Alexandra Christiansen

„Wir wollen eine faire Klima-Transition anstoßen“

Nordea will mit dem Global Climate Engagement Fund zur Emissionsreduktion in der Wirtschaft beitragen. Fondsmanagerin Alexandra Christiansen sieht besonders in der Stahlbranche viel Einsparpotenzial.

„Wir wollen eine faire Klima-Transition anstoßen“

Alex Wehnert.

Frau Christiansen, Sie lenken den Ende April gestarteten Global Climate Engagement Fund von Nordea. Was machen Sie anders als andere Nachhaltigkeitsfonds?

Investoren sind beim Blick auf den CO2-Abdruck unseres Portfolios womöglich schockiert, weil dieser viel höher ausfällt als jener der Benchmark. Es handelt sich dabei aber eben um eine Momentaufnahme, die durch die Natur unserer Engagement-Strategie bedingt ist. Denn wir wollen eine möglichst große, reale Emissionsreduktion bei den in unserem Fonds enthaltenen Unternehmen erreichen. Wir können das Klima eben nicht retten, ohne Sektoren wie die Stahl-, Zement- oder Chemieindustrie ein­zubeziehen, die heute noch hohe CO2-Ausstöße­ verursachen.

Allerdings haben Investoren über die vergangenen Jahre genau aus diesen Branchen viel Kapital abgezogen, die Kurse der entsprechenden Unternehmen leiden unter mangelnder Konformität mit ESG-Strategien. Worin besteht da für Sie die Investmentperspektive?

Genau in dieser Kapitalflucht, die interessante Einstiegsgelegenheiten nach sich zieht. Wir kaufen natürlich keine Aktien aus Branchen, die sich im strukturellen Niedergang befinden. Doch viele Unternehmen, die ein CO2-intensives Geschäftsmodell verfolgen oder als Umweltverschmutzer gelten, sind auch in einer Wirtschaft niedriger Emissionen noch relevant oder ermöglichen die Energiewende entscheidend mit, zum Beispiel Kupferhersteller. Durch unser Engagement mit dem Management wollen wir zu einer Emissionsreduktion beitragen, infolge derer diese Werte auch für ESG-Investoren gangbar werden. Denn dann fließt ihnen neues Kapital zu und die Aktienkurse dürften wieder anziehen.

Wie machen Sie solche Werte ausfindig?

Wir nehmen zunächst einmal eine Bewertungsanalyse vor, suchen also nach überverkauften oder aus unserer Sicht falsch bepreisten Werten. Dann prüfen wir, inwieweit ein Engagement-Szenario realisierbar ist. Dank der langen Historie von Nordea als aktiver Nachhaltigkeitsinvestor können wir dabei auf viele Erfahrungen aus Interaktionen mit Unternehmen zurückgreifen. Anhand dieser können wir abschätzen, ob das Management offen für Engagement ist und ob es tatsächlich die Ziele durchsetzen kann, die wir anpeilen.

Falls dies der Fall ist: Wie gehen Sie anschließend vor?

Als Erstes müssen wir die richtigen Ziele setzen. Wir fordern klare Vorgaben für die Emissionen ein, die ein Unternehmen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einsparen will. Einige unserer Portfoliounternehmen ha­ben das zum Investitionszeitpunkt auch bereits getan. Daher versuchen wir in erster Linie, im Dialog mit den Unternehmen Strategien und konkrete Pläne für Investitionen aufzustellen, die auf eine möglichst große Emissionsreduktion einzahlen. Denn wenn Unternehmen spezifische Kapitalzusagen treffen, wird ihr Einsparpotenzial auch für den Markt besser ersichtlich.

Wie sieht Ihr Anlagehorizont aus?

Wir wollen das Management bei Dekarbonisierungsstrategien für drei bis fünf Jahre begleiten. Wenn wir dann Fortschritte erreicht haben, werden wir unser Kapital in neue Unternehmen stecken, die beim Klimaschutz hinterherhinken.

Was passiert, wenn das Management weniger offen für Ihre Vorschläge oder allgemeine Reduktionsstrategien ist als gedacht?

Zunächst einmal müssen wir analysieren, warum sich die Geschäftsmodelle nicht so schnell wandeln wie erhofft. Die Situation bei RWE ist ein gutes Beispiel. Dort hat der aktivistische Investor Enkraft zuletzt auf eine Abspaltung des Geschäfts mit dem Industriebrennstoff Lignite, der aus der Trocknung und Zerkleinerung von Braunkohle gewonnen wird, ge­drungen. Wir haben auf der Hauptversammlung als einer der wenigen Aktionäre mit Enkraft für einen solchen Spin-off gestimmt, allerdings bringen wir durchaus Verständnis für die Position von RWE auf.

Der Konzern will den Kohleausstieg durchaus vorantreiben…

Angesichts der aktuellen geopolitischen Krisen entsteht aber Druck auf die Unternehmen, an fossilen Energiequellen festzuhalten oder diese sogar zurückzubringen, um die Energiesicherheit zu gewährleisten. Dies sollte aber nicht in die Verantwortlichkeit von RWE fallen, sondern in jene der Regierung. Der Konzern soll sich darauf konzentrieren können, seine Bemühungen im Bereich der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Allgemein bewegt sich RWE diesbezüglich nämlich in die richtige Richtung. Wir wollen jetzt mit dem Management daran arbeiten, das Potenzial zu nutzen und das Unternehmen für neue Investoren attraktiver zu machen.

In welchem Umfang müssen Sie bei einem Unternehmen investiert sein, um in den Gesprächen mit dem Management mit Nachdruck auftreten zu können?

Da gibt es keinen festen Prozentwert, grundsätzlich ist dafür aber schon ein bedeutender Anteil der Stimmrechte nötig. Für uns ist von Vorteil, dass wir unsere Engagement-Bemühungen über alle Fonds von Nordea hinweg koordinieren können. In vielen Fällen bringen wir daher schon ein angemessenes Gewicht mit, ohne dass wir mit dem Engagement Fund an sich großvolumige Positionen aufgebaut haben. Zudem sind wir auch Mitglied in Investoreninitiativen und können uns auch auf dem kurzen Dienstweg mit anderen Aktionären zusammenschließen, um stärkeren Druck aufzubauen.

Mündet dieser Druck im Zweifel auch in Veränderungen in der Unternehmensführung?

Wir sind natürlich keine Aktivisten, werden also versuchen, so gut und konstruktiv wie möglich mit dem Management zusammenzuarbeiten. In der Vergangenheit hat Nordea gemeinsam mit Kooperationspartnern aber durchaus auch personelle Veränderungen erwirkt. So hat der Stromversorger Hawaiian Electric die Zielvorgaben des Bundesstaats Hawaii in Bezug auf die Energiewende zeitweise nicht energisch genug verfolgt. Wir haben uns deshalb mit Value Act Capital zusammengeschlossen, eine Vertreterin der Investmentgesellschaft ist dann in den Verwaltungsrat von Hawaiian Electric aufgerückt und treibt dort den Ausbau von Solaranlagen voran. Dies ergibt auf einer Inselkette mit derart vielen Sonnenstunden auch ökonomisch Sinn.

In anderen Regionen gestaltet sich der großflächige Einsatz erneuerbarer Energien dagegen aufgrund fehlender Speicherlösungen schwieriger…

Ja, deshalb sind auch politische Anreize zur Forschung in diesem Bereich so wichtig. In der Stahlindustrie beispielsweise fehlt es nicht an innovativen Produktionsprozessen. ArcelorMittal beispielsweise hat ein Verfahren für „grünen Stahl“ entwickelt, bei dem Eisenerz zunächst im Wege der Direktreduktion mit Wasserstoff verarbeitet wird und dann statt in einem industriellen Hochofen in einem mit erneuerbaren Energien betriebenen Lichtbogenofen eingeschmolzen wird. Bis jetzt wird dieses Verfahren aber nur in vereinzelten Projekten eingesetzt. Um es großflächig einzuführen, ist noch ein gewaltiger Kapitaleinsatz nötig. Dafür braucht es zunächst auch staatliche Förderung.

Politisch ist die Förderung erneuerbarer Energien auch durch den Ukraine-Krieg stärker in den Fokus gerückt als in anderen Regionen.

Unser Portfolio weist aktuell tatsächlich eine starke Neigung in Richtung europäischer Werte auf. Die Rahmenbedingungen entwickeln sich aber auch anderswo weiter, wie auch an Regulierungsvorschlägen in den USA deutlich wird. So hat die SEC angestoßen, dass Unternehmen künftig gemäß den Vorschriften der Task Force on Climate-Related Financial Disclosures berichten sollen, was viele Investmentgelegenheiten eröffnen dürfte. Innerhalb der kommenden fünf Jahre dürfte sich daher auch die geografische Gewichtung in unserem Portfolio verändern. Möglicherweise gibt es dann irgendwann auch eine stärkere Bewegung in Richtung Schwellenländer.

Dort besteht in Sachen Nachhaltigkeit aber doch jetzt schon viel Aufholbedarf. Warum also nicht früher einsteigen und eine umso größere Wirkung erzielen?

Wir müssen uns daran orientieren, wie sinnvoll ein Engagement bei dortigen Unternehmen ist. Wir sehen eine Kombination aus mehreren Problemen, darunter die geringere Zugänglichkeit der örtlichen Märkte und die intransparente Datenlage. Zudem unterscheidet sich unsere Weltsicht häufig von jener der Management-Teams. Wir haben zwar einige indische Werte im Portfolio. Das Land will aber erst bis 2070 Nettonullemissionen erreichen. Der Hintergrund, vor dem wir dort operieren müssen, ist also ein ganz anderer.

Inwieweit ändern sich die Voraussetzungen durch Kooperationen zwischen Industrie- und Schwellenländern, wie sie Deutschland und Indien in Bezug auf Wasserstoff vereinbart haben?

Natürlich ist ein Wandel in der Energiepolitik für die Werte aus unserem Universum von Vorteil, eine dementsprechende Top-down-Betrachtung ist für uns aber nicht die Lösung. Unser Investmentansatz ist sehr aktienspezifisch ausgerichtet, unser Portfolio ist auf 30 bis 40 Werte konzentriert. Denn ein intensives und effektives Engagement kann nicht über eine extrem große Anzahl an Unternehmen hinweg funktionieren, wir müssen unsere Ressourcen fokussieren und nach dem Bottom-up-Prinzip vorgehen.

Fließen neben dem Klimaschutz auch soziale und Governance-Faktoren in die Analyse ein?

Wir sprechen viel über das „E“ von ESG, weil dort die Gelegenheiten stecken, den Markt wieder von bestimmten Unternehmen zu überzeugen. Schließlich werden die Werte, bei denen wir uns engagieren, wegen vermeintlicher Mängel beim Umweltschutz und Klimaschutz ausgeschlossen. Eine Bewertung der Governance ist in unserem Ansatz von vornherein eingeschlossen, weil wir ja schon vor dem Engagement die Management-Strukturen eines Unternehmens prüfen müssen. Natürlich müssen anschließend auch soziale Faktoren wie die Arbeitssicherheit in die Analyse einfließen, die gerade bei Stahl- und Chemiekonzernen extrem wichtig für die Investmentthese sind.

Was ist mit Fällen, in denen Verbesserungen des ESG-Portfolios eines Unternehmens Arbeitsplätze kosten?

Das beziehen wir auf jeden Fall in unsere Überlegungen mit ein. Wir sind zum Beispiel bei der Werkstofffirma Solvay investiert, die ein sehr CO2-intensives Verfahren mit kalziniertem Soda für die Glasproduktion entwickelt hat. Viele Investoren dringen darauf, die entsprechende Sparte einfach zu schließen. Darauf erwidert das Unternehmen berechtigterweise, dass dann tausende Menschen ihre Arbeit verlieren würden. Und auch RWE hält unter anderem aus Gründen der Arbeitsplatzsicherheit am Geschäft mit Lignite fest. Deshalb geht es für uns als Investor darum, beim Engagement keine irrationalen Forderungen zu stellen, sondern eine faire Klima-Transition anzustoßen.

Das Interview führte

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