Abschläge voraus

Preisdruck auf Immobilien nimmt zu

Die Marktteilnehmer warten gespannt auf die Preisabschläge bei großen Transaktionen. Ungeachtet der Unsicherheit gehen Trends wie ESG und Digitalisierung von Immobilien weiter.

Preisdruck auf Immobilien nimmt zu

Die Aussichten für das Immobilienjahr 2023 sind ungewiss. Bislang sind noch keine dramatischen Preisabschläge zu beobachten, weil viele Investoren sich in einer abwartenden Position befinden. Klar ist aber schon heute, dass für Immobilien angesichts der höheren Zinsen inzwischen weniger die Rendite spricht, sondern eher die Risikodiversifizierung. Doch im Moment traut sich keiner raus. „Alle wissen, dass die Preise fallen müssen, doch keiner will der Erste sein. Man kann fast sagen, dass es eine bleierne Zeit gibt, es bewegt sich kaum etwas am Markt“, beschreibt Thomas Beyerle, Leiter Research beim Immobilieninvestor Catella, die Lage. Alle würden auf die Abschläge bei den Preisen warten. Er rechnet mit einer Bodenbildung bei minus 10 oder 15%. Verena Rock, Professorin für Immobilienmanagement an der TH Aschaffenburg, ergänzt: „Keiner will der Erste sein, der Abwertungen durch Verkäufe realisieren muss. Aber das wird kommen.“

Turm im Angebot

Während es bislang eine Unterstützung für die Preise durch gute Standorte gegeben habe, werde sich das in den nächsten Monaten ändern. Auch in den Spitzenlagen wie etwa der Frankfurter Innenstadt stünden Abschläge bevor, wenn die Objekte nicht mehr modern seien.

Aber es gibt auch noch Top-Objekte, die jeder haben will und für die Prämien gezahlt werden. Andererseits ist eine ganze Reihe von Assets vorhanden, die keiner mehr anfassen will. So beschreibt Henning Koch, Vorstandsvorsitzender von Commerz Real, die Schere im Immobilienmarkt, die zunehmend auseinandergehe. Für Investoren keine einfache Lage – daher müsse sei in der aktuellen Marktphase auch Mut gefragt, den ein oder anderen opportunistischen Deal anzupacken und dort Chancen zu realisieren.

Eigenkapital zählt

Der Anlagedruck der Investoren ist bislang nur leicht zurückgegangen. Immobilienunternehmen konnten in den vergangenen zwölf Monaten weiter Geld einsammeln. Doch viele Investoren halten sich aktuell wegen der noch unsicheren Marktlage, der höheren Zinsen und in Anbetracht der wachsenden Attraktivität von Alternativanlagen zurück. „Ein Problem ist auch die stark steigende Managementintensität der Immobilien durch die höheren Anforderungen für die Nachhaltigkeit“, sagt Rock, die angesichts eines höheren Verwaltungs- und Managementaufwands Gebührensteigerungen bei den Asset- oder Propertymanagern für möglich hält.

Die Krise hat aus Sicht von Commerz-Real-CEO Koch auch gute Seiten. Die Marktteilnehmer betrachteten das Geschäft wieder stärker mittel- und langfristig. „Die Zeiten der Spekulanten im Immobilienbereich sind erst mal vorbei, jetzt profitieren die klassischen Assetmanager.“ Basisdaten wie Lage würden wieder wichtiger, auch die Flexibilität bei der Nutzung und die Struktur des Gebäudes sowie das Vermietungspotenzial. „Teilweise haben Investoren in den vergangenen Jahren leerstehende Flächen gekauft und diese auch leer wieder weiterverkauft. Das hat jetzt aufgehört“, sagt Koch.

Profitieren würden vom schwierigen Markt eigenkapitalstarke Investoren. Es werde sich im Bereich der Immobilien die Spreu vom Weizen trennen. „Endlich zählt Eigenkapital wieder etwas. In den vergangenen Jahren haben uns teilweise Wettbewerber mit günstigen Finanzierungen zu schaffen gemacht. Eigenkapital hilft jetzt definitiv“, sagt Koch, der inzwischen wieder häufiger exklusiv verhandeln kann, weil sein Haus häufig ganz mit Eigenkapital arbeitet und keinen Finanzierungsvorbehalt habe. „Damit können wir auch Wettbewerber ausstechen, die höhere Gebote abgeben. Ich freue mich, dass es wieder weniger Wettbewerb gibt“, führt der Fondsinvestor aus.

Nachhaltigkeit als Notwendigkeit

Die grundsätzlichen Trends wie Nachhaltigkeit, Energieeinsparung und Digitalisierung werden bleiben. Wobei Verena Rock bei Nachhaltigkeit nicht mehr von einem Trend sprechen möchte, das sei inzwischen eine Notwendigkeit in der Branche. „Es geht jetzt um die Implementierung und darum, die Hausaufgaben zu machen.“ In der Praxis würden im Immobilienbereich die Unternehmen auf das Thema ESG sehr unterschiedlich reagieren. Einige handelten, wenn neue Regeln aus Brüssel kämen, andere arbeiteten proaktiv. „Viele sind mit ihren großen Portfolios mittlerweile so weit, dass sie das Thema Umwelt sehr gut erfasst haben“, sagt Rock.

Angesichts der Krise halten es Experten für falsch, die Ausgaben in den Bereichen Nachhaltigkeit und Digitalisierung wieder zu­rückzufahren. „Wenn man heute diese Themen nicht anpackt, wird man ein exponentiell größeres Problem in der Zukunft bekommen“, sagt Koch. Er hält es dabei für wichtig, erneuerbare Energien und Immobilien zu verbinden. „Wir begrüßen es sehr, wenn offene Immobilienfonds künftig stärker in erneuerbare Energien investieren dürfen“, sagt Koch mit Blick auf die Änderungen für Immobilienfonds. Der Bundestagsfinanzausschuss hatte Ende November im Rahmen des Jahressteuergesetzes beschlossen, dass die Grenze für gewerbliche Einnahmen von Spezialfonds-Investmentfonds, zum Beispiel beim Betrieb von Solaranlagen auf den Gebäuden von 5 auf 10% angehoben wird. Das bringe für die Produkte mehr Autarkie im Portfolio und mache es einfacher, den ESG-Pfad einzuhalten, so die Einschätzung von Henning Koch.

Als Differenzierungsfaktor der Zukunft hat Verena Rock Impact Investment im Immobilienbereich ausgemacht. „Wer hier schon tätig ist, wird in den nächsten Jahren einen Vorteil haben. Andererseits gibt es für das Thema noch keinen Standard, sodass viele Marktteilnehmer im Dunkeln stochern.“ Auf der anderen Seite der Nachhaltigkeit stehen Stranded Assets, nichtnachhaltige Immobilien, die sich schwer „grün“ modernisieren ließen, weil es sich für die Bestandshalter oft nicht lohne. „Aus Kostengründen ist eine nachhaltige Sanierung zuweilen nicht darstellbar – wenn sie nicht über die Miete kompensiert werden kann. Das führt dazu, dass man über komplette Umnutzungs- oder Verwertungskonzepte nachdenken muss“, erläutert Rock.

Bodenbildung in Sicht

Die Meinungen zu den einzelnen Nutzungsarten gehen auseinander. Investor Henning Koch beispielsweise sieht bei Shopping-Centern eine spannende Phase mit einer möglichen Bodenbildung. Das weitere Abwertungspotenzial sei hier ge­fühlt nicht mehr ganz so groß wie in anderen Nutzungsarten. Aus Sicht von Beyerle werden die Probleme bei Shopping-Centern aber weitergehen, weil man diese Immobilien künftig nicht mehr brauche. Auch Fachmarktzentren seien nicht mehr so gefragt wie in der Coronazeit, als Lebensmitteleinzelhandel als großer Pluspunkt gesehen wurde. „Jetzt gehen auch bei Fachmarktzentren die Preise zurück.“ Stabil ist nach Einschätzung des Catella-Experten das Segment Hotel, das durch Corona in die Krise geraten war. „Hier sieht man große Nachfrage, insbesondere nach Budget-Hotels, mit denen sich Renditen von 5 bis 7% erreichen lassen.“

Auch wenn der Markt bei Büroimmobilien quasi zum Erliegen gekommen ist, bleibt dieses Segment weiterhin mit Abstand das Wichtigste. Koch hat im Bürobereich den Trend von Unternehmen ausgemacht, vom Rand der Städte in die Innenstadt zu ziehen. „Das ist zwar teurer, aber mit reduzierter Fläche kann die Mietbelastung gleich bleiben. Die Firmen profitieren dann von einem attraktiven Standort und können ihren Mitarbeitern wieder etwas bieten.“

Die Mischung macht’s

Ungebrochen ist auch der Trend zu gemischten Nutzungen. „Es gibt in vielen Lagen keine Alternative. Die traditionellen Nutzungsarten wie Einzelhandel und Büro sind stark herausgefordert und werden sich oft ohne komplett neue Nutzungskonzepte schwertun“, sagt Verena Rock. Das bedeute allerdings für den Eigentümer einen erheblich höheren Managementaufwand. Großflächige Büroimmobilien hätten nur noch in den Top-Städten eine Zukunft, während eine einseitige Nutzung in mittleren und kleineren Städten zunehmend Probleme nach sich ziehe. Generell ist Rock für viele Bürostandorte skeptisch, da die schlechte makroökonomische Lage im nächsten Jahr durchschlagen werde. „Oft wird es mit dem Auslaufen der Büromietverträge zu Abmietungen kommen, weil die Nachfrage sich meist auf die Top-Lagen konzentriert.“

Dass die Trendwende am Wohnimmobilienmarkt weitergeht, sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Pfandbriefbanken (VdP), Jens Tolckmitt. Er geht davon aus, dass die Preise noch zurückgehen werden. Aufgrund der weiterhin hohen Nachfrage nach Wohnraum seien aber auch hier keine dramatischen Preiseinbrüche zu erwarten. Selbst bei einem Rückgang von 20% über einen längeren Zeitraum würden die Preise noch auf dem Niveau aus dem Jahr 2020 liegen.

Einen gewissen Lichtblick für das Jahr 2023 hat Commerz-Real-Chef Koch im Bereich Logistik mit großen Flächen ausgemacht. Solche Objekte böten Chancen zur Nutzung für erneuerbare Energien. In den Nutzungsarten Logistik und Wohnen sei nach wie vor eine starke Nachfrage auf der Mieterseite und auch entsprechendes Mietsteigerungspotenzial zu beobachten. „In dem Segment gibt es noch Aktivitäten“, betont der Fondsinvestor.

Von Wolf Brandes, Frankfurt

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.