Perspektiven nach Ukraine-Krieg

Unternehmen in der künftigen Weltordnung

Gebot der Stunde ist es, Liefer­ketten und Beschaffungsmärkte zu diversifizieren mit möglichst nicht mehr als 25% Abhängigkeit von einem Land.

Unternehmen in der künftigen Weltordnung

Wir leben in einer neuen Weltordnung. Das war schon vor Putins Angriffskrieg auf die Ukraine so – dieser macht es nur schmerzlich überdeutlich. Der Krieg dürfte noch Monate oder Jahre weitergehen, wir werden weiterhin furchtbare Bilder, Kriegsverbrechen, Tausende von Opfern, Hundertausende von Flüchtlingen sehen. Die deutsche, die europäische Politik muss handeln und Jahrzehnte lang gültige Prämissen neu definieren. Auch Vorstände, Aufsichtsräte und Management von deutschen Unternehmen sehen zunehmend, dass das Zeitalter der Globalisierung und offener Märkte vorbei ist und wir im Primat der Geopolitik leben. Diese muss sich spätestens jetzt in der Unternehmensstrategie widerspiegeln.

Doch zunächst ein Blick auf die Lage: Zum Ukraine-Krieg mit möglichen Öl- und Gasembargos kommen die coronabedingten Lieferketten-Unterbrechungen wie aktuell in Schanghai. Energie- und Rohstoffpreise bleiben absehbar hoch, die Inflation steigt, weitere Zinserhöhungen sind zu erwarten. Eine Stagflation im Euroraum wird immer wahrscheinlicher. Zugleich verstärken die hohen Energiepreise den Druck zur Dekarbonisierung, und generell wird ESG immer wichtiger, Geschäfte mit Autokratien werden kritischer gesehen. Ebenso bleibt der Digitalisierungsdruck.

Dazu kommen noch zwei längerfristige geostrategische Variablen hinzu, deren Beleuchtung Teil jeder strategischen Planung von global agierenden Unternehmen sein sollte.

Die erste Variable: Wie wird sich China zukünftig positionieren? Als Unterstützer Russlands, der eine Blockbildung der Autokratien aktiv betreibt mit dem Ziel, ein Gegenmodell zum Westen aufzubauen? China ist zu einer merkantilistisch agierenden Cyber-Autokratie geworden, und Menschenrechte werden unterdrückt. Xi ist ein erklärter Gegner der liberalen Weltordnung, stark antiamerikanisch und baut viele Schwellenländer als Verbündete auf. Gegenüber Moskau spricht er von einer „Partnerschaft ohne Grenzen“. Oder kommt Peking zum Schluss, dass das – zentrale – Wohlstandsversprechen der Kommunistischen Partei gegenüber der Bevölkerung nur aufrechterhalten werden kann, wenn China weiterhin vom Handel mit den USA und vor allem Europa profitiert? So oder so wird der chinesische Markt für deutsche Unternehmen schwieriger werden.

Die zweite geostrategische Frage lautet: Wie lange hält die aktuelle transatlantische Einigkeit und zieht der Westen (G7 plus asiatische Demokratien) gegenüber Russland – und China – an einem Strang? Hier stehen Amerika und Europa vor einigen Stresstests: In den USA würde eine zweite Präsidentschaft Donald Trumps oder eines(r) sehr linken Präsidenten/in die Polarisierung des Landes weiter anheizen. Eine fortgesetzte gesellschaftliche Spaltung der USA wird Auswirkungen auf ihre Fähigkeit haben, in Zukunft eine globale Führungsrolle zu übernehmen. Wie groß wird die Bereitschaft der USA sein, Milliarden auszugeben, um Europa zu verteidigen oder andere strategische Ziele im Ausland zu verfolgen?

Die EU wiederum muss neue Prioritäten setzen: Energie-Unabhängigkeit mit gemeinsamer Beschaffung und noch stärkerem Fokus auf erneuerbaren Energien, LNG, sowie neue Klimaschutztechniken. Und echte Verteidigungsfähigkeit in allen Dimensionen inklusive Cyber. Beides erfordert Billionen öffentlicher Investitionen bei ohnehin angespannten Haushalten. Dafür braucht es Einigkeit und Führungsstärke. Ist diese vorhanden?

Diese beiden Fragen in ihrer Tiefe zu analysieren, daraus Szenarien abzuleiten und aus ihnen jeweils Konsequenzen für das Geschäftsmodell, Märkte, Lieferketten und die Stakeholder-Kommunikation zu ziehen, wird zur Pflicht für Vorstände und Aufsichtsräte. Aus diesen Szenarien sind dann mögliche strategische Konsequenzen zu ziehen.

Pars pro toto: Gebot der Stunde ist es, Lieferketten und Beschaffungsmärkte zu diversifizieren mit möglichst nicht mehr als 25% Abhängigkeit von einem Land. Die Abhängigkeit vom chinesischen Markt zu reduzieren ist bereits ein aufkommender Trend, insgesamt dürfte es ratsam sein, sich auf Märkte zu fokussieren, die Marktwirtschaft, Rechtssicherheit und Stabilität bieten und zugleich ein geringeres Risiko haben, bei geopolitischen Spannungen unzugänglich zu werden. Hier bieten sich neben den G7-Staaten Korea, Australien, Asean und Teile Lateinamerikas an.

Auch bei Produktportfolios ist zu erwägen, auf Klasse statt Masse zu setzen und auf Produkte und Lieferketten mit hoher Qualität und technologischer Exzellenz und ESG als USP. Damit würde das Geschäftsmodell bei einem möglicherweise schrumpfenden Weltmarkt robuster, die Produkte zwar teurer, aber die Margen höher werden. Bei der Finanzierung ist stärker darauf zu achten, dass diese von Investoren aus sicheren, großen und liquiden Märkten wie Vereinigte Staaten, Europäische Union, Großbritannien, Japan oder Singapur kommt.

Operativ sollte angesichts zu erwartender verstärkter Cyberangriffe durch Russland (und China) IT-Sicherheit massiv hochgefahren und zum Vorstandsthema werden. Dort sollte auch die Geopolitik aufgehängt sein. Wo noch nicht vorhanden, sollte ein systematisches Monitoring ebenso eingeführt werden wie regelmäßige Szenario-Übungen. Innovativen Häusern raten wir, proaktiv ein „Political Risk Audit“ einzuführen und im Lagebericht, in Investoren-Präsentationen und im Wertpapier-Prospekten zu verankern.

Die kommenden Jahre werden also herausfordernd. Doch die deutsche Wirtschaft hat in den letzten 150 Jahren viele Krisen und Kriege überstanden und Umbrüche gemeistert. Mit dem richtigen Navigationssystem und Werkzeugkasten wird sie dies auch in der neuen Weltordnung schaffen.

Jan Friedrich Kallmorgen ist Gründer der Geopolitik- und Government- Affairs-Beratung Berlin Global Advisors (BGA). Dr. Katrin Suder sitzt in diversen Aufsichtsräten und berät S&P-500-Unternehmen und Dax-Konzerne in strategischen Fragen.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.