Finanzregulierung

Knallerbse

Der nach dem Brexit erwartete Big Bang hat sich als Knallerbse erwiesen. Das Fegefeuer der Regelwerke blieb aus. Daran ändern auch vollmundige Ankündigungen nichts.

Knallerbse

Der britische City-Minister John Glen mag sich noch so große Mühe geben, die Änderungen an von Großbritannien übernommenen EU-Regeln für die Finanzbranche als große Sache zu verkaufen. Der von vielen erhoffte Big Bang ist ebenso ausgeblieben wie das Fegefeuer der Regelwerke. Von der Drohung, das Vereinigte Königreich könnte sich von seinem europäisch geprägten Steuersystem und der Regulierung verabschieden, hat man längst Abstand genommen. Hin und wieder wird eine Knallerbse geworfen, etwa wenn Solvency II oder Mifid optimiert werden sollen. Den Versicherern will die Regierung mehr Flexibilität ermöglichen, um den Weg für langfristige Investitionen in die Infrastruktur des Landes frei zu machen. Zudem will sie den Berichterstattungs- und Verwaltungsaufwand reduzieren. Das ist alles andere als revolutionär. Die geplante Anpassung des Geltungsbereichs der Derivatehandelspflicht hört sich auch nicht so an, als wollte man die Welt auf den Kopf stellen. Man sollte vor allem nicht vergessen, dass auch in Brüssel an der Fortentwicklung der Regelwerke gearbeitet wird, wenn auch ungleich langsamer.

Das Schreckgespenst eines Offshore-Steuerparadieses, eines Singapore-on-Thames, das mehr einem Spielkasino als einem Finanzzentrum ähnelt, lässt sich nicht mehr ernsthaft beschwören. Bei der Financial Conduct Authority (FCA), der Bank of England und im Schatzamt hält man eine Rückkehr zur einst von Labour betriebenen „Light Touch“-Regulierung einfach nicht für eine gute Idee. Eine Abweichung von den europäischen Regeln um ihrer selbst willen böte keine zusätzlichen Chancen. Doch kann man sie nun den eigenen Bedürfnissen anpassen, ohne dafür die Zustimmung von 27 weiteren Ländern einholen zu müssen. Und weil Brüssel im Glauben, ein gewaltiges Druckmittel in der Hand zu haben, London die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Regulierung bislang versagt hat, muss man bei aufsichtsrechtlichen Alleingängen auch keine Angst haben, irgendetwas aufs Spiel zu setzen.

Großbritannien hat nun die Möglichkeit, bei der Finanzaufsicht schneller und geschickter zu agieren. Das gilt vor allem für bislang wenig regulierte Bereiche wie Fintech und Krypto. Gerade bei Kryptowährungen wäre es an der Zeit, es nicht mehr bei Warnungen an Kleinanleger vor Totalverlust zu belassen. In diesem Segment sind komplexe Anlagestrategien, Kryptofutures und andere Derivate entstanden. Es gibt eine dreistellige Zahl von auf Krypto spezialisierten Hedgefonds. Auch traditionelle Hedgefonds zeigen Interesse. Großbanken und Marktinfrastrukturanbieter strecken die Fühler aus. Hier könnte das Schnellboot FCA am europäischen Dickschiff ESMA vorbeiziehen.

Denn der Anlegerschutz spielt bei der Regulierung eine zentrale Rolle. Die Kunden wollen keine Rückkehr zu den Verhältnissen vor der Finanzkrise von 2008, sondern Transparenz und Rechenschaftspflichten. Das mag manch einen enttäuschen, der sich nach den Wildwest-Tagen und den damaligen Vergütungsmodellen zu­rücksehnt. Damals löste der Zusammenbruch des vergleichsweise kleinen Marktes für US-Subprime-Hypotheken Erschütterungen im Fi­nanzsystem aus, die großen und anhaltenden wirtschaft­lichen Schaden anrichteten. Noch ist der Kryptomarkt klein, doch wenn das Thema stärker in den traditionellen Finanzsektor integriert wird und komplexere Strategien verfolgt werden, steigt auch das Risiko von Verwerfungen, die weit über den eigentlichen Markt hinausreichen.

Auch das Thema Green Finance dürfte dafür sorgen, dass es eher mehr als weniger Regeln geben wird. Denn wer sich als „erstes Net-Zero-Finanzzentrum der Welt“ präsentieren will, muss das auch glaubhaft nachweisen können. Für den angestrebten Umbau des Finanzsystems in Richtung Nullemissionswirtschaft sind ebenso klare Regeln nötig wie für die Finanzierung der Energiewende in Schwellenländern oder den freiwilligen Emissionshandel. Auch auf diesen Feldern kann Großbritannien nach dem Brexit flexibler agieren. Will man sich jedoch nicht dem Vorwurf des Greenwashing aussetzen, kommt man um eine Abstimmung mit den Aufsichtsbehörden anderer Länder nicht herum.

Zum Abschluss ein Trost: Schon beim Big Bang ging es nicht in erster Linie um Deregulierung, sondern darum, den Old Boys Club zu zerschlagen und die City für die Welt zu öffnen. London hat das nicht geschadet. Nun muss es sich als eigenständiges globales Finanzzentrum mit solider Regulierung bewähren.

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