US-Aktienstratege Joe Amato

„Dies ist der Zeitpunkt, in Value zu investieren“

Joe Amato, CIO Equities des US-Assetmanagers Neuberger Berman, erwartet in den kommenden Monaten eine fortgesetzte Rotation hin zu zyklischen Titeln. Dies werde gerade europäische Indizes stützen.

„Dies ist der Zeitpunkt, in Value zu investieren“

Alex Wehnert.

Herr Amato, wie nachhaltig werden sich die steigenden Anleiherenditen auf die Aktienmärkte auswirken?

In den vergangenen Monaten haben die Renditen der US-Treasuries erheblich zugelegt, und zwar aus gutem Grund. Die Märkte sagen derzeit ein verstärktes wirtschaftliches Wachstum voraus, während die Inflationserwartungen ebenfalls stark gestiegen sind. Zwar hat das Umfeld niedriger Anleiherenditen Aktien global stark gestützt. Für die Gesundheit der US-Ökonomie wäre es aber kein gutes Zeichen, wenn die Zinsen am langen Ende der Kurve dauerhaft auf extrem niedrigen Niveaus verharren würden.

Glauben Sie, dass das neue Fiskalpaket der Biden-Administration die Erholung von der Pandemie effektiv beschleunigen wird?

Das Paket beinhaltet einen signifikanten Anteil an Einkommensersatz für Bürger, die finanziell unter der Pandemie gelitten haben. Da die Konjunkturmaßnahmen auf ein ohnehin schon hohes Maß an angestauter Nachfrage treffen, sollten sie bei fortschreitender Impfstoff-Verteilung die ökonomische Aktivität unterstützen. Allerdings könnte die zweite Hälfte des Fiskalpakets mehr Impulse liefern, als für einen effektiven Stimulus notwendig wären.

Welche Konsequenzen hätte ein Überstimulus?

Auf jeden Fall besteht das Risiko einer Inflationsbeschleunigung. Die Überschussersparnisse sind bereits hoch, ein weiterer signifikanter Anstieg der Kaufkraft bei einem gleichzeitig verknapptem Angebot könnte die Preisniveaus kräftig antreiben. Zusätzlich trifft die Inflation auf schwache Vergleichswerte, da die Preisniveaus im vergangenen Frühjahr extrem niedrig ausgefallen sind. Dennoch glauben wir, dass weiterhin einige disinflationäre Faktoren im Spiel sind.

Zum Beispiel?

Der Technologie-Boom und die Globalisierung waren im vergangenen Jahrzehnt wohl die zwei stärksten Faktoren, die Inflationsanstiege begrenzt haben. Demografie spielt auch eine Rolle, da die Erwerbsbevölkerung in den USA immer noch groß ist. Wenngleich die Inflation steigen wird, ist es aus unserer Sicht deshalb unwahrscheinlich, dass sie dauerhaft im problematischen Bereich zwischen 3 und 4% verweilen wird.

Wie würde die Fed denn auf eine massive Inflationsbeschleunigung reagieren?

Die Entscheidung des Offenmarktausschusses, statt eines festen Inflationsziels künftig einen Durchschnittswert von 2% anzusteuern, war ein wichtiges Signal für die Märkte. Dennoch hat Jerome Powell derzeit wohl einen der härtesten Jobs der Welt. Der Wechsel von einer expansiven zu einer kontraktiveren Geldpolitik ist ein äußerst delikater Balanceakt. Dies hat sich während des Taper Tantrum im Sommer 2013 gezeigt. Und auch jüngst war dies sichtbar, als die US-Staatsanleiherenditen weiter angezogen haben – obwohl Powell keine Abkehr vom lockeren Kurs signalisiert hatte. Die Erwartungen in Zentralbanken sind allerorts sehr hoch, und Investoren waren Anfang März enttäuscht, dass die Fed nicht angekündigt hatte, die Zinsen am langen Ende bewusst niedrig halten zu wollen.

Wann wird die Fed denn nun ihre Lockerungspolitik zurückfahren?

Die Fed wird im laufenden und wahrscheinlich auch im kommenden Jahr akkommodierend bleiben. Je weiter das kommende Jahr aber voranschreitet, desto stärker wird ein möglicher Politikwechsel aber in den Fokus der Investoren rücken. Aktuell bleibt die Geldpolitik darauf konzentriert, die Arbeitslosigkeit zu senken und die Einkommensniveaus zu heben – schließlich ist Einkommensungleichheit global ein heißes Thema. Um die Ziele hinsichtlich des Arbeitsmarkts zu erreichen, ist eine koordinierte internationale Zentralbankpolitik notwendig. Das Gleiche gilt für einen Wechsel in ein kontraktiveres monetäres Umfeld.

Wie bedeutsam sind die jüngsten Schritte der People’s Bank of China zu einer restriktiveren Politik?

Die geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen Chinas unterscheiden sich stark von jenen in anderen Industrienationen. Peking hat von den Lektionen der Jahre 2014 und 2015 gelernt, als politische Maßnahmen zu einer Überhitzung der Wirtschaft führte und Margin Trading zum Platzen einer Blase am Aktienmarkt führte. Als Resultat daraus hat China in der Pandemie moderatere Schritte unternommen. Angesichts der schnellen Erholung dürften sich die Entscheidungsträger nun bestätigt fühlen. Andere Zentralbanken waren aggressiver und haben im Gegensatz zur Zeit der globalen Finanzkrise Unterstützung von fiskalischer Seite erhalten. Und während die chinesische Wirtschaft bereits einen signifikanten Aufschwung erlebt hat, dürfte die fiskalische Unterstützung das reale Wachstum in den USA im laufenden Jahr auf 5 bis 7% treiben. Dieses Momentum sollte sich auch 2022 fortsetzen und das Wachstum über den langfristigen Trend heben.

Was bedeutet dies für die Portfolio-Positionierung?

Dies ist der Zeitpunkt, in Value zu investieren: wenn die Wirtschaft die Talsohle erreicht und wieder Fahrt aufnimmt. Deshalb glaube ich, dass sich die Rotation weg von Growth-Aktien, die bereits im vergangenen September begonnen hat, in den kommenden Monaten fortsetzen wird. Die Nachrichten über Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung Anfang November waren ein wichtiger Impuls für Aktien, die üblicherweise als konjunktursensibel gelten, darunter Finanz- und Energiewerte, Grundstoff- und Industrietitel. Die jüngste Outperformance des Russell1000 Value Index gegenüber seinem Growth-Pendant ist ein guter Indikator für diese Entwicklung.

Wie wird dies die Performance von US-Aktien gegenüber europäischen und asiatischen Werten beeinflussen?

Technisch gesehen ist die Wirtschaft der Vereinigten Staaten stabiler als jene vieler europäischer Länder sowie die Konjunktur Japans und der Schwellenländer. Die starke Gewichtung von Technologieunternehmen und das langfristige Wachstum haben diese Stabilität stark unterstützt. Im aktuellen Umfeld dürften europäische, japanische und bestimmte Schwellenländer-Indizes aber von ih­rem höheren Anteil zyklischer Komponenten profitieren. Zudem dürfte die Dollar-Schwäche langfristig für Investitionen außerhalb der USA sprechen.

Allerdings profitiert der Euro von einem schwächeren Dollar. Wäre dies für die vielen exportorientierten Volkswirtschaften Europas und ihre Aktienindizes nicht schädlich?

Wir erwarten nicht, dass der Euro in einem Ausmaß aufwertet, das die wirtschaftliche Erholung in Deutschland und anderen Teilen des Kontinents abwürgen würde. Die politischen Entscheidungsträger werden die Wechselkurse im Auge behalten und einschreiten, bevor der Euro zu stark wird. Und obwohl die Ausweitung des Geldangebots den Dollar schwächen wird, sollte er gegenüber anderen Industrieländerwährungen doch nicht zusammenbrechen.

Werden die handelspolitischen Spannungen zwischen den USA und China wieder zum Schlüsselrisiko für die Märkte, sobald die Pandemie abklingt?

Die Biden-Administration wird in ihrem Umgang mit China strategischer vorgehen – sei es bezüglich der Öffnung von Märkten, der Subventionierung von Industrien oder erzwungenen Technologietransfers. Dies be­deutet einen Umschwung gegenüber der alten Regierung, die häufig ungeschickt mit Strafzöllen hantiert hat. Die Unberechenbarkeit der Trump-Präsidentschaft wird also wohl nicht zurückkehren. Allerdings hat sich die neue Regierung noch nicht zu einer Reduzierung bestehender Zölle geäußert, eine derartige Maßnahme würde wohl auch weder im Kongress noch bei der Öffentlichkeit gut ankommen. Die USA und China befinden sich in einem Kampf um die technologische Vorherrschaft, der über den Ausbau des 5G-Mobilfunkstandards, Dominanz im Halbleitersektor und Innovationen in Bereichen wie der künstlichen Intelligenz ausgetragen wird. Die Welt bewegt sich auf ein Regime zweier Technologie-Ökosysteme zu. Große Spieler wie Apple werden dazwischen navigieren müssen.

Wird der Trend zum Hongkong-Zweitlisting von chinesischen Unternehmen, die bereits in New York notiert sind, angesichts der weiterhin bestehenden politischen Spannungen anhalten?

Das liegt jedenfalls nahe. In den USA besteht hoher Druck auf die Börsenbetreiber, einheitliche Listing-Standards für chinesische Unternehmen sicherzustellen. Denn in den vergangenen fünf bis sieben Jahren sind die Handelsplätze gewisse Kompromisse eingegangen, um Konzerne aus der Volksrepublik anzulocken. Besteht durch den Kongress nun eine Gefahr für ihre New Yorker Notierungen, werden sich diese Unternehmen logischerweise über ein Zweitlisting in Hongkong oder andere Kapitalquellen rüsten. In diesem Zusammenhang ist es positiv, dass sich der chinesische Aktienmarkt signifikant weiterentwickelt hat und für eine größere Zahl ausländischer Investoren zugänglich ist. Für viele Assetmanager, uns eingeschlossen, besteht zwischen der Investition in ADRs und der Anlage in China-A-Aktien langfristig attraktiver Unternehmen schließlich kein großer Unterschied.

Der chinesische Markt scheint bisher weniger vom gestiegenen Aktivismus der Privatanleger betroffen zu sein als US-Aktien. Wie wird sich der jüngst beobachtete Retail-Rausch in nächster Zeit auf die Märkte auswirken?

Der jüngste Privatanleger-Aktivismus ähnelt dem Aktienboom um die Jahrtausendwende. Doch obwohl sich Investoren auf langfristige Fundamentaldaten konzentrieren sollten und es besorgniserregend ist, Titel wie Gamestop auf Niveaus weit über ihrem fairen Wert zu sehen, werden diese Entwicklungen die Stabilität der Märkte auch aufgrund der weitreichenden Unterstützung nicht beeinflussen. Die Demokratisierung der Geldanlage durch Trading-Apps wie Robinhood ist insgesamt positiv zu sehen, da die Zahl der Marktteilnehmer in der Folge wachsen dürfte.

Das Interview führte

BZ+
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