Falken

Wo Zentralbanken straffen

In immer mehr Schwellenländern erhöhen die Währungshüter die Leitzinsen. Das hat mit hohen Inflationsraten und Prävention zu tun. Als erstes Industrieland dürfte bald Norwegen folgen.

Wo Zentralbanken straffen

Während sich die großen vier der Geldpolitik in Washington, Frankfurt, Tokio und London Zeit lassen mit einem Kurswechsel, preschen Währungshüter in Schwellenländern seit Monaten voran. Angeführt von Brasilien und Russland greifen immer mehr Währungshüter in aufstrebenden Volkswirtschaften zu Zinserhöhungen. Zuletzt haben sich Peru und Sri Lanka hinzugesellt –und weitere werden absehbar folgen. Der Trend ist inzwischen so auffällig, dass Strategen der Bank of America konstatieren: „Schwellenländer-Zentralbanken sind so stark falkenhaft ausgerichtet wie nie in den vergangenen 13 Jahren“ – also seit der Weltfinanzkrise.

Brasilien prescht voran

Als „Falken“ gelten im Fachjargon Vertreter einer straffen Geldpolitik. Dass dieser Klub quer über die Kontinente seit dem Frühjahr stetig wächst, ist eine Reaktion auf den unerwartet starken und anhaltenden Inflationsdruck und zugleich ein Akt der Prävention: Aus leidvoller Erfahrung wollen Notenbanker verhindern, dass Anleger wie schon 2013 in großem Umfang Kapital abziehen und Währungen taumeln, sobald sich in den USA die geldpolitische Wende abzeichnet. Das sogenannte „Taper Tantrum“ ist für Fed und betroffene Schwellenländer gleichermaßen ein Trauma, dessen Wiederholung es tunlichst zu verhindern gilt.

Am aggressivsten gehen Brasiliens Währungshüter vor. Sie haben den Leitzins in mehreren Schritten um insgesamt 325 Basispunkte angehoben – und ein Ende ist nicht in Sicht. Angesichts weit über Ziel liegender Inflationsraten haben sie das Tempo der monetären Straffung sogar noch erhöht und angekündigt, auf die Zinserhöhung um 100 Basispunkte Anfang August – die höchst seit fast 20 Jahren – eine weitere in der gleichen Größenordnung folgen zu lassen. Die Währungshüter begründeten dies mit der Absicht, die Inflationserwartungen im Zaum zu halten. Auffällig ist: Brasilien ist als einziges Mitglied der „Fragilen Fünf“ auf Straffungskurs. So haben Beobachter nach den Erfahrungen von 2013 jene Länder getauft, die als besonders anfällig für ein Zurückfahren der expansiven Geldpolitik in den USA gelten. Das sind neben Brasilien die Türkei, Südafrika, Indien und Indonesien.

Im Windschatten Brasiliens vollzieht sich die Zinswende in weiteren Teilen Lateinamerikas. So versuchen Mexikos Währungshüter mit zaghaften Erhöhungen, der Inflation Einhalt zu gebieten. Auch Peru und Chile haben den Leitzins erhöht, Kolumbien dürfte folgen. In Mexiko ist allerdings zu beachten, dass die Amtszeit von Zentralbankchef Alejandro Diaz de León Ende Dezember endet. Sein designierter Nachfolger Arturo Herrera, Finanzminister und Vertrauter von Staatspräsident Andres Manuel Lopez Obrador, hat signalisiert, dass er die Geldpolitik grundsätzlich expansiver auszurichten gedenkt. Das verschiebt die Mehrheitsverhältnisse weiter von den „Falken“ zu den „Tauben“ – und damit hin zu einer Toleranz höherer Inflationsraten.

Früh dran war auch Russland. Nach mehreren Zinserhöhungen um insgesamt 225 Basispunkte auf 6,5% gelten weitere Aufwärtsschritte als eher unwahrscheinlich. Vielmehr gibt es an den Märkten erste Spekulationen, wann Russlands Zentralbank den Leitzins absenken könnte. Im Osten Europas hat gerade Ungarns Zentralbank die dritte Zinserhöhung nachgelegt und mit einem Abschmelzen der Anleihekäufe begonnen. Auch Tschechien strafft.

Inzwischen richtet sich der Fokus nicht mehr nur auf die Schwellenländer, sondern auch nach Norwegen: Aller Voraussicht nach wird sich die Norges Bank auf ihrer Sitzung am 23. September vom Nullzins verabschieden. Die Währungshüter in Oslo haben einstimmig in Aussicht gestellt, den Leitzins um 25 Basispunkte zu erhöhen. Den offiziellen Projektionen zufolge soll der Leitzins bis Ende 2023 zurück auf das Vorkrisenniveau von 1,5% klettern.