Unterm Strich

Zeiten­wende auch für die Finanz­branche

Die Finanzbranche sollte die 180-Grad-Wende in der Sicherheitspolitik realisieren und Kapital für die Aufrüstung mobilisieren.

Zeiten­wende auch für die Finanz­branche

Als „Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents“ hat Bundeskanzler Olaf Scholz Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine in seiner Regierungserklärung am vergangenen Sonntag bezeichnet. Damit hat er das Vorhaben der Bundesregierung für ein 100 Mrd. Euro schweres Sondervermögen zur Ertüchtigung der Bundeswehr und die nachhaltige Aufstockung des Verteidigungshaushalts auf jährlich mehr als 2% des BIP begründet. Doch diesen sicherheitspolitischen Knall zur Aufrüstung scheinen viele professionelle Finanzmarktakteure nicht gehört zu haben beziehungsweise dessen Folgen ignorieren zu wollen.

Rüstung auf die Positivliste

Dass diese Zeitenwende sich konsequenterweise auch in den Kriterien für ESG-Anlagen und in der EU-Taxonomie spiegeln muss bis hin zur Kreditvergabepraxis der Banken, das scheint manchen Zeitgenossen etwas zu viel Wende auf einmal. Schließlich hatten es sich die Finanzhäuser im Mainstream der neuen ESG-Welt und der Verteilung der vermeintlichen Friedensdividende gerade so schön bequem gemacht. Ihr Werben für Finanzanlagen, die bestimmte Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards erfüllen, war bei den Investoren zunehmend auf Resonanz gestoßen. Selbst taxonomische Querschläger aus Frankreich und Deutschland wie die Klassifizierung von Atomenergie und des fossilen Energieträgers Erdgas als nachhaltig hatte die Finanzbranche zähneknirschend verkraftet. Und nun das! Sollten Rüstungsgüter und deren Hersteller, die seit Jahren bei vielen Banken und Assetmanagern als nicht finanzier- und investierbar gelten, jetzt am Ende gar auf die Positivliste der Taxonomie kommen?

Dass der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) dies nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine fordert, liegt auf der Hand. Schon vor Monaten stellte deren Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien im Gespräch mit der Börsen-Zeitung die Frage: „Wie soll man denn Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit gewährleisten, wenn man der Industrie, die hierfür in Europa die Grundlage legt, den Geldhahn zudreht?“ Hintergrund war die Sorge, dass bei der sozialen Taxonomie in der EU die Rüstungsindustrie insgesamt auf die Negativliste gesetzt würde und nicht nur die auch von den Vereinten Nationen geächteten Waffen wie Streubomben und Tretminen.

Banken verweigern Kredite

Schon länger müssen deutsche Unternehmen um Kredite von ihrer Hausbank bangen, wenn sie Aufträge für die Bundeswehr finanzieren wollen, und sei es nur in der Rolle als Zulieferer für Rüstungsfirmen. Und ein klassischer Rüstungskonzern wie Rheinmetall würde selbst bei öffentlich-rechtlichen Banken wie LBBW und BayernLB aufgrund von ESG-Bedenken von der Kreditvergabe ausgeschlossen, wie deren Vorstandschef jüngst beklagte.

Über Nacht hat der Krieg in der Ukraine dem einsamen Rufer aus der Rüstungslobby Verbündete verschafft. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) macht sich für die Aufnahme der Sicherheits- und Rüstungsindustrie auf die Positivliste der Taxonomie stark und hat seit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine die Argumente auf seiner Seite. Denn eine einsatzfähige und technologisch auf der Höhe der Zeit ausgestattete Bundeswehr als Teil der Nato ist Voraussetzung, um eine auf Frieden, Freiheit und Demokratie in Europa ausgerichtete Außenpolitik sicherheitspolitisch zu flankieren. Dieser seit vielen Jahren ignorierte Fakt hat sich schlagartig in Erinnerung gebracht, als wir „heute in einer anderen Welt aufgewacht“ sind, wie Außenministerin Annalena Baerbock es am Tag nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine ernüchtert formulierte.

Taxonomie neu denken

Es liegt nun zuvorderst an der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass die deutsche Rüstungsindustrie bei der angekündigten Aufrüstung in Deutschland und Europa nicht durch eine taxonomische Benachteiligung ins Hintertreffen gerät. Denn in europäischen Nachbarländern wie Frankreich, Italien oder Spanien ist oft der Staat an Rüstungsunternehmen beteiligt und sichert dadurch günstige Finanzierungsbedingungen, während sich die Rüstungsindustrie in Deutschland weitgehend in privater Hand befindet und sich eigenständig über den Kredit- und Eigenkapitalmarkt finanzieren muss.

Auch mit Blick auf die europäische Verteidigungsunion, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorantreiben will, sollte sich die Bundesregierung nach ihrer sicherheitspolitischen Wende um die industriepolitische und taxonomische Neubewertung der Rüstungsbranche kümmern. Denn gerade in Deutschland haben viele Finanzinstitute dem Zeitgeist folgend und in einer Art vorauseilendem Gehorsam Unternehmen, die 20% oder mehr ihres Umsatzes mit Rüstungsgütern erwirtschaften, auf eine schwarze Liste gesetzt.

Der militärische Angriff auf die Ukraine zeigt, wie problematisch – man könnte auch sagen: anmaßend – das Vorhaben der sozialen Taxonomie ist. Schon der Versuch, „gesellschaftlich wertvolle Aktivitäten“ zu definieren, ist illiberal und läuft den raschen Veränderungen auf dieser Welt einschließlich des Wertewandels zuwider. Wer über die Taxonomie an so weiche Begriffe wie „soziale Gerechtigkeit“ oder „soziale Schädlichkeit“ harte ökonomische Vor- und Nachteile binden will, öffnet Willkür und Manipulation Tür und Tor.

Es ist Zeit, dass die Finanzbranche – ihre Akteure wie auch deren Regulatoren – die 180-Grad-Wende in der Sicherheitspolitik erkennt und einpreist. Dass sie die Sanktionen des Westens gegen Russland nicht nur konsequent vollzieht, sondern die Zeitenwende in der Außen- und Verteidigungspolitik auch durch Mobilisierung der dafür nötigen Finanzmittel begleitet. Die Taxonomie muss grundsätzlich neu gedacht werden. Es geht um Frieden und Freiheit in Europa.

c.doering@boersen-zeitung.de

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