Digitale Assets

Wettstreit der Kryptowährungen

Laut Analysten dürfte die stark positive Korrelation zwischen den Kursen verschiedener Kryptowährungen langfristig abnehmen. Der bisherige Marktprimus Bitcoin droht dann abgehängt zu werden.

Wettstreit der Kryptowährungen

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Es ist ein Abhängigkeitsverhältnis, in dem der eine Partner den anderen zu Höchstleistungen antreiben, ihn aber schon am nächsten Tag mit sich in die Tiefe ziehen kann: die Beziehung zwischen der führenden Kryptowährung Bitcoin und der Nummer zwei des Segments, Ether. Die Kursentwicklungen der beiden Cyberdevisen sind stark positiv miteinander korreliert, der entsprechende Koeffizient für die vergangenen drei Monate liegt bei 0,93. Zur Einordnung: Der Wert 1 bedeutet eine perfekte Korrelation, eine –1 zeigt eine exakt gegenläufige Bewegung.

Und auch die meisten kleineren Kryptowährungen sind in ihrer Kursentwicklung eng an die Performance von Bitcoin gebunden – was ganz einfach daran liegt, dass viele Investoren alle Cyberdevisen in einen Topf schmeißen. Dabei bestehen zwischen den einzelnen Digitalwährungen und den ihnen zugrundeliegenden Blockchains große Unterschiede. Diese dürften nach Ansicht von Analysten starken Einfluss auf Marktbewegungen entwickeln und im Wettstreit der Kryptowährungen langfristig eine entscheidende Rolle spielen.

Höchste Marktkapitalisierung

Bitcoin ist die älteste und mit einer Marktkapitalisierung von 836 Mrd. Dollar auch größte Kryptowährung. Seit der Einführung im Jahr 2009 sind zahlreiche Krypto-Handelsplattformen aus dem Boden geschossen, an denen der Primus des Segments gehandelt werden kann. Im Gegensatz zum Aktienmarkt treten zwischen verschiedenen Handelsplätzen im Kryptosegment indes deutliche Preisdifferenzen auf. 

Die geringere Effizienz und der weniger scharfe Wettbewerb am Markt für Cyberdevisen führen im Vergleich zu traditionellen Assetklassen also zu höheren Arbitragemöglichkeiten – dies ist besonders für Hedgefonds attraktiv. Laut dem diesjährigen „Crypto Hedge Fund Report“ der Beratungsgesellschaft PwC ist Bitcoin die Digitalwährung, die vom mit Abstand größten Anteil dieser Investmentvehikel gehandelt wird. Demnach waren 92% in der führenden Digitalwährung aktiv, Ether folgt mit 67% auf Platz zwei.

Primus im Fokus

Auch allgemein steht der Primus stärker im Fokus als die kleineren Cyberdevisen – ihm floss im Zuge der Krypto-Rekordrally zwischen Oktober 2020 und Ende April des laufenden Jahres der Großteil der Mittel zu. Mit nahezu 65000 Dollar erklomm er auf der Plattform Bit­stamp zeitweise Niveaus, die wohl nur die optimistischsten Investoren neun Monate zuvor für möglich gehalten hätten – schon das einstige, 2017 markierte Rekordhoch bei knapp über 20000 Dollar erschien jahrelang unerreichbar. Bitcoin profitierte massiv davon, dass Paypal im vergangenen Jahr ankündigte, seinen Kunden den Handel mit Kryptowährungen ermöglichen zu wollen – und die Payment-Riesen Mastercard und Visa mit ähnlichen Plänen nachzogen. Plötzlich war die Aussicht auf eine Massenadaption im Zahlungsverkehr gegeben, wodurch Assetmanager Bitcoin ernster nahmen.

Hinzu kommen Sorgen hinsichtlich der Inflationsanstiege infolge der ultralockeren Geldpolitik von Fed und Europäischer Zentralbank – aus Sicht von institutionellen Investoren wurden zentralbankunabhängige Devisen plötzlich als Absicherung alternativ. Bitcoin, so glauben Befürworter, eigne sich besonders gut als Inflationshedge. Denn der Marktprimus verfügt über ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal: seine per Protokoll unabänderlich festgeschriebene Limitierung auf insgesamt 21 Millionen Einheiten, von denen die letzte voraussichtlich im Jahr 2140 geschürft wird.

Allerdings sorgt die mangelnde Wandlungsfähigkeit der Bitcoin-Blockchain auch für Probleme. Denn sie ist auf den bei der Entstehung neuer Krypto-Einheiten genutzten Konsensmechanismus Proof-of-Work festgelegt, der aufgrund seines hohen Stromverbrauchs kritisiert wird. Für viele institutionelle Investoren ist Bitcoin daher nicht mit ihren Nachhaltigkeitsstrategien vereinbar. Auch Tesla-Chef Elon Musk, der den Kurs der Kryptowährung in den ersten Jahresmonaten mit positiven Kommentaren angetrieben hatte, wandte sich mit Verweis auf Umweltbedenken zeitweise von ihr ab.

Hatte die Verlautbarung, der E-Autobauer habe 1,5 Mrd. Dollar in Bitcoin investiert und werde Digitalwährungen künftig als Zahlungsmittel akzeptieren, die Rally zu Jahresbeginn noch kräftig befeuert, folgte auf die Ankündigung über den Wegfall der Payment-Option bei Tesla ein gewaltiger Crash. Zwischen Anfang Mai und Ende Juli verlor Bitcoin fast die Hälfte seines Wertes, wozu auch deutlich verschärfte Regulierungsbemühungen in China beitrugen. Zuletzt sorgte auch für Kursbewegungen, dass der mittelamerikanische Staat El Salvador als erste Nation Bitcoin als gesetzliche Währung akzeptiert. Nach dem Aufwärtstrend der vergangenen Wochen kommt der Marktprimus seit Jahresbeginn wieder auf ein Kursplus von 52% – kleinere Kryptowährungen hängen ihn in Bezug auf die Performance aber deutlich ab.

Ether hat im gleichen Zeitraum beispielsweise um 333% zugelegt. Die zweitgrößte Kryptowährung profitiert stark davon, dass das Ethereum-Netzwerk, innerhalb dessen sie als Transaktionswährung eingesetzt wird, im Gegensatz zur Bitcoin-Blockchain mit Smart Contracts beschrieben werden kann. Dabei handelt es sich um Computerprotokolle, die Verträge abbilden sowie Transaktionen automatisiert und dezentral ausführen können.

Wichtige Voraussetzung

Smart Contracts stellen eine wichtige Voraussetzung für das heiße Trendthema des dezentralisierten Finanzwesens (DeFi) dar. Der Grundgedanke hinter DeFi besteht darin, klassische Finanzkonzepte und -produkte mit Distributed-Ledger-Technologien zu verbinden und zentrale Intermediäre wie Börsenmakler und Banken abzulösen. Stattdessen soll eine offene, transparente und nutzergeführte Finanzinfrastruktur entstehen. Zu den bereits praktizierten Anwendungen zählen neben Finanzierungslösungen für Industrie- und Landwirtschaftsmaschinen auch das Trading digitaler Assets sowie das sogenannte Krypto-Lending. Bei Letzterem verleihen Nutzer ihre Coins und fahren darauf eine Art Zins ein. Im laufenden Jahr sind Smart Contracts mit DeFi-Bezug bisher gewaltige Mittel zugeflossen.

Neben dem Status als DeFi-Fundament ist für Ethereum auch seine Wandelbarkeit ein entscheidender Pluspunkt, der sich aus Performance-Sicht gerade in diesem Sommer bemerkbar gemacht hat. Denn seit Anfang August ist eine groß angelegte Umstellung des Netzwerks im Gange, die eine höhere Effizienz, Skalierbarkeit und Umweltfreundlichkeit mit sich bringen soll. Denn dabei wird der bei der Entstehung neuer Ether-Einheiten genützte Algorithmus von der Proof-of-Work-Variante auf das weniger intensive Proof-of-Stake-Verfahren umgestellt – laut den Entwicklern soll die Umstellung bis Jahresende abgeschlossen sein.

Wichtiger Schritt

Einen wichtigen Schritt auf dem Weg dorthin hat Ethereum mit dem Anfang August eingespielten Update EIP 1559 bereits genommen – dabei wurde die Struktur der Transaktionsgebühren innerhalb des Netzwerks angepasst. Wer zuvor eine Transaktion über Ethereum abwickeln wollte, musste für die Bearbeitung eine „Gas Fee“ in Ether an die auf der Blockchain tätigen Miner entrichten. Die Höhe dieser Gebühr war im Vorhinein unklar, was bei den Teilnehmern am Zahlungsverkehr für Unsicherheit sorgte und teils ungerechtfertigt hohe Kosten verursachte.

Diese „Gas Fee“ wurde mit dem Update durch eine Basisgebühr ersetzt – zudem wird bei Zahlungen auf Ethereum künftig ein Teil der Ether-Einheiten, die als Entlohnung an die Miner gingen, vernichtet. „Dies dürfte zu einer Angebotsverknappung bei Ether führen. Die Cyberdevise sollte in der Folge also ähnlich wie Bitcoin einen deflationären Charakter erhalten“, sagt Florian Ginez, Associate Director im Quantitative Research des ETF-Anbieters Wisdomtree. Trotz dieser Parallele werde die Korrelation zwischen den beiden führenden Kryptowährungen langfristig abnehmen. Denn bei Investoren würden künftig wohl verstärkt die besonderen Eigenschaften von Ether ins Blickfeld geraten.

Wachsende Popularität

In diesem Zusammenhang bietet laut Ginez auch die wachsende Popularität von Non-Fungible Token (NFT) Potenzial für Ether. Bei NFT handelt es sich um kryptografische Wertmarken, die wie das gesamte DeFi-Feld auf Smart Contracts basieren. Die Token sind im Gegensatz zu Bitcoin und anderen Cyberdevisen nicht replizierbar, jeder NFT ist ein Unikat. Ihr Sinn besteht darin, legale Eigentumsrechte an virtuellen Gütern, darunter digitale Kunst oder Medien, zu beurkunden und handelbar zu machen. Laut dem Plattformbetreiber Dappradar ist das Absatzvolumen von NFT im zweiten Quartal 2021 auf den Rekordwert 1,24Mrd. Dollar gestiegen, nachdem es im Vorjahreszeitraum noch bei 6,49 Mill. Dollar gelegen hatte.

Preisrekord

Den Preisrekord hält die Collage „Everydays: the First 5000 Days“, deren NFT bei einer Christie’s-Autkion im März für 69,3 Mill. Dollar den Besitzer wechselte. „Die Preise, die NFT bei Auktionen im laufenden Jahr erzielt haben, erscheinen zwar enorm hoch. Allerdings handelt es sich eben um Sammlerstücke, die nicht für jeden Investor den gleichen Wert aufweisen“, sagt Ginez. Solange digitale Handelsplattformen neue Dienstleistungen rund um NFT aufbauten, könne der Trend weiterlaufen. Ether profitiere davon, da NFT-Transaktionen größtenteils in der zweitgrößten Cyberdevise abgewickelt würden. „Die Idee, über digitale Zertifikate Eigentumsrechte zu beurkunden, besitzt noch weitreichende Implikationen“, führt Ginez aus. Neben dem Kunstmarkt könnten NFT auch den Immobilienmarkt und das Ticketing in der Reise- und Veranstaltungsbranche revolutionieren.

An Ethereum mit seinen vielfäl­tigen Anwendungsmöglichkeiten haben sich auch Entwickler zahlreicher weniger bekannter Blockchains orientiert. Zuletzt ist die Aufmerksamkeit für eines dieser Netzwerke, Cardano, bedeutend gestiegen. Denn auf Cardano kommt das Proof-of-Stake-Verfahren, das bei Ethereum erst eingeführt werden soll, bereits zum Einsatz.

Und mit dem Upgrade „Alonzo“ soll es möglich werden, Smart Contracts über Cardano laufen zu lassen. Durch die eigens entwickelte Programmiersprache Plutus sollen zudem auch Nutzer ohne technischen Hintergrund solche Computerprotokolle erstellen können, was möglicherweise für eine breitere Adaption spricht.

Die Aussicht auf das Update hat die zu Cardano gehörige Kryptowährung Ada zuletzt stark angetrieben, Ende August erreichte sie ein Rekordhoch von 2,95 Dollar und war damit mehr als 25-mal so viel wert wie ein Jahr zuvor. Mit einer Marktkapitalisierung von gut 76 Mrd. Dollar bekleidet Ada inzwischen Platz drei unter den größten Kryptowährungen.

Gewaltige Anzahl

Neben Bitcoin, Ether und Ada gibt es noch eine gewaltige Anzahl weiterer Kryptowährungen, die Webseite Coinmarketcap listet über 6000 auf. Einige sind als Bitcoin-Parodie entstanden – darunter auch Dogecoin. Die Kryptowährung, deren Logo ein Exemplar der japanischen Hunderasse Shiba Inu ziert, erfuhr in den ersten Jahresmonaten aufgrund der Unterstützung durch Tesla-Chef Musk größere Aufmerksamkeit und legte zeitweise gewaltige Kursgewinne hin. Andere sogenannte Altcoins gehören zu ambitionierten Projekten, die auf eine Blockchain-basierte Zukunftswirtschaft hinarbeiten.

Die Zukunft

In dieser Distributed-Ledger-Ökonomie könnte laut der Investment­gesellschaft Advanced Blockchain AG die Durchlässigkeit zwischen bislang konkurrierenden Blockchains steigen. Bereits verfügbare Systeme wie Polkadot sind genau darauf ausgelegt, Brücken zwischen verschiedenen Netzwerken zu schlagen und Assets zwischen ihnen austauschbar zu machen.

Vorerst, so erwarten es die meisten Marktbeobachter, dürfte der Löwenteil der wachstumsstarken technologischen Trends am Kryptomarkt allerdings weiterhin auf Ethereum ablaufen. Schließlich verfügt das Netzwerk über einen klaren First-Mover-Vorteil. Somit erwartet auch Wisdomtree-Stratege Ginez, dass die derzeitigen Updates noch großes Kurspotenzial bei Ether freisetzen werden. Einige Marktteilnehmer rechnen trotz der gewaltigen Wertlücke zwischen den führenden Kryptowährungen sogar mit einem „Flippening“ – dabei würde Ether Bitcoin nach Marktkapitalisierung überholen. Dafür, dass der Primus seinen Status einbüßt, ist natürlich eine abnehmende Korrelation zwischen den Cyberdevisen Voraussetzung.

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