Martin Lück

„US-Aktien sind besser aufgestellt“

Investoren stehen aktuell vor besonderen Herausforderungen angesichts des Krieges in Europa, der Energiekrise und einer drohenden Rezession. Martin Lück, Chief Investment Strategist für Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa bei Blackrock, erläutert, wie sich Anleger jetzt positionieren sollten.

„US-Aktien sind besser aufgestellt“

Dieter Kuckelkorn.

Herr Lück, wie stellt sich derzeit das Umfeld der Märkte dar? Was erwarten Sie für 2023?

Nun, der konjunkturelle Ausblick in das kommende Jahr ist sehr unsicher, weil wir eine ganze Reihe von Krisenherden haben. Die Märkte stellen sich momentan aber wohl darauf ein, dass die Inflation in den USA vielleicht schon den Höhepunkt überschritten hat und dass die Zinsen in den USA nicht ganz so stark steigen müssen, wie anfänglich befürchtet. Das hat jetzt zuletzt auch zu der Erholung an den Aktienmärkten geführt.

Worauf ist die in dieser Hinsicht günstigere Situation in den USA zurückzuführen?

Das liegt daran, dass die auf dem Weltmarkt hohen Energiepreise weniger Einfluss auf die USA haben. Ähnliches gilt für die Wachstumsperspektive, weil die Rezession ja gerade durch die hohen Energiepreise verursacht wird. In den USA ist es absolut möglich, dass es nicht zu einer Rezession kommt, die Hoffnung auf einen Zinsschritt im Dezember von nur noch 50 Basispunkten ist durchaus berechtigt. In Europa ist die Rezessionsgefahr hingegen we­sentlich größer. Hier wird die Inflation vermutlich länger hoch bleiben und auch die Bremswirkung, die die Geldentwertung auf das Wachstum hat, dürfte stärker ausfallen. Außerdem ist Europa stärker vom Welthandel und der Lage in China abhängig und auch vom Ukraine-Krieg stärker betroffen.

Was erwarten Sie 2023 für Asien?

Wir erwarten von Asien im kommenden Jahr relativ viel. Dies gilt insbesondere für China, wo wir Aufholpotenzial sehen. Die chinesische Regierung hat auch ein großes Interesse daran, das 2022 verloren gegangene Wachstum im neuen Jahr nachzuholen. So sind beispielsweise die Covid-19-Restriktionen gelockert worden, den neuen Ausbrüchen dürfte man sich zukünftig mit deutlich milderen Maßnahmen entgegenstellen. In China will man auf dieselben Wachstumstreiber wie in der Vergangenheit setzen, unter anderem auf den Immobilienmarkt, der vor der Krise von 2021 sehr viel zum chinesischen Wachstum beigetragen hat. Das große Fragezeichen ist aber, wie stark China auf der weltwirtschaftlichen Ebene zurückkommt. Dort hat sich in den vergangenen Jahren etwas massiv verändert. Die USA nehmen China nicht mehr als Schwellenland wahr, sondern als einen strategischen Rivalen. Daher ist noch nicht klar, wie stark die Rolle Chinas im Welthandel künftig sein wird, und wie weit China seine Kraft auf die Weltwirtschaft übertragen kann. In dieser Hinsicht habe ich noch meine Zweifel. Wir gehen aber davon aus, dass der Marktkonsens eines chinesischen Wirtschaftswachstums von 4,8% im kommenden Jahr zu niedrig ist. Wir erwarten eher 5,5%.

Wie stark werden die politischen Konflikte die Finanzmärkte im neuen Jahr prägen?

Die politischen Rahmenbedingungen der Märkte sind im neuen Jahr die große Unbekannte. An erster Stelle zu nennen ist der ja keineswegs verschwundene Klimawandel und mit der unangenehmen Entwicklung, dass einfach zu viele Partikularinteressen mit am Tisch sitzen, als dass man einen Kompromiss erwarten dürfte, der für die Welt förderlich wäre. Der zweite Punkt, der zu nennen wäre, ist die Neuaufstellung der Globalisierung. Wie weit und wie stark werden Blöcke und Regionen miteinander im freien Handel kooperieren, die sich als Rivalen wahrnehmen?

Was erwarten Sie 2023 hinsichtlich des Ukraine-Kriegs?

Was im nächsten Jahr in der Ukraine passiert, bleibt das entscheidende Thema. Bisher ist ungewiss, was im kommenden Jahr im Blick auf den furchtbaren Krieg geschehen wird. Ich glaube, dass diese Risiken größer sein könnten, als uns der gegenwärtige Zustand der Märkte glauben macht.

Ein längerfristiges Problem auch für die Märkte ist ja die Energieversorgung. Wie wird sich die europäische Energiekrise weiterentwickeln?

Die Gasspeicher sind zwar komplett gefüllt, aber zum größten Teil noch mit russischem Gas, weil dieses bis in den Sommer hinein noch geliefert wurde. Das große Problem ist also nicht der aktuelle, sondern der nächste Winter. Mit Blick auf die neuen Gasterminals werden wir zwar kein Verfügbarkeitsproblem mehr haben, allerdings muss das Gas wohl zu sehr hohen Preisen eingekauft werden. Man kann davon ausgehen, dass die Energiepreise noch weiter steigen werden, wenn gleich wohl nicht mit der Dynamik wie im zu Ende gehenden Jahr.

Befürchten Sie eine Deindustrialisierung Deutschlands?

Deindustrialisierung ist wohl ein zu scharfes Wort. Wir rechnen allerdings mit einem deutlich beschleunigten Strukturwandel, der einen enormen Druck erzeugt. Die betroffenen Unternehmen müssen ihre Prozesse erneuern, was aber nicht zwangsläufig zur Deindustrialisierung führt, sondern stattdessen auch kreatives Potenzial freisetzen kann. Es könnte also ein regelrechter Innovationsschub durch die deutsche Industrie gehen.

Wie sind derzeit die Perspektiven in der Aktienanlage?

Wir haben an den Aktienmärkten seit Anfang des Jahres relativ starke Verluste gesehen, in Europa mehr als in Amerika. Es gibt viele Stimmen, die von einer Abschwächung der Inflation insbesondere in den USA ausgehen und von einer dort nach wie vor vergleichsweise robusten Wirtschaftsentwicklung. Wenn es so wäre, könnte sich dies positiv für Aktien entwickeln. Wir sehen das allerdings noch nicht. Wir sind davon überzeugt, dass die Gewinnerwartungen noch zu hoch sind und dass die konjunkturelle Abschwächung noch nicht voll­ständig eingepreist ist. Die Fed Funds Target Rate könnte noch einmal um 100 Basispunkte steigen. Insofern raten wir kurzfristig zur Vorsicht an den Aktienmärkten. Langfristig aber gehören Aktien in jedes Portfolio, weil die Realzinsen niedrig bleiben. Das wiederum liegt daran, dass die Zentralbanken die Zinsen im Verhältnis zur Inflation weniger stark erhöhen als in früheren Zyklen.

Welche Regionen würden Sie bevorzugen?

Europa ist stärker von den hohen Energiepreisen betroffen. Europäische und insbesondere deutsche Unternehmen erwirtschaften einen höheren Wertschöpfungsbeitrag in der Industrie, die stärker unter den Energiekosten leiden. US-Aktien sind also besser aufgestellt. Im Vergleich zu Amerika und Asien könnte Europa also weiter ein Mauerblümchendasein führen.

Welche Branchen halten Sie für attraktiv?

In den nächsten Monaten werden die Gewinner der vergangenen Quartale attraktiv bleiben, also vor allem die Energiebranche, die hohe Gewinne realisiert. Wobei sich aber natürlich die Frage stellt, ob man überhaupt noch in die Anbieter konventioneller Energien investieren möchte. Wenn man an Unternehmen denkt, die solide Geschäftsmodelle aufweisen und auch in Krisenzeiten gefragt sind, bietet sich die Gesundheitsbranche an. Diese Branche ist gegenüber anderen defensiven Werten wie Consumer Staples günstiger bewertet. Es gilt allerdings zu beachten, dass wir derzeit keinen typischen Konjunkturzyklus haben, indem man in die für die jeweilige Phase des Zyklus typische Branchen investieren könnte. Die Konjunkturphase wird von strukturellen Faktoren überlagert. Die Frage, wo wir uns derzeit im Konjunkturzyklus befinden, ist daher weniger relevant. Für Anleger könnte es sich stattdessen lohnen, darauf zu schauen, welche strukturellen Treiber es gibt und welche Branchen davon profitieren.

Wie ist Ihrer Meinung nach die Situation für Anleger bei den Anleihen?

Das Umfeld bleibt für Anleger im Anleihemarkt schwierig. Allerdings kann man heute wieder mit einem vernünftigen Anleiheanteil im Portfolio höhere Renditen generieren, weil die Zinsen wieder gestiegen sind. Man muss jedoch differenzieren. Es gibt bei den Anleihen attraktive Bereiche. So sind die Inflationserwartungen sowohl für Europa als auch für die USA im fünf- und zehnjährigen Bereich nach wie vor zu niedrig, weil die Marktteilnehmer noch nicht komplett zu der Überzeugung gelangt sind, dass die Zentralbanken am Ende höhere Inflation akzeptieren werden. Es gibt längerfristige strukturelle Inflationstreiber wie Deglobalisierung, Dekarbonisierung und Demografie und es ist nicht zu erwarten, dass die Zentralbanken die Inflation um jeden Preis nach unten treiben werden. In einem solchen Szenario sind inflationsgeschützte Anleihen interessant. Übergewichtet haben wir auch die Unternehmensanleihen guter Bonität, weil diese durch die aktuellen Risikoaufschläge bereits ein Ausfallrisiko abbilden, das wahrscheinlich nicht erreicht wird. Wir glauben, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Risi­koaufschläge zusammenschmelzen und die Kurse dieser Anleihen steigen, relativ hoch ist.

Wo sind Sie untergewichtet?

Untergewichtet sind wir nach wie vor bei Staatsanleihen. Dort werden die Zinsen hauptsächlich von der Laufzeitenprämie beeinflusst. Wenn wir mit unserer Vermutung richtigliegen, dass die Inflation längerfristig höher sein wird, als der Markt vermutet, deutet das auf noch weiter steigende Zinsen und damit sinkende Kurse hin. Staatsanleihen sind also eher im kurzfristigen Bereich interessant, wo die Zinsen bereits aufgrund der Aktionen der Notenbanken stark gestiegen sind.

Was halten Sie derzeit im Bereich der alternativen Assets für at­traktiv?

Wir sind grundsätzlich der Auffassung, dass ein Portfolio, das nur aus klassischen Anlageklassen besteht, der Vergangenheit angehören sollte. Anlagen, die man früher nur als kleine Beimischung akzeptiert hat, sollten mittlerweile einen höheren Anteil haben, nämlich rund ein Drittel des gesamten Portfolios. Dabei spielen Private Equity, Infrastruktur und Private Debt eine Rolle. Ein wichtiger Aspekt sind auch Rohstoffe, weil derzeit viele Rohstoffe auf einem Niveau notieren, das für eine weltweite Rezession spricht. Gerade bei den Industriemetallen werden wir sehr viel Nachfrage sehen, weil diese Rohstoffe für die grüne Transformation von großer Bedeutung sind. Das ist unserer Meinung nach noch nicht ausreichend eingepreist.

Sind Immobilien immer noch attraktiv?

Immobilien gehören zu den Bereichen, die am schnellsten auf steigende Zinsen reagieren. Es hat bereits eine Verdreifachung der Hypothekenzinsen gegeben. Das führt zu Preisabschlägen, weil Immobilien nun schwieriger zu finanzieren sind. Das betrifft dann aber meist Immobilien, die zu extrem hohen Multiples angeboten werden, die bei den steigenden Zinsen nicht mehr zu realisieren sind. Früheren Immobilienzyklen können wir entnehmen, dass die Preise für Top-Wohnimmobilien in sehr guten Lagen relativ stabil bleiben dürften, während es im qualitativ unteren Segment Preisabschläge gibt. Es wird vermutlich letztlich eine Delle im Markt geben, aber eher eine Seitwärtsbewegung als einen massiven Crash.

Das Interview führte

BZ+
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