Märkte am Mittag

Rezessionssorgen belasten Europas Börsen

Die Furcht vor einer Rezession hat Europas Börsen weiter fest im Griff. Nach einem schwachen Wochenstart lässt die Angst vor einem Abdrehen des Gashahns durch Russland und die daraus resultierenden Folgen für die Wirtschaft die Kurse weiter fallen.

Rezessionssorgen belasten Europas Börsen

In Europa wächst die Angst vor einer Rezession, auch ein möglicher Gaslieferstopp bereitet vielen Anlegern Sorgen. Auch der Ausbruch einer hochansteckenden Corona-Untervariante in China und teils noch anhaltende Lieferkettenprobleme drücken auf die Risikobereitschaft. Der Dax gab in der Spitze am Dienstag 1,4% auf 12.655 Punkte nach, konnte sich bis zum Mittag aber wieder etwas fangen und notierte bei 0,9% im Minus. Der MDax der mittelgroßen Börsenunternehmen verlor 1% auf 25.436,62 Punkte. Der EuroStoxx50 büßte bis zu 1,3% auf 3.426 Zähler ein. „Die Angst vor einer weltweiten Rezession kennt offensichtlich kein Halten mehr“, sagte Commerzbank-Analystin Antje Praefcke. Die Verluste seien „nicht besonders dramatisch, da dies als ein notwendiger Akt in dem Bemühen angesehen werden kann, einen Boden auszubilden“, beschwichtigte dagegen Marktanalyst Jochen Stanzl vom Broker CMC Markets. Wichtig sei, dass der Dax nicht mehr unter sein Jahrestief rutsche. Es könnte auch „jederzeit zu einer kräftigen Bärenmarktrally am Aktienmarkt kommen, wenn zum Beispiel die Inflationsdaten aus den USA etwas Entwarnung geben“. Unter einer Bärenmarktrally verstehen Börsianer eine temporäre Aufwärtsbewegung des Marktes innerhalb eines ansonsten starken Abwärtstrends.

Die trüben Konjunkturaussichten und der wachsende Zinsabstand zu den USA ließen den Euro auf bis zu 1,0001 Dollar fallen. Die schlechte Stimmung belegt auch das aktuelle Barometer des Mannheimer Forschungsinstituts ZEW. Die Sorgen über eine Energiekrise und die Aussicht auf steigende Zinsen sorgten auch bei der Bewertung der Konjunkturlage für eine überraschend deutliche Verschlechterung. Damit ist der Euro erstmals seit Dezember 2002 nur noch einen Hauch von der Parität entfernt. „Ich fürchte, wenn dieser Damm einmal gebrochen ist, dass sich dann der Euro erst einmal darunter einnisten könnte, bis wir Ende nächster Woche – hoffentlich – wissen, ob das Gas wieder fließt.“ Wie geplant hatte am Montag die jährliche Wartung der wichtigen Gas-Pipeline Nord Stream 1 begonnen, während der der Gasfluss aus Russland üblicherweise für zehn Tage unterbrochen wird.

„Die Abschaltung der Pipeline hat die europäischen Erdgas- und Strompreise wieder in die Höhe schnellen lassen, und die Terminpreise deuten darauf hin, dass die Preise im Herbst und Winter über die Spitzenwerte vom Ende des letzten Jahres steigen werden“, teilten die Analysten von SEB Research mit. Am Erdgas-Markt zog der europäische Future am Dienstag unterdessen nur leicht auf 170 Euro je Megawattstunde an.

EDF im Aufwind, BASF gibt nach

Am Rohölmarkt trübten sich die Aussichten für die Nachfrage nach Kraftstoff ein. Öl der Sorte Brent aus der Nordsee verbilligte sich um bis zu 2,4% auf 104,52 Dollar pro Barrel. Der Preis für US-Rohöl WTI gab in der Spitze um fast 3% auf 101,11 Dollar pro Barrel nach. Investoren befürchteten vor allem einen Nachfragedämpfer in China. Mehrere chinesische Städte erließen bereits neue Corona-Beschränkungen, um die Ausbreitung einer hochinfektiösen Untervariante zu verhindern.

Bei den Einzelwerten ließ die Aussicht auf einen Milliardenzuschuss des französischen Staats die Anteilsscheine von EDF um bis zu 9,4% steigen. Zwei Insider sagten der Nachrichtenagentur Reuters, dass die französische Regierung bereit sei, mehr als 8 Mrd. Euro zu zahlen, um den Energieriesen wieder vollständig unter staatliche Kontrolle zu bringen. EDF und das Wirtschaftsministerium lehnten eine Stellungnahme dazu ab.

Dagegen konnten die Titel von BASF nicht von überraschend starken Quartalszahlen und einer bestätigten Jahresprognose profitieren. Die Titel des Chemiekonzerns gaben um bis zu 2,5% nach. Höhere Verkaufspreise haben BASF im zweiten Quartal auf Kurs gehalten. Die Experten von JPMorgan warnten aber vor zunehmendem Gegenwind für die Branche im Zusammenhang mit Gasrationierungen und den hohen Gaspreisen in Europa. Weitere Kursabschläge mussten im MDax auch die zuletzt gebeutelten Uniper-Anteilseigner verkraften: Die Aktien des angeschlagenen Gasversorgers gaben um fast 3% nach und blieben zeitweise nur minimal über dem Rekordtief vom Vortag, auf das sie angesichts des befürchteten Gasstopps aus Russland abgestürzt waren.

Immobilienwerte standen angesichts steigender Zinsen etwas unter Druck. Bei Grand City Properties belastete zusätzlich eine Abstufung. Die Aktien büßten knapp 4% ein und waren zeitweise so günstig zu haben wie zuletzt 2015. Die US-Investmentbank Goldman Sachs strich im Rahmen einer skeptischen Branchenstudie ihre Kaufempfehlung für den Wohnimmobilienkonzern und empfiehlt die Aktie nun mit „Neutral“. Die schlechteste Sektorentwicklung im europäischen Anlagespektrum verdeutliche die Sorge, dass der Zinsrückenwind für die Immobilienunternehmen verschwunden sei und massive Wertverluste drohten, begründete Analyst Jonathan Kownator seine Neubewertung.

Beim ebenfalls im MDax gelisteten Branchenkollegen TAG Immobilien begann derweil der Umsetzung der Kapitalerhöhung. Dabei werden die Aktien ohne Bezugsrecht gehandelt. Für 101 Altaktien erhielten die Anteilseigner je ein Recht zum Erwerb 20 neuer Aktien. Am Donnerstag hatte TAG mitgeteilt, zur teilweisen Refinanzierung der Übernahme der polnischen Immobiliengesellschaft Robyg rund 29 Millionen neue Aktien auszugeben. Das entspricht knapp einem Fünftel der bislang ausstehenden Aktien. Damit sollen etwa 200 Millionen Euro eingenommen werden. Seitdem war es für den Aktienkurs deutlich bergab gegangen auf das niedrigste Niveau seit dem Jahreswechsel 2014/15.

Auch Unternehmen mit internetbasierten Geschäftsmodellen verbuchten überdurchschnittliche Kursverluste. Sie folgten damit der Entwicklung an der US-Technologiebörse Nasdaq, deren Indizes am Montag ebenfalls höhere Kursabschläge hatten hinnehmen müssen als die Standardwerte-Indizes Dow Jones Industrial und S&P 500. Tech-Unternehmen sind tendenziell sensibler für steigende Zinsen als Konzerne aus traditionelleren Branchen, da sie mit ihrem starken Wachstumsfokus abhängiger von Krediten sind.

Im Dax büßten der Online-Modehändler Zalando und der Kochboxen-Anbieter Hellofresh 2 beziehungsweise dreieinhalb Prozent ein, während sich die im MDax gelisteten Titel des Essenslieferdienstes Delivery Hero um 2,7% verbilligten. Der Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1 und Zalando-Konkurrent About You gaben im Nebenwerte-Index SDax um jeweils mehr als zweieinhalb Prozent nach.