Im BlickfeldKünstliche Intelligenz

Wie Frankreich bei KI vorne mitmischen will

Frankreich versucht, mit KI-Initiativen wie dem neuen Forschungslabor Kyutai die Unabhängigkeit gegenüber den USA und China zu wahren. Noch allerdings hinkt Europa bei künstlicher Intelligenz deutlich hinterher.

Wie Frankreich bei KI vorne mitmischen will

Künstliche Intelligenz

Wie Paris bei KI mitmischen will

Frankreich will die Unabhängigkeit Europas gegenüber den USA und China verteidigen

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Von Gesche Wüpper, Paris

Es war eine Seifenoper, mit der OpenAI Investoren und Entwickler rund um den Globus mehrere Tage lang in Atem gehalten hat. Mit ihren ständig neuen Entwicklungen hat sie Kyutai ein wenig die Show gestohlen. Dabei handelt es sich um ein neues Forschungslabor für künstliche Intelligenz (KI), den jüngsten Versuch Frankreichs, souveräne KI-Technologie zu entwickeln und so die Unabhängigkeit Europas gegenüber den USA und China zu wahren.

Hinter Kyutai stehen die drei Milliardäre Xavier Niel (Iliad), Rodolphe Saadé (CMA CGM) und Ex-Google-Chef Eric Schmidt. Niel und Saadé investieren jeweils 100 Mill. Euro in das Non-Profit-Forschungslabor, das auch von Schmidt finanziell unterstützt wird. Kyutai stehen insgesamt 300 Mill. Euro zur Verfügung. Es ist nicht die einzige Initiative Frankreichs im Bereich KI. Denn in den letzten Monaten sind dort eine Reihe von Start-ups entstanden, die Paris auf der internationalen Landkarte zu einem aufsteigenden Ort für KI gemacht haben.

„Ich will nicht, dass wir im KI-Zug hinten sitzen“, sagte Niel im September. Damals hatte er angekündigt, 200 Mill. Euro in den Bereich investieren zu wollen, um in Frankreich ein Ökosystem für KI zu schaffen – so wie er es mit der Station F, dem weltweit größten Campus für Start-ups, und der Informatikschule Ecole 42 in Paris bereits getan hat.

Niel, Saadé und Schmidt gehören auch zu den Investoren von Mistral AI, einem zu Beginn des Jahres von Timothée Lacroix, Guillaume Lample und Arthur Mensch gegründeten Start-up für generative künstliche Intelligenz. Es hat im September sein erstes großes Sprachmodell veröffentlicht und könnte nach der nächsten Finanzierungsrunde zum Einhorn aufsteigen. Mistral will Anfang nächsten Jahres die ersten für Unternehmen bestimmten Modelle auf den Markt bringen.

Die beiden französischen Milliardäre haben auch in Poolside AI investiert, das wie Mistral und Light On aus Frankreich parallel zu OpenAI, Meta und anderen KI-Sprachmodelle baut. Hinter Poolside stehen die beiden amerikanischen Unternehmer Eiso Kant und Jason Warner, die Paris zu ihrer Basis gemacht haben. Ihre Entscheidung, sich in der französischen Hauptstadt anzusiedeln, habe Signalwirkung für andere, meinen Branchenkenner.

Frankreich wolle die Entstehung von nationalen KI-Champions unterstützen, erklärte Digitalminister Jean-Noël Barrot bei der Lancierung von Kyutai. „Mein Ziel ist, KI-Innovationen maximal zu fördern, um mit den größten Kräften der Welt konkurrieren zu können, damit Frankreich nicht die nächste große Revolution verpasst“, sagte er der Wirtschaftszeitung „Les Echos“.

Deshalb habe Frankreich seit 2017 – dem Amtsantritt von Präsident Emmanuel Macron – verschiedene Pläne für den Bereich aufgelegt und 2,5 Mrd. Euro in Forschung, Bildung und Unterstützung von Unternehmen investiert. Der Superrechner Jean Zay, der geholfen hat, das KI-Sprachmodell Bloom zu entwickeln, soll nun vom Staat weitere 50 Mill. Euro erhalten.

Forscher zurückholen

„Sam Altman, sein Team und ihre Talente sind in Frankreich willkommen, wenn sie wollen“, schrieb Barrot nach dem Rauswurf des OpenAI-Chefs auf Twitter. KI-Forscher und Entwickler zurück nach Europa holen, lautet auch das erklärte Ziel von Niel und Saadé. Bei OpenAI, Microsoft und Google kämen die besten Talente aus Frankreich, von der renommierten École Polytechnique oder der École Normale Supérieure in Cachan, sagt Niel. „Sie sind gut, aber viele sind woanders hingegangen. Die Idee ist, sie zurückzuholen und unsere Talente zu wahren.“

Die Mannschaft von Kyutai besteht aus sechs Forschern, die alle bereits für große US-Technologiekonzerne wie Apple, Google, Meta oder Microsoft gearbeitet haben. So waren Édouard Grave, Hervé Jegou und Alexandre Défossez vorher bei Meta und Laurent Mazaré und Neil Zeghidour bei Deep Mind, während Patrick Pérez zuletzt das KI-Labor des Automobilzulieferers Valeo geleitet hat. Dem wissenschaftlichen Beirat von Kyutai wiederum gehören neben Bernhard Schölkopf vom Max-Planck-Institut in Tübingen auch der Chefwissenschaftler für KI von Meta, Yann LeCun, und Yejin Choi von der Universität Washington an.

Jegou hat zuletzt das von Meta 2015 in Paris gegründete Forschungslabor für KI, Fair, geleitet. Neben Meta betreibt auch Deep Mind, das 2014 von Google übernommene KI-Start-up, in der französischen Hauptstadt ein Forschungslabor, genau wie Mutterkonzern Alphabet, IBM, Fujitsu und Samsung.

„Wir wollen nicht, dass unsere Kinder von Algorithmen abhängig sind, die mit anderen Regeln außerhalb der Grenzen Europas erfunden worden sind“, sagt Niel. „Die Idee ist, eine Umgebung für Forscher in Frankreich, in Europa zu schaffen, die unseren Regeln, unseren Standards entspricht.“

Noch allerdings hinkt Europa den USA und China bei KI deutlich hinterher. Die Europäische Union sei bei der Entwicklung von KI derzeit bestenfalls ein zweitrangiger Akteur, urteilen Lorenzo Ancona und Niccolo Bianchini vom Thinktank Robert-Schuman-Stiftung in einer gerade veröffentlichten Analyse. Das liege an Hindernissen wie dem Mangel an Investitionen, dem unvollständigen einheitlichen europäischen Markt, der fehlenden Attraktivität für europäische Talente, dem Datenmangel und dem Dickicht an Regeln.

Die geringe Verfügbarkeit von Investitionskapital sei vor allem im Vergleich zu anderen Regionen alarmierend, finden Ancona und Bianchini. So seien die Wagniskapitalinvestitionen in KI in den USA im Zeitraum 2010 bis 2020 zehnmal höher als die der Eurozone gewesen. Als Grund für den Nachholbedarf bei Investitionen sehen die beiden das europäische Bankensystem mit seinen strengen Regeln, das Risikoinvestitionen limitiert, sowie den Mangel an großen europäischen KI-Unternehmen.

Der liberale Thinktank Institut Montaigne empfiehlt denn auch in einer im Frühjahr veröffentlichten Studie, 1 Mrd. Euro zu investieren, um aus Europa einen Schlüsselakteur für KI zu machen und den Abstand zu den USA und China aufzuholen. Die Risikokapitalfonds hätten Paris als KI-Standort inzwischen auf dem Radar, berichten Branchenkenner. Britische und amerikanische Akteure mit Sitz in London kämen zwei Tage pro Woche nach Paris, wo sie häufig im bei Start-ups beliebten Hotel Hoxton zu treffen seien.

Noch kann die Pariser KI-Szene von den Mitteln der Techkonzerne in den USA nur träumen. Mistral, das bisher am höchsten bewertete KI-Start-up Frankreichs, kam in einer Finanzierungsrunde im Juni gerade mal auf 105 Mill. Euro, während sich Aleph Alpha aus Deutschland mehr als 500 Mill. Dollar sicherte. Dem Vernehmen kann Mistral jetzt in einer neuen Finanzierungsrunde auf 400 Mill. Dollar hoffen.

Ex-Google-Chef Eric Schmidt (r.), CMA-CGM-Chef Rodolphe Saadé und Iliad-Gründer Xavier Niel (l.) haben im Start-up-Zentrum Station F in Paris kürzlich den Startschuss für das KI-Forschungslabor Kyutai gegeben.

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