Digitale Assets

Anhaltender Kryptoverfall

Aktuell entscheidet sich, ob Kryptowährungen jemals den Sprung von der argwöhnisch beäugten Nische in den Finanzmainstream schaffen können. Die Zeichen stehen nicht gerade positiv.

Anhaltender Kryptoverfall

Der Verfall des Kryptomarkts im laufenden Jahr stellt mehr dar als nur eine temporäre Krise. Vielmehr entscheidet sich aktuell, ob Cyberdevisen und verbundene Dienstleistungen jemals den Sprung von einer argwöhnisch beäugten Nische in den Finanzmainstream schaffen werden – die Zeichen dafür stehen nicht gerade gut. Denn die Wertvernichtung am Markt geht weit über die Rücksetzer einzelner Kryptowährungen hinaus. So sind zahlreiche Vertreter des einst mit großen Wachstumshoffnungen begleiteten dezentralisierten Finanzwesens (DeFi) in Schieflage geraten. Der Grundgedanke hinter DeFi besteht darin, zentrale Intermediäre wie Börsenmakler und Banken abzulösen – eine Vision, an die wohl immer weniger Marktteilnehmer glauben. Aus Smart Contracts – also Computerprotokollen, die Transaktionen dezentral und automatisiert ausführen – mit DeFi-Bezug sind seit Ende April über 120 Mrd. Dollar oder mehr als 60% des hinterlegten Kapitals abgeflossen.

Erheblich zu den Verlusten beigetragen hat der Kollaps des Stablecoin Terra USD (UST). Dieser sollte Wertstabilität gewährleisten, verlor seine Bindung zum Dollar Anfang Mai aber völlig. Einerseits traf dies Bitcoin hart, weil die Organisation hinter UST im Versuch, das eigene System zu stabilisieren, ihre großvolumigen Reserven in der führenden Cyberdevise anzapfen musste. Andererseits geriet das DeFi-Segment unter Druck, weil Stablecoins integraler Bestandteil vieler dezentraler Anwendungen sind. Zudem hat die Krise Lending-Anbieter, die Anleger mit dem Versprechen hoher Renditen zum Verleih von Kryptowerten verleiten, in Liquiditätsnöte gebracht. Die Abhebungsstopps bei Celsius Network und Vauld sind für das Investorenvertrauen ebenso wenig förderlich wie die Zusammenbrüche des Brokers Voyager und des Hedgefonds Three Arrows Capital, der sich mit gehebelten Long-Wetten auf digitale Assets verspekuliert hatte.

Doch Kryptoenthusiasten wollen sich der unangenehmen Wahrheit, dass ihre Zukunftshoffnungen auf dem besten Weg sind, vollends zu erodieren, nicht stellen. Die aktuellen Turbulenzen bedeuteten zwar Rückschläge, böten aber umso größere Chancen, so die Argumentation. Denn in der Folge seien spekulative Elemente aus dem Segment gedrängt worden. Überhaupt habe der Kryptomarkt in seiner kurzen Historie schon zahlreiche Krisen gemeistert. Eine in absoluten Zahlen und in ihren Implikationen so weitreichende Wertvernichtung wie im laufenden Jahr hat es zuvor allerdings noch nie gegeben.

Dass einige Investoren unbeirrbar am Narrativ vom Kryptosiegeszug festhalten, ist nachvollziehbar. Denn wer sehr früh in Cyberdevisen investierte, hat immer noch Renditen von mehreren 10000% eingefahren. Diesen Anlegern fällt es schwer, sich von liebgewonnenen Assets zu trennen. Vor allem sehen sich eingeschworene Kryptobullen als Teil einer Graswurzelbewegung, die sich gegen das Establishment auflehnt, und üben sich deshalb in Realitätsverleugnung.

Die Annahme, dass Regulatoren einfach dabei zuschauen, wie der Kryptomarkt sich selbst bereinigt, mutet indes absurd an. Zuletzt haben sich die EU-Gesetzgeber auf einen Gesetzesrahmen geeinigt: Die Verordnung Markets in Crypto Assets ist künftig für Krypto­emittenten sowie die entsprechenden Handelsplätze maßgeblich. Natürlich birgt Regulierung die Chance, den Markt für institutionelle Investoren leichter gangbar zu machen. Allerdings muss sich erst zeigen, welche Digital-Assets-Projekte den strengeren Anforderungen gerecht werden können.

Im wichtigsten Finanzmarkt der Welt bahnt sich ohnehin eine zunehmend adverse Regulierung an. Die US-Börsenaufsicht SEC räumt dem Anlegerschutz hohe Priorität ein und weigert sich, spotbasierte Bitcoin-ETFs zuzulassen. Zuletzt schmetterte sie den Antrag des Vermögensverwalters Grayscale, seinen Bitcoin Trust in einen börsengehandelten Fonds umzuwandeln, ab – der Assetmanager klagt deshalb gegen die Behörde. Es droht ein langwieriger Prozess, dabei wäre eine Freigabe für spotbasierte ETFs wohl einer der wenigen möglichen Auslöser für neue Aufschwünge am Kryptomarkt gewesen. Auch vonseiten der Geldpolitik ist vorerst nicht mit Unterstützung zu rechnen: Insbesondere die Federal Reserve zeigt sich entschlossen, die hohe Inflation zu bekämpfen. Der resultierende Liquiditätsentzug trifft Kryptowährungen extrem hart. Digitalen Anlagen steht also eine anhaltende Krise bevor – und damit auch ein langes Warten auf den Sprung in den Mainstream.(Börsen-Zeitung, 7.7.2022)

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.