Softwaresysteme

Des Schusters Leisten

Im Wettbewerb um die besten IT-Systeme für Autos ist eine Kooperation deutscher Hersteller nicht der Königsweg, um sich im Markt durchzusetzen.

Des Schusters Leisten

Schuster, bleib bei deinem Leisten! Die deutschen Autohersteller sind zwar darum bemüht, diese Redewendung zu beherzigen. Allerdings fällt ihnen das immer schwerer. Denn der Wandel der Technologie in der Vorzeigeindustrie der größten EU-Volkswirtschaft erweitert automatisch die Aktivitäten von BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen. Das Dax-Trio baut und vertreibt eben nicht nur Autos und deren Motoren, sondern erbringt zunehmend digitalisierte Zusatzdienste rund ums Kerngeschäft wie zum Beispiel Carsharing und entwickelt Soft- und Hardware, um die Mo­dernisierung und das autonome Fahren voranzubringen.

Unter dem Punkt Unternehmensgegenstand findet sich in deren Satzungen zu Letzterem explizit entweder gar nichts (BMW und VW) oder nur ansatzweise (Mercedes-Benz), obwohl das Thema Software immer stärker die Geschäftsmodelle der drei Dax-Konzerne prägt. Eine klare und unmissverständliche Erweiterung der Satzung wäre wohl vonnöten, wollten die Unternehmen sich nicht der Kritik aussetzen, gegen die eigenen Statuten zu verstoßen. Für gewiefte Anwälte und aktivistische Aktionäre wäre das vermutlich ein gefundenes Fressen, um auf Hauptversammlungen die Verwaltungen der genannten Aktiengesellschaften vor der Öffentlichkeit auf Trab zu halten.

Diese Lücken in den Satzungen sind ein Beleg dafür, dass der technologische Fortschritt insbesondere auf dem Feld der IT-Betriebssysteme für Autos der Administration der obigen Konzerne längst vorauseilt. Das mag für manchen auf den ersten Blick nur eine juristische Spitzfindigkeit sein, es trifft aber in Bezug auf den langwierigen Transformationsprozess der Adressen in München, Stuttgart und Wolfsburg des Pudels Kern. Denn die Autobauer mutieren zu Produzenten von computergesteuerten Fahrgastzellen auf vier Rädern, die je nach Grad entweder teil- oder bis zu vollautonomes Fortbewegen mit Motoren ermöglichen.

Dieser Wandel birgt zwar Wachstumschancen, aber auch erhebliche finanzielle und strategische Risiken. Die Entwicklung solcher Fahrzeuge ist teuer. Neben dem Ausbau der Elektromobilität verschlingt die Ausweitung des Angebots um ein fast fahrerloses Fahren, gestützt auf Computer- und Sensortechnik, jährlich Milliarden im Forschungs- und Entwicklungsbudget der Unternehmen. Hinzu kommt die Furcht in den Konzernzentralen der etablierten Anbieter, dass diese sich zunehmend von US-Technologieriesen wie etwa Google und Apple in Bezug auf die Kundendaten abhängig machen könnten. Der Zugriff auf diese hochsensiblen Daten durch Externe beträfe das „Gehirn“ der Autohersteller, heißt es überspitzt.

In der Tat ist damit die Gefahr groß, dass ein solcher Weg die Geschäftsmodelle von BMW, Mercedes-Benz und VW unterminieren könnte, sollten sie beim autonomen Fahren zu sehr auf die Hilfe von Google & Co. bauen. Mit eigenständigen IT-Betriebssystemen für Autos versuchen sie, dieses Risiko zu umgehen. Vor allem die Schwaben und der Mehrmarkenkonzern aus der niedersächsischen Tiefebene haben sich das auf die Fahnen geschrieben, während die Münchner bei diesem Thema ergebnisoffener agieren. BMW-Vorstandschef Oliver Zipse plädiert für eine engere Zusammenarbeit der Hersteller auf diesem IT-Gebiet. Sein Argument lautet: Kooperationen sparen viel Aufwand für den Einzelnen und bringen dadurch mehr Kosteneffizienz für alle Beteiligten.

Obgleich dies ökonomisch stichhaltig ist, fraglich ist es aber aus wettbewerbsrechtlichen Gründen. Denn Absprachen auf IT-Ebene dürften die EU-Kommission auf den Plan rufen. Zur Erinnerung: BMW und VW machten bereits schlechte Erfahrungen mit den Brüsseler Wettbewerbshütern, die dem Duo 2021 wegen illegaler Abstimmungen über Adblue-Tanks für eine bessere Diesel-Abgasreinigung eine satte Geldstrafe von zusammen 875 Mill. Euro aufbrummten. Das sollte ein Warnsignal sein.

Mercedes-Benz-CEO Ola Källenius und VW-Chef Herbert Diess scheuen vermutlich auch deshalb eine Zusammenarbeit. Sie vertrauen auf die eigenen Kräfte in Sachen IT. Das sorgt im Wettbewerb mit dem Herausforderer Telsa – dem Vorreiter auf diesem Feld – zwar für Mehraufwand, allerdings entspricht dies eher dem Ideal, die freien Kräfte des Marktes wirken zu lassen, wer sich durchsetzt. Dass dabei Qualität und Verkehrssicherheit Vorrang haben vor Schnelligkeit in der Entwicklung und Datennutzung nach eigenem Gutdünken, diese Erfahrung musste zuletzt der eigenwillige Tesla-CEO Elon Musk mit der obersten Kfz-Zulassungsbehörde in Deutschland machen.

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