Industriekonzern

Siemens erleidet Milliarden­verlust

Siemens meldet erstmals seit Ende 2010 rote Zahlen in einem Quartal. Die bereits angekündigte Wertminderung des Siemens-Energy-Anteils und zusätzliche Belastungen aus dem Rückzug aus Russland führten zu einem Quartalsverlust von 1,5 Mrd. Euro. Operativ floriert das Geschäft, die Preise wurden stark erhöht.

Siemens erleidet Milliarden­verlust

mic München

„Es war kein einfaches Quartal“, erklärte Siemens-Vorstandsvorsitzender Roland Busch in einer Telefonpressekonferenz an­lässlich der Vorlage der Neunmonatszahlen: „Aber wir haben die vielen Herausforderungen sehr gut gemeistert.“ Mit einem Verhältnis von Auftragseingang zu Umsatz in Höhe von 1,23 sei das Momentum beim Wachstum wirklich hervorragend. So habe das Automatisierungsgeschäft von Digital Industries erneut Marktanteile gewonnen.

Wichtig sei für ihn auch der starke Free Cashflow, sagte Busch: „Hier heben wir uns derzeit von unseren Wettbewerbern ab.“ In den ersten drei Quartalen flossen 4,7 Mrd. Euro in die Konzernkasse. Das Plus von 5% im Vergleich zur Vorjahresperiode geht teils auf hohe Anzahlungen der Kunden auch aus China zurück.

Zwei Sondereffekte drückten Siemens dennoch erstmals seit dem vierten Quartal des Geschäftsjahres 2009/2010 in die Verlustzone. Ein Rückgang von 3 Mrd. Euro führte zu einem Nettoverlust von 1,5 Mrd. Euro.

Erstens schlug die Wertminderung der 35-%-Beteiligung an Siemens Energy, die der Konzern Anfang Juli angekündigt hatte, mit 2,7 Mrd. Euro zu Buche. Hinzu kamen der Siemens-Anteil am Energy-Verlust und Aufwendungen aus Kaufpreisallokationsabschreibungen, so dass insgesamt 2,86 Mrd. Euro anfielen.

Kein schneller Energy-Exit

Finanzvorstand Ralf Thomas verwies angesichts der Frage, ob er eine schnelle Reduzierung der Anteile ausschließen könne, auf die geplante Siemens-Energy-Kapitalerhöhung zur Finanzierung des Kaufs der restlichen Anteile an Siemens Gamesa. Es wäre extrem unklug seitens eines Großaktionärs, in einer solchen Situation weitere Volatilität durch einen Verkauf von Anteilen zu verursachen, sagte er: „Deshalb, gehen Sie davon aus, dass kurzfristig keine diesbezüglichen Aktionen seitens der Siemens AG ausgelöst werden dürften.“

Thomas wies auch auf die Gewährleistungen hin, die die Siemens AG an Siemens Energy gegeben hat. Diese seien zwar seit dem Börsengang von 28 auf 10 Mrd. Euro gesunken. Aber: „Wir sind noch nicht am Punkt, wo man sagen kann, man kann einfach mal loslassen.“

Zweitens kostet der Rückzug aus Russland mehr als bisher gedacht. Nachdem im ersten Quartal bereits 572 Mill. Euro nach Steuern verbucht wurden, kamen nun 558 Mill. Euro hauptsächlich aus dem Finanzierungs- und Leasinggeschäft hinzu. Siemens bezifferte die in der Gesamtsumme enthaltenen Abfindungen in dem Land auf 250 Mill. Euro.

Weitere Belastungen schloss der Vorstand nicht aus. Falls es nochmals zu einem Bedarf von Bewertungskorrekturen käme, dann im niedrigen bis maximal mittleren dreistelligen Millionenbereich, sagte Thomas.

Daneben gebe es Effekte, die durch die Ausbuchung von Beteiligungen entstünden, weil in der langen Geschichte von Siemens in Russland gespeicherte Bewegungen durch Währungsveränderungen, die im Eigenkapital gespeichert seien, bei einer Entkonsolidierung durch die Gewinn-und-Verlust-Rechnung ge­schleust werden müssten. Thomas ließ erkennen, dass das Timing von Entscheidungen der Regulatoren in Russland abhängig sei.

Der Finanzvorstand schloss aus, dass aufgrund zusätzlicher Russland-Belastungen im vierten Quartal die Ziele für das laufenden Geschäftsjahr geändert werden müssen: „Wir haben unsere Prognose sehenden Auges dieser Unwägbarkeiten gegeben und werden sie dann auch einlösen.“

Der Konzern erwartet nun einen Gewinn pro Aktie vor Kaufpreiseffekten von 5,33 bis 5,73 Euro, nachdem im Vorjahr 8,32 Euro je Aktie erreicht worden sind. Diese Vorgabe entspricht der bisherigen Zielsetzung von 8,70 bis 9,10 Euro pro Aktie abzüglich der Energy-Wertminderung von 3,37 Euro. Die Belastungen aus dem Russland-Rückzug würden durch höhere Veräußerungsgewinne und ein florierendes operatives Geschäft ausgeglichen, hieß es (siehe Bericht auf dieser Seite).

Baldrian für Aktionäre

Angesichts des Rückgang des Nettogewinns beruhigte Thomas die Anteilseigner mit dem Hinweis, Siemens werde auch in diesem Geschäftsjahr einen sehr attraktiven Total Shareholder Return bieten. Im Gespräch mit Analysten betonte er, man stehe zur Dividendenpolitik. Diese sieht vor, dass die Dividende pro Aktie nicht mehr sinkt. Zuletzt waren 4,00 Euro je Aktie gezahlt worden.

Thomas wies auch darauf hin, dass angesichts des hohen Mittelzuflusses und des aktuell niedrigen Aktienkurses der Aktienrückkauf beschleunigt worden sei. Im dritten Quartal habe das Volumen mehr als 650 Mill. Euro betragen, so dass seit Beginn des Programms 1,1 Mrd. Euro ausgegeben wurden. Das Rückkaufprogramm, das im Oktober gestartet wurde und bis 2026 läuft, hat ein Volumen von 3 Mrd. Euro.

Siemens hat zusätzlich zum Free Cashflow allein bis Anfang Juli durch Verkäufe von Unternehmensteilen zusätzlich 2,3 Mrd. Euro eingenommen, die nicht im Free Cashflow ausgewiesen werden. Busch blieb auf Nachfrage im Gespräch mit Journalisten seiner Linie treu, auch größere Akquisitionen nicht auszuschließen.

Dass der operative Rückenwind im dritten Quartal anhielt, zeigt bereits das um den Energy-Effekt bereinigte Ergebnis pro Aktie. Es landete bei 1,52 Euro je Aktie nach 1,50 Euro im zweiten Quartal. Darüber hinaus wies Busch auf die sich auftürmenden Orders hin. Konzernweit sei der Auftragsbestand auf den Rekordwert von 99 Mrd. Euro geklettert. Damit liegt er 14 Mrd. Euro höher als zu Beginn des vergangenen Geschäftsjahres (siehe Grafik).

Während großvolumige Bestellungen beispielsweise in der Bahntechnik zum Alltag gehören, profitieren inmitten des weltweiten Nachfrage-Booms nun auch die Kernsparten Digital Industries (DI) und Smart Infrastructure (SI) von einem berechenbaren Auftragsbuch. „Wir haben einen Auftragsbestand im kurzzyklischen Geschäft, der noch nie dagewesen ist“, sagte Thomas.

DI landete bei 13 Mrd. Euro – davon rund 10 Mrd. Euro im Automatisierungsgeschäft, wie Thomas als Größenordnung bestätigte. SI hat 14 Mrd. Euro im Auftragsbuch. Der DI-Auftragseingang stieg in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres bereinigt um Währungs- und Portfolioeffekte um 43%, SI legte um 25% zu. Thomas machte im Gespräch mit Analysten klar, dass Siemens sich mit Anzahlungen gegen Stornierungen absichert.

Der Auftragsbestand habe eine hohe Qualität, erklärte Busch. Die Nachfrage ermöglicht Siemens, Preiserhöhungen durchzusetzen. Im dritten Quartal hätten sie in beiden Kernsparten jeweils 5% betragen, hieß es. Busch strich heraus, mit den Anhebungen würden sogar die Kosteneffekte überkompensiert: „Das werden wir auf das Gesamtgeschäftsjahr gesehen schaffen.“ Auch um Preiserhöhungen bereinigt wachse Siemens teilweise deutlich über Wettbewerbsniveau, betonte Thomas.

Das Management machte zugleich deutlich, auf einen denkbaren Abschwung vorbereitet zu sein. Man sei nicht naiv und wisse, dass sich die Lage sehr schnell ändern könne, sagte Thomas. Man habe sich daher Maßnahmen, die man auch kurzfristig umsetzen könne, in die Schublade gelegt. Busch erklärte: „In den nächsten Monaten werden die Geschäfte bei den Ausgaben besonders diszipliniert sein, um die Margen zu halten.“

Gas kaum mit Folgen

Eine mögliche Gasknappheit würde Siemens auf direktem Weg kaum treffen, stellte das Management fest. „Derzeit sehen wir nur geringe direkte Auswirkungen auf unsere Fabriken, weil unsere Produktion nicht energieintensiv ist“, sagte Busch. Direkte Energielieferungen machten nur rund 1% Prozent des Einkaufsvolumens aus. Erdgas werde nur in einigen nachgeordneten Bereichen in der Produktion genutzt.

Beispielsweise verwende Siemens in Deutschland von den etwa 280 Gigawattstunden des Gasverbrauchs im vergangenen Jahr rund 90 % zum Heizen und nur 10 % für die Produktion: „Und falls das Gas knapp wird, haben wir vorbeugende Maßnahmen getroffen, um unsere Produktion aufrechtzuerhalten“, unterstreicht Vorstandschef Busch.

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