat 5 Mrd. Pfund sparen.

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