Geldpolitik

Wie die Notenbanken weltweit mit der Inflation umgehen

Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) am kommenden Donnerstag ihre Leitzinsen wie avisiert um 25 Ba­sispunkte erhöht, wäre das für die Euro-Hüter ein großer Schritt. Im internationalen Vergleich aber gehört die EZB damit zu den Nachzüglern – Ein Überblick.

Wie die Notenbanken weltweit mit der Inflation umgehen

In vielen Ländern weltweit liegt die Inflation derzeit weit über der von den Notenbanken gewünschten Zielmarke. Während die Europäische Zentralbank am Donnerstag ihre erste Leitzinserhöhung seit 11 Jahren beschließen könnte, haben andere Notenbank die Zinswende längst eingeleitet. In Japan, wo die Inflation weiter recht niedrig ist, dürfte es dagegen erstmal bei der ultralockeren Geldpolitik bleiben. Ein Überblick über die Lage in den USA, China, Japan und Großbritannien.

Inflationsgefahren versus Rezessionsängste in den USA

US-Notenbankchef Jerome Powell ist viereinhalb Jahre nach Beginn seiner Amtszeit in einer vertrackten Situation. Powell und seine Kollegen im Offenmarktausschuss (FOMC) der Federal Reserve müssen den Spagat meistern zwischen Inflationsbekämpfung auf der einen Seite und der Vermeidung einer Rezession auf der anderen. Zweifellos könnten die kommenden Monate sein Vermächtnis als oberster US-Währungshüter definieren.

In jüngster Zeit haben mehrere Fed-Gouverneure zwar die Möglichkeit einer Rezession thematisiert. Gleichwohl gelten ihre größten Sorgen dem zentralen Anliegen, die kräftig steigenden Preise unter Kon­trolle zu bekommen. Seit März hat das FOMC den Zielkorridor für den Leitzins um insgesamt 150 Basispunkte angehoben und den Bilanzabbau vorangetrieben. Nun dürfte eine weitere Kursverschärfung anstehen. Schließlich hat der Verbraucherpreisindex den höchsten Stand seit 1981 erreicht. Auch die Erzeugerpreise weisen seit geraumer Zeit zweistellige Steigerungsraten auf; und der PCE-Preisindex, der bevorzugte Inflationsindikator der Fed, liegt ebenfalls deutlich oberhalb des Inflationsziels von 2 %.

Dass das FOMC übernächste Woche das zweite Mal in Folge den Leitzins um nicht weniger als 75 Ba­sispunkte anheben wird, gilt schon seit Wochen als nahezu ausgemachte Sache. Entsprechende Signale hatte Powell selbst gegeben. Kürzlich sagte Mary Daly, Präsidentin des Fed-Ablegers in San Francisco, dass „ich wahrscheinlich dazu neigen würde, um 75 Basispunkte zu straffen“.

Seit der Veröffentlichung der Verbraucherpreise vom Juni (9,1 %) steht sogar die Möglichkeit einer Erhöhung um 100 Basispunkte im Raum. Die Preissteigerung erwischte viele Notenbanker komplett auf dem falschen Fuß . „Diesem Bericht ist überhaupt nichts Positives abzugewinnen, und eine Teuerungsrate in dieser Höhe ist inakzeptabel“, sagte Loretta Mester, Präsidentin der regionalen Fed Cleveland und derzeit stimmberechtigtes FOMC-Mitglied.

Noch deutlicher wurde Raphael Bostic, Präsident der Federal Reserve Bank von Atlanta. Er sagte, dass „alles möglich ist“. Dazu würde auch eine Anhebung der Federal Funds Rate um 100 Basispunkte zählen. Christopher Waller, Vorstandsmitglied der Notenbank, versuchte allerdings sogleich, den Spekulationen einen Riegel vorzuschieben. Die Märkte hätten diesbezüglich voreilig reagiert, meinte Waller. „Ich unterstütze eine weitere Erhöhung um 75 Basispunkte“, sagte er, betonte aber, dass er auch einem aggressiveren Schritt zustimmen könnte, wenn die konjunkturellen Daten, die bis Mitte nächster Woche veröffentlicht werden, dies rechtfertigten.

Die Gefahr für Powell und Co. könnte darin bestehen, dass sie das Risiko eines Konjunktureinbruchs unterschätzen. Davor warnten zuletzt prominente Experten wie die Vorstandschefs von J.P. Morgan und Goldman Sachs sowie zahlreiche Ökonomen. Schließlich schrumpfte das annualisierte Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Auftaktquartal um 1,6 %. Auch hat sich die Verbraucherstimmung weiter eingetrübt. So gab der Index des Verbrauchervertrauens des Forschungsinstituts Conference Board im Juni den zweiten Monat in Folge nach und rutschte auf den tiefsten Stand seit Februar 2021.

Zudem geht aus dem Beige-Book-Bericht der Notenbank hervor, dass fünf der Fed-Ableger sich große Sorgen wegen der Gefahr einer Rezession machen. Von einer Rezession wird bei einer Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen gesprochen. Zuletzt hatte eine wachsende Zahl von Ökonomen davor gewarnt, dass die Wachstumszahlen im zweiten Quartal, die Ende Juli veröffentlicht werden, ein weiteres Mal enttäuschen könnten.

People’s Bank of China ohne Spielraum

Chinas Festhalten an der „Nulltoleranzpolitik“ in Sachen Corona hat das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal stark ausgebremst. Doch wer davon ausgeht, dass der heftige Abschwung eine forschere monetäre Lockerung nach sich ziehen wird, wird enttäuscht. Am Freitag verzichtete die People’s Bank of China (PBOC) erneut auf einen Impuls und ließ den Zins für einjährige Gelder im Rahmen der Medium-term Lending Facility (MLF) für Banken unverändert bei 2,85 %.

Chinas Zentralbank betont zwar unermüdlich, dass sie ihre Geldpolitik in den Dienst einer aktiven Konjunkturunterstützung stellt, hält sich aber stark zurück. In diesem Jahr kam es zu einer unspektakulären Verringerung der Mindestreservesätze und einer geringfügigen Senkung des MLF-Zinses um 10 Basispunkte, mit der auch die Loan Prime Rate (LPR) genannte Zinsbenchmark für Unternehmenskredite entsprechend angepasst wurde. Stimulierende Zinspolitik sieht anders aus. In den vergangenen Monaten, da harte Corona-Restriktionen die Konjunktur erneut zurückgeworfen haben, machte die PBOC überhaupt keine Anstalten mehr, die Zinsen zu senken.

Zentralbankchef Yi Gang weiß, dass aggressive Zinsimpulse wirkungslos verpuffen würden, weil den Verwerfungen durch die Corona-Politik nicht mit verbilligten Krediten beizukommen ist. Vielmehr scheint die Fiskalpolitik gefordert, um den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Zudem schränkt die US-Zinswende den Handlungsspielraum der PBOC stark ein. Chinas Währungshüter sieht sich gefordert, einen latenten Abwertungsdruck auf den Yuan und kräftigere Kapitalabflüsse durch den Abzug ausländischer Investoren aus chinesischen Staatsanleihen zu verhindern. Zinssenkungen würden den Yuan schwächen und die Renditekluft zu Anleihen des US-Finanzministeriums weiter vergrößern. So orientiert sich Chinas Geldpolitik gegenwärtig mehr am Zinskurs, den die Federal Reserve und nun auch die Europäische Zentralbank (EZB) einschlagen als an der akuten Konjunkturmisere im eigenen Land.

Nullzins unantastbar in Japan

Japans Notenbank wird ihre Inflationsprognose für das Fiskaljahr 2023 bei ihrem nächsten Treffen am 20. und 21. Juli möglicherweise etwas korrigieren, weil sich die Teuerung zu einem längerfristigen Phänomen entwickelt. Bislang sagt die Bank of Japan (BoJ) einen Rückgang der Rate von 1,9 % in diesem Jahr auf 1,1 % im kommenden Jahr vorher. Dennoch werden keine Änderungen der aktuell ultralockeren Geldpolitik erwartet. Daran dürfte auch der anhaltende Verfall der eigenen Währung nichts ändern. Der Yen stürzte auf ein neuerliches 24-Jahres-Tief. Für 1 Dollar erhält man nun 139 Yen – 24 Yen mehr als noch am 1. Januar.

Notenbankchef Haruhiko Kuroda hält aufgrund von regionalen Besonderheiten am Nullzins fest. In Japan steigen die Preise nämlich traditionell viel langsamer als in Europa und den USA. Zudem fehlt im Gegensatz dazu jeder Lohndruck. Im April und Mai betrug die Kerninflation (ohne frische Lebensmittel) 2,1 %. Die Steigerung der Inflation beruhte fast allein auf höheren Energiepreisen. Allerdings schlagen die weltweiten Preissteigerungen aufgrund der hohen Importabhängigkeit langsam stärker durch, was sowohl ausländische Autos als auch die mit Holz aus dem Ausland gebauten Fertighäuser betrifft. Zudem sollen in diesem Jahr 10 000 Preise im Einzelhandel angehoben werden. Jedoch verlässt sich die BoJ darauf, dass die Regierung den Preisauftrieb mit Subventionen dämpft. Der Niedrigzins sorgt für eine günstige Finanzierung der staatlichen Hilfsmaßnahmen.

Das Zögern der Notenbank, die Geldpolitik zu straffen, hängt auch mit den unsicheren Konjunkturaussichten für die zwei wichtigsten Handelspartner zusammen. Japans Wirtschaft hängt mehr als etwa Deutschland vom Wachstum in China ab, wo die Null-Covid-Politik den Aufschwung bremst. Auch eine Rezession in den USA würde Japan hart treffen. Erst wenn sich der Himmel über der Weltkonjunktur aufhellt, dürften die Währungshüter langsam daran denken, ihre scharfe Kontrolle der Renditekurve etwas zu lockern.

Bank of England scheitert an der Teuerungsrate

Die Bank of England hat sich eine Teuerungsrate von 2 % zum Ziel gesetzt. Über die Sinnhaftigkeit von Inflationszielen kann man streiten. Unstrittig ist jedoch, dass sich dieses Ziel außer Reichweite befindet. Für das laufende Jahr rechnen die Volkswirte der Notenbank damit, dass der Preisauftrieb im Herbst mehr als 10 % erreichen wird. Kein Wunder, dass der Bank of England allenthalben vorgeworfen wird, zu lange gezögert zu haben, bevor sie die geldpolitischen Zügel wieder anzog.

Im Vergleich zur EZB hat sie damit aber immer noch früh begonnen. Am 4. August wird sie den Leitzins wohl zum sechsten Mal seit Dezember vergangenen Jahres erhöhen. Ein Schritt von 25 Basispunkten auf 1,5 % gilt als unvermeidlich; möglich wäre aber auch, dass sich die Geldpolitiker ein Herz fassen und gleich 50 Basispunkte drauflegen. Schließlich behauptete Huw Pill, der Chefvolkswirt der Notenbank, unlängst, dass sie „im Preisstabilitätsgeschäft“ tätig sei. Zudem wird ein Plan für das sogenannte Quantitative Tightening (QT), das Abschmelzen des seit der Finanzkrise zusammengekauften Anleihenbestands, erwartet.

Doch auch wenn Notenbankchef Andrew Bailey sagt, das geldpolitische Komitee werde, „wenn nötig, mit Nachdruck“ handeln, werden die Zinsen nicht immer weiter steigen. Denn Bailey geht davon aus, dass die Teuerungsrate im kommenden Jahr schnell wieder sinken wird. Die Grundlagen dieser Annahme sind vermutlich der Basiseffekt, die erhofften Auswirkungen der bisherigen Zinserhöhungen und die Abkühlung der britischen Wirtschaft. Zudem wird der langfristige reale Gleichgewichtszins seit Mitte der 1980er Jahre durch die zunehmende Langlebigkeit der Bevölkerung und ein langsameres Produktivitätswachstum gedrückt. Bislang sieht es aber nicht so aus, als würde die Realität der Theorie folgen. Das Arbeitskräfteangebot schrumpft, auch durch Long Covid. Wer arbeiten kann, fordert lautstark mehr Lohn. Die Grundlagen für weiter steigende Preise sind gelegt.

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