Internationale Beziehungen

Die Lehre aus dem Inflation Reduction Act

Die EU muss vermeiden, im Konflikt zwischen den USA und China Partei ergreifen zu müssen, meint Maria Demertzis vom Forschungsinstitut Bruegel.

Die Lehre aus dem Inflation Reduction Act

Kaum etwas in der US-Politik zielt heutzutage nicht darauf ab, sich entweder von China abzukoppeln oder Chinas globalen Einfluss zu be­schränken. Der Inflation Reduc­tion Act (IRA) bildet da keine Ausnahme. Das Gesetz ist ein ehrgeiziger Versuch, saubere Produktion und Innovation in saubere Technologien zu fördern und Klimaschutzbemühungen zu beschleunigen. Das ist ohne Frage gutzuheißen. Doch trotz aller guten Absichten zielt er auch darauf ab, China auszuschließen und Druck auf die Europäische Union auszuüben.

Teil des IRA sind Subventionen in Form von Steuergutschriften, deren Bewilligung davon abhängt, ob die Produktion in den USA stattfindet oder nicht. Dadurch sieht sich die EU von ihrem wichtigsten Partner angegriffen, der in Fragen wie der Bekämpfung des Klimawandels eigentlich gleichgesinnt sein sollte. Indem der IRA gegen internationale Handelsregeln verstößt, untergraben die USA das multilaterale System der Zusammenarbeit.

Problem mit Gleichgesinnten

War es die Absicht der USA, mit dem IRA die Gleichstellung zwischen den beiden Partnern zu stören und Europa zu verärgern, oder ist dies eine unbeabsichtigte Folge einer ansonsten begrüßenswerten Bemühung, die Einhaltung von Klimazielen voranzutreiben?

Die Antwort ist für die Erklärung des IRA wahrscheinlich wenig relevant. Aber sie hat die europäischen Entscheidungsträger in zwei Lager gespalten. Diejenigen, die im IRA einen bewussten Versuch sehen, die eigenen Interessen auf Kosten der EU zu schützen, fordern eine Gegenmaßnahme. Andere loben die Bemühungen der USA um ihre Fortschritte in der Klimapolitik und fordern die EU auf, ihrerseits nicht auf protektionistische Maßnahmen zurückzugreifen. Dies würde lediglich ihr Kronjuwel, den Binnenmarkt, sowie das globale multilaterale System gefährden.

Zu Zeiten des Präsidenten Donald Trump, als die USA keine Anstrengungen unternahmen, sich schonend gegenüber der EU zu zeigen, war die Europäische Kommission in ihrer Antwort eindeutig: das multilaterale System bewahren, die Handelskooperation mit so vielen Ländern wie möglich durch bilaterale Abkommen verstärken und mit verhältnismäßigen Maßnahmen kontern. Dieser Ansatz ist nach wie vor der richtige. Dabei muss die EU vermeiden, im Konflikt zwischen den USA und China Partei ergreifen zu müssen. Die Ausrede der „Gleichgesinntheit“ ist bestenfalls opportunistisch, denn mit dem IRA zeigen die USA, dass sie keine Gelegenheit auslassen, um protektionistisch zu handeln und die globale Zusammenarbeit zu untergraben. Klimawandel, digitale Sicherheit und Frieden sind gefährdet, wenn die Zusammenarbeit nur auf Gleichgesinnte beschränkt ist. Es sind die Andersgesinnten, die in die globalen Verhandlungen einbezogen werden sollten, um ebenfalls eine Chance zu haben, die globalen öffentlichen Güter zu erhalten.

Mangelware Rohstoffe

Die EU wurde in der festen Überzeugung gegründet, dass Staaten und Völker, die miteinander Handel treiben, in keine kriegerischen Auseinandersetzungen treten. Auf Basis dessen wurde der größte Binnenmarkt der Welt geschaffen. Zudem ist die EU nach wie vor auf den Welthandel­ angewiesen, der einen wichtigen Beitrag zu ihrem Wohlstand leistet. Sie ist ein Exportriese, aber es mangelt ihr an lebenswichtigen Primärressourcen, darunter Energie, Seltene Erden und Rohstoffe. Es liegt im Interesse der EU, Vereinbarungen mit denjenigen Ländern zu treffen, die ihren Bedarf decken. Dies muss dieses Mal jedoch im Sinne von Diversifizierung geschehen, damit ihre Wirtschaft unabhängig vom Konflikt mit einzelnen Ländern ist.

Aber die EU muss gleichzeitig das internationale, auf Regeln basierende System schützen. Ohne ein Diskussionsforum und ein allgemein anerkanntes Regelwerk wird die Regierungsführung auf ihren kleinsten­ Nenner reduziert, auf das Gesetz des Dschungels. In einem unregierbaren globalen System ist die EU gegenüber all jenen, von denen sie zur Sicherung der ihr fehlenden­ Rohstoffe­ abhängig ist, äußerst verwundbar.

Zuvörderst aus diesem Grund und nicht auf Basis der Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit muss die EU die Richtlinien des IRA in Zweifel ziehen. Tatsächlich reagieren die USA bereits auf die Klagen der EU, dass der IRA Wettbewerbsbedingungen verzerre. Letzten Endes muss die EU darauf hinarbeiten, die USA wieder in die internationale Ordnung einzubinden.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die EU nicht – ganz wie die USA – Unmut gegenüber China hegt. Hier muss die EU ihre relative Stärke nutzen, um Druck auszuüben. Die Ankündigung der Niederlande von Ende Januar, gemeinsam mit den USA (und Japan) die Ausfuhr von Maschinen für moderne Halbleiter nach China zu beschränken, ist ein Beispiel für eine derartige Strategie. Die Einzelheiten sind noch nicht bekannt, aber es ist ein adäquates Mittel, um Chinas Schwäche aufzudecken und das Land zu zwingen, sich an die globalen Regeln zu halten. Die EU wird lernen müssen, Exportkontrollen aktiver und strategischer als Hebel zur Förderung multilateraler Lösungen einzusetzen.

Möge der grausame Krieg, den die Ukraine erleidet, eine Lehre für die Zukunft sein. Die EU sollte ihre Bündnisse diversifizieren, um ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen, starke internationale Institutionen aufzubauen, um Aggressoren zu isolieren, und adäquate Instrumente entwickeln, die Druck ausüben, aber den Multilateralismus nicht gefährden.

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