CFO-InterviewEva Scherer, Daimler Truck

„Die Unsicherheit führt zu einer schwierigen Nachfragesituation“

Während Daimler Truck in Deutschland einen Stellenabbau plant, verfolgt der Lkw-Bauer in den USA ambitionierte Ziele. Doch erschweren dort laut CFO Eva Scherer neben Donald Trumps Handelspolitik auch reaktionäre Strömungen in der Regulierung die Planung.

„Die Unsicherheit führt zu einer schwierigen Nachfragesituation“

Im Interview: Eva Scherer

„Die Lage in den USA hat sich signifikant verändert“

Finanzchefin von Daimler Truck warnt vor schwieriger Nachfragesituation durch Zoll-Unsicherheit – Harter Gegenwind für emissionsfreie Lkw in Amerika

Während Daimler Truck in Deutschland einen Stellenabbau plant, verfolgt der Lkw-Bauer in den USA ambitionierte Ziele. Doch erschweren dort laut CFO Eva Scherer neben Donald Trumps Handelspolitik auch reaktionäre Strömungen in der Regulierung die Planung.

Frau Scherer, Daimler Truck hat auf dem Kapitalmarkttag in North Carolina einen Abbau von 5.000 Stellen in Deutschland angekündigt. Der Betriebsrat ist über die Kommunikation nicht begeistert und betont, die Zahl sei nicht abgesprochen gewesen. Mit wie viel Widerstand gegen die Einsparmaßnahmen rechnen Sie noch?

Wir haben uns mit dem Betriebsrat auf die Rahmenbedingungen geeinigt, unter denen wir bis 2030 über 1 Mrd. Euro einsparen möchten. Die möglichen Mechanismen dazu haben wir in einem Eckpunktepapier festgehalten. Es geht um eine wesentliche Reduktion der Materialkosten und eine Senkung der Ausgaben im Vertrieb, der Produktion, der Verwaltung und IT und im Bereich Forschung und Entwicklung. Am Ende übersetzen sich viele dieser Maßnahmen aber natürlich in Einsparungen, die zu einem Stellenabbau führen. Wir alle ergreifen diese Maßnahmen nicht gerne, aber sie sind unumgänglich, um wettbewerbsfähig zu bleiben und die Zukunft des Unternehmens zu sichern. Natürlich prüfen wir Schritt für Schritt und Bereich für Bereich die Wirtschaftlichkeit und Umsetzung der Maßnahmen.

Eva Scherer kommuniziert auf dem Kapitalmarkttag von Daimler Truck ambitionierte Profitabilitätsziele.
Eva Scherer kommuniziert auf dem Kapitalmarkttag von Daimler Truck ambitionierte Profitabilitätsziele.
Daimler Truck

In den USA müssen Sie sich dagegen darauf vorbereiten, dass der Arbeitsmarkt abkühlt. Wie schätzen Sie die Chancen ein, noch qualifizierte Arbeiter für ihre Produktion in Bundesstaaten wie North Carolina zu finden und damit den Wachstumsanspruch in den Vereinigten Staaten zu stützen?

Wir sind sowohl in North und South Carolina stark vertreten und genießen als Daimler Truck North America eine gute Reputation. Insgesamt haben wir in den USA 18.000 Mitarbeitende und gelten als beliebter Arbeitgeber. Mit unseren sieben Produktionsstätten in den USA und zwei in Mexiko sind wir sehr flexibel aufgestellt. Wir können jedes Lkw-Modell sowohl in den USA als auch in Mexiko bauen und sind somit gegen regionale Schwankungen am Arbeitsmarkt abgesichert.

Bekenntnis zu Standort North Carolina

Daimler Truck ist mit North und South Carolina in zwei „Right to Work“-Bundesstaaten stark vertreten, in denen für Mitarbeiter also kein Gewerkschaftszwang herrscht. Wie wichtig sind Ihre Beziehungen zu einflussreicher werdenden Arbeitnehmerbündnissen wie United Auto Workers dennoch?

Wir arbeiten gut mit United Auto Workers zusammen. Im vergangenen Jahr haben wir eine Vereinbarung zu neuen Tarif-Bedingungen geschlossen. Vor allem aber haben wir an Standorten wie in North Carolina ein tolles Team, das immer bereit ist, die Effizienz zu steigern. Es ist nicht unser Ziel, alles nach Mexiko zu verlagern, sondern auch unsere Standorte in den USA durch Automatisierung und Digitalisierung weiterzuentwickeln und auf einem attraktiven Kostenniveau zu produzieren. In Cleveland nördlich von Charlotte stellen wir Trucks her, die sehr spezifiziert sind – zum Beispiel Muldenkipper, die genau auf Kundenbedürfnisse zugeschnitten werden können. Das können wir im Werk wirklich gut umsetzen.

Inwieweit haben Sie infolge der von US-Präsident Donald Trump verhängten Strafzölle eine Verlagerung der Produktion in die USA geplant?

Wir können dank unserer flexiblen Aufstellung immer auf externe Entwicklungen reagieren. Wir operieren aktuell unter der USMCA-Handelsvereinbarung – auch unsere Fahrzeuge, die wir in Mexiko bauen, verfügen über einen Antriebsstrang aus den USA. Für den gesamten nordamerikanischen Markt fertigen wir den Antriebsstrang, der einen wesentlichen Anteil des Wertes eines Lkw ausmacht, in Detroit. Auch andere Teile der in Mexiko montierten Trucks kommen aus den USA und werden mit dem kompletten Fahrzeug reimportiert oder in Mexiko verkauft, nach Kanada oder in südamerikanische Märkte geliefert. Wie sich die Situation durch mögliche sektorspezifische Maßnahmen verändern könnte, ist aktuell schwer vorhersehbar.

Alle Sektoren, die zum Wirtschaftswachstum beitragen, benötigen letztendlich Güter, die per Lkw transportiert werden müssen.

Eva Scherer, Daimler Truck

Welche Rolle spielen Zuschüsse und Förderungen aus dem Inflation Reduction Act und Infrastrukturpaketen der Biden-Regierung, die unter Trump nun in Zweifel stehen?

Diese Subventionen haben zu höheren Ausgaben für Infrastruktur und im Bausektor geführt. Der Markt für sogenannte Vocational Trucks hat sich damit im vergangenen Jahr sehr stark entwickelt. Darüber hinaus ist es das erklärte Ziel von Präsident Trump, die heimische Wirtschaft und insbesondere die inländische Produktion zu stärken. Alle Sektoren, die zum Wirtschaftswachstum beitragen, benötigen letztendlich Güter, die per Lkw transportiert werden müssen. Unsere Industrie profitiert damit grundsätzlich immer von allgemeinen Konjunkturaufschwüngen. Temporär herrscht aber eben viel Unsicherheit im Markt, was auch für uns zu einer schwierigen Nachfragesituation führt. Die Kunden warten ab, wie sich die Kostenstruktur entwickelt, und fahren die Lkw in ihrem Bestand im Zweifel etwas länger.

Zur Person

Gegenüber Anlegern den richtigen Ton zu treffen ist die Spezialität von Eva Scherer. Die Finanzchefin von Daimler Truck, im April 2024 als zweite Frau zum Vorstand des Lkw-Bauers gestoßen, leitete zuvor die Investor-Relations-Abteilung von Siemens – und hat auch in ihrer CFO-Rolle viel Kommunikationsarbeit zu leisten. In ihrer kurzen Zeit bei dem Unternehmen aus Leinfelden-Echterdingen hat sie schon zahlreiche Roadshows mitgemacht und die internationale Bühne in den USA und Großbritannien bespielt. Beim Kapitalmarkttag von Daimler Truck in Charlotte, North Carolina, steht Scherer mit ihren Vorstandskollegen den versammelten Bankern Rede und Antwort – der größte Teil der Fragen landet bei ihr. Die als weltoffen geltende Managerin, die ihre Karriere 2003 als Trainee bei Siemens begann und Weiterbildungen an den US-Eliteuniversitäten Stanford und Harvard absolvierte, tritt dabei bestimmt auf. Sie will der Wall Street erklären, die Daimler Truck funktioniert, häufig beginnen ihre Sätze mit „Was Sie bei unserem Unternehmen verstehen müssen...“. Beim Lkw-Bauer hat sie nach dem Tod ihres Vorgängers Jochen Goetz, der im August 2023 an einem Allergieschock durch einen Wespenstich starb, ein schweres Erbe angetreten. Scherer, die sich als „Young Global Leader“ beim Weltwirtschaftsforum engagiert, will sich der Aufgabe nun umso mehr gewachsen zeigen. Bis 2030 hat sie mit Daimler Truck schließlich ambitionierte Profitabilitätsziele zu erreichen.

Die Unsicherheit besteht auch an den breiten Kapitalmärkten und zeigt sich sehr deutlich an der Schwäche des Dollar im laufenden Jahr. Wie wirkt sich das auf Ihr Geschäft als Unternehmen mit starker Präsenz in den Vereinigten Staaten aus?

Natürlich haben Wechselkursschwankungen, insbesondere zwischen Dollar und Euro oder Dollar und mexikanischem Peso, Auswirkungen auf unser Geschäft. Die Produktionskosten fallen im nordamerikanischen Markt überwiegend in Dollar an, aber wir beziehen bestimmte Komponenten auch aus anderen Währungsräumen. Neben dem natürlichen Hedging dadurch, dass wir bestimmte Komponenten aus den USA wieder in die Eurozone zurückführen, reduzieren wir unsere Transaktionsrisiken auch klassisch über Devisentermingeschäfte. Das Exposure für das laufende Jahr ist schon weitestgehend abgesichert und auch für 2026 weist unser Portfolio angesichts der hohen Volatilität im Markt schon signifikante Hedging-Ratios auf.

Diskurs mit Washington trotz erratischer Politik

Hinzu kommen Translationseffekte, da Sie Ihre Geschäftsberichte in Euro vorlegen…

Ja, der Umsatzbeitrag des Nordamerika-Segments verändert sich, wenn der Dollar an Wert verliert, und das Ergebnis in Euro reduziert sich. Auch die Dividendenabführung von Daimler Truck North America an unsere Holdinggesellschaft in Deutschland unterliegt Wechselkurseffekten. Das sind aber kurzfristige Entwicklungen, die unsere strategischen Investitionsentscheidungen nicht wesentlich beeinflussen.

Die Dollar-Abwertung ist allerdings eine Auswirkung des handels- und fiskalpolitischen Kurses der Regierung in Washington. Auch die Regulierung gestaltet sich unter der Trump-Administration zunehmend erratisch. Wie viel Sinn ergibt es in diesem Umfeld überhaupt für deutsche Unternehmen, sich aus der Deckung zu wagen und sich direkt mit der US-Politik auseinanderzusetzen?

Für uns ist es wichtig, in Verbänden wie der American Trucking Associations (ATA) vertreten zu sein. Da dokumentieren wir auch klar unsere Positionen zu handelspolitischen Fragen. Auch in einem adversen politischen Umfeld können wir nur das Beste für den Markt und unsere Kunden erreichen, wenn wir aktiv an der öffentlichen Debatte und auch am regulatorischen Prozess mitwirken.

Der wesentliche Teil unserer Finanzierungen entfällt auf die Refinanzierung unseres Financial-Services-Geschäfts und nicht auf das industrielle Kerngeschäft.

Eva Scherer, Daimler Truck

Um Ihre Ansprüche im US-Markt zu erfüllen, benötigen Sie indes auch Kapital. Welche Kreditinstrumente sind für Sie in diesem unsicheren Umfeld interessant?

Der wesentliche Teil unserer Finanzierungen entfällt auf die Refinanzierung unseres Financial-Services-Geschäfts und nicht auf das industrielle Kerngeschäft. Dort arbeiten wir nach dem Matched-Funded-Prinzip – wir sichern also alle mit den Refinanzierungen verbundenen Zins- und Liquiditätsrisiken in den jeweiligen Währungsräumen ab. Allgemein sind klassische Bonds für uns ein zentrales Finanzierungselement, im kurzen Laufzeitenbereich nutzen wir Commercial Papers und in geringerem Umfang auch forderungsbesicherte Wertpapiere (ABS). Mit der Investorennachfrage sind wir sehr zufrieden. Wir prüfen im Financial-Services-Geschäft auch Kreditsyndizierungen im Dollar-Raum, dort sind aber noch keine konkreten Transaktionen geplant.

Welche Bedeutung besitzen die American Depositary Receipts (ADR), die amerikanischen Hinterlegungsscheine von Daimler Truck, für Ihre Kapitalmarktstrategie?

Investoren halten nur einen geringen Prozentsatz unserer ausstehenden Wertpapiere in Form von ADRs. Das hat meist regulatorische Gründe, da einige Investoren keine Assets außerhalb des Dollar-Raums halten dürfen. Als Ergänzung sind die ADRs daher wichtig. Wir sehen aber auch, dass die meisten institutionellen Anleger in den USA und Kanada lieber direkt in die Aktie investieren. Über 60 % unserer institutionellen Investoren sitzen in den Vereinigten Staaten, die US-Anlegerbasis ist über die vergangenen Jahre stark gewachsen. Das ist einer der Gründe dafür, dass unser Kapitalmarkttag in North Carolina stattgefunden hat.

Der EActros von Daimler Truck ist bei Brummi-Fahrern beliebt.
Der EActros von Daimler Truck ist bei Brummi-Fahrern beliebt.
Daimler Truck

Welche Rolle spielt das vielerorts heraufbeschworene Ende des „American Exceptionalism“ für diese Investoren bei Anlagen in europäische Titel wie Daimler Truck?

Da hat sich in den vergangenen Monaten schon Bewegung gezeigt. Ich bin nun seit einem Jahr und drei Monaten bei Daimler Truck und war in dieser Zeit auf vielen Roadshows und Investorenkonferenzen. Im vergangenen Jahr haben die Anleger dabei noch ganz klar die Potenziale der USA herausgestellt und Europa eher mit Skepsis betrachtet. Das hat sich schon im ersten Quartal verändert. Bei Gesprächen mit Investoren in den Vereinigten Staaten, aber auch in London habe ich eine Begeisterung für Europa erlebt, die so seit Jahren nicht mehr zu spüren war. Das zeigt sich auch an der starken Entwicklung des Dax. In Europa finden Anleger noch deutlich niedrigere Bewertungen als in den Vereinigten Staaten, und das macht auch Daimler Truck attraktiv.

Eine wachsende Zahl an Unternehmen zweifelt allerdings daran, dass sie ihr Bewertungspotenzial in Europa voll ausschöpfen können. Wäre auch für Sie nicht ein Primärlisting in einem tieferen und liquideren Kapitalmarkt interessant, insbesondere wenn sich die Zweifel am „American Exceptionalism“ wieder abschwächen?

Die Frage stellen mir Investoren immer mal wieder. Für uns ist das momentan aber kein Thema – wir müssen nun erst einmal unsere Hausaufgaben machen und unsere Wachstums- und Profitabilitätsziele bis 2030 erreichen. Dabei ist Nordamerika für uns zunächst einmal nicht als Finanz-, sondern als Abnehmermarkt zentral, auch wenn dort kurzfristig Gegenwind weht.

Die Situation in den Vereinigten Staaten hat sich gegenüber der Lage, in der wir noch vor zwei Jahren waren, signifikant verändert.

Eva Scherer, Daimler Truck

Dieser Gegenwind weht insbesondere für Fahrzeuge mit nachhaltigen Antrieben. Sie haben in Investorenpräsentationen dennoch das Wachstumspotenzial durch Batterie- und Wasserstoff-Technologie hervorgehoben. Inwieweit blicken Sie dabei schon über die aktuelle US-Legislaturperiode hinaus?

Die Situation in den Vereinigten Staaten hat sich gegenüber der Lage, in der wir noch vor zwei Jahren waren, signifikant verändert. Damals gingen wir davon aus, dass wir in den USA bis 2030 deutlich mehr emissionsfreie Fahrzeuge verkaufen würden. Jedoch hat sich die Regulatorik stark gewandelt, auch die Investitionen in die Infrastruktur für diese Lkw sind betroffen. Für Kunden in Nordamerika geht die Gesamtkostenkalkulation damit häufig nicht mehr auf, in Europa hingegen schon. Wir haben deshalb unsere Absatzziele für Lkw mit emissionsfreien Antrieben in den Vereinigten Staaten gesenkt und gehen nun von einem deutlich höheren Diesel-Anteil aus.

Ihre Wachstumsprognosen für das Geschäft mit nachhaltigen Antrieben beziehen sich also hauptsächlich auf Europa?

Richtig. Die Europäische Union hat ambitionierte Flottenziele für schwere Nutzfahrzeuge gesetzt, die Kohlenstoffdioxid-Emissionen sollen bis 2030 gegenüber den 2019 erreichten Werten um 45% zurückgehen. Dafür haben wir viel investiert und sehen uns mit unserer Produktpalette im Wettbewerb ganz vorne. Fachjournalisten aus 25 europäischen Staaten haben den batterieelektrischen Mercedes-Benz eActros 600 zuletzt als „International Truck of the Year“ ausgezeichnet. Nun muss aber auch die passende Infrastruktur aufgebaut werden.

Klare Forderungen an Europäische Union

Wie groß fällt der Ausbaubedarf tatsächlich aus?

Wir brauchen in Europa bis 2030 über 35.000 Ladepunkte für elektrisch betriebene Lastwagen, um die Kohlendioxid-Reduktionsziele der Europäischen Union erreichen zu können. Bisher gibt es weniger als 1.000, die für schwere Nutzfahrzeuge geeignet sind und auch die entsprechende Ladeleistung im Megawattbereich besitzen. Der Aufholbedarf ist also signifikant. Wir bauen in Kooperation mit Volvo und Traton in den nächsten Jahren 1.700 Ladepunkte an Logistikdrehkreuzen in Europa, aber das ist eben nur ein Anfang. Als Industrie investieren wir große Summen in nachhaltige Fahrzeuge, den notwendigen Ausbau der Infrastruktur können wir nicht zusätzlich alleine schultern. Dafür braucht es viel größere Unterstützung der nationalen Regierungen und der Europäischen Kommission, die sicherstellen muss, dass ihre ambitionierten Ziele auch erreichbar werden.

Das Interview führte Alex Wehnert.

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