Bei Boxkampf zwischen Treasury und Wall Street droht Doppel-KO
Boxkampf am Bondmarkt
Washington und Wall Street streiten über Stabilität amerikanischer Anleihen – Korrelation zwischen Dollar und Treasury-Renditen reißt ab
Während die Wall Street mit Blick auf die fiskalische Stabilität Washingtons Alarm schlägt, gibt sich Treasury-Chef Scott Bessent aufreizend gelassen – und verteilt Seitenhiebe gegen Kritiker. Doch schreckt die Aussicht auf eine anhaltende Dollar-Abwertung Investoren zunehmend von amerikanischen Bonds ab.
xaw New York
US-Finanzminister Scott Bessent spuckt große Töne. „Die Vereinigten Staaten werden nie einen Default hinlegen“, sagte der Treasury-Chef am Sonntag beim TV-Sender CBS. „Wir befinden uns auf dem Warnstreifen, aber wir werden nie gegen die Wand prallen“, führte er in Anspielung auf Baseball-Spielzüge aus, bei denen der Ball auf dem „Warning Track“ kurz vor der Spielfeldbegrenzung gefangen wird. Eine andere Sport-Analogie wäre nach Ansicht vieler Ökonomen aber wohl passender: Die eines schwer angeschlagenen Boxers, der sich schwankend in die nächste Runde rettet.

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Denn die fiskalische Situation der USA sorgt an der Wall Street für erhebliche Unruhe. Jamie Dimon, Vorstandschef von J.P. Morgan, warnte bei einem Auftritt des Reagan National Economic Forum in Kalifornien vor „Rissen im Bondmarkt“. Nachdem die Coronakrise für Verwerfungen bei Anleihen sorgte, habe die US-Regierung mit massiven Fiskalstimuli dazu beigetragen, den Handel wieder zu stabilisieren – es in den Folgejahren aber zu weit getrieben. Ohne substanzielle Reformen blühe Amerika ein böses Erwachen. „Ich weiß noch nicht, ob wir in sechs Monaten oder sechs Jahren in die Krise stürzen werden“, führte der CEO der größten US-Bank aus. „Aber ich sage meinen Regulatoren: Es wird passieren, und dann werdet ihr in Panik verfallen.“
Bessent hört solch düstere Prognosen nicht gerne und geht mit Dimon in den Infight. „Ich kenne Jamie schon sehr lange und er hat seine ganze Karriere über Prognosen wie diese abgegeben – glücklicherweise hat sich keine davon als wahr herausgestellt“, sagte der US-Finanzminister am Sonntag. Das US-Haushaltsdefizit werde im laufenden Jahr gegenüber dem vergangenen bereits zurückgehen und 2026 weiter fallen. Die fiskalischen Herausforderungen hätten sich über mehrere Jahre aufgetürmt, damit ließen sie sich auch nur langsam und stetig lösen.
Defizit ausgeweitet
In der ersten Hälfte des Haushaltsjahres 2025, die auch die ersten drei Monate der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump beinhaltete, hat sich das Defizit allerdings auf den rekordverdächtigen Wert von über 1,3 Bill. Dollar ausgeweitet, den nur das Minus aus der Hochphase der Corona-Pandemie übertrifft. Das unabhängige Congressional Budget Office rechnet damit, dass es im laufenden Jahr bei 6,2% des Bruttoinlandsprodukts liegen wird. Dass der Wert bis 2035 dauerhaft unter die Marke von 6% fallen wird, sehen die Prognosen nicht vor.
Allein „um auf Dauer ein Primärdefizit von 3% des BIP aufrechtzuerhalten, braucht man eine Kombination von extrem starkem Wirtschaftswachstum und extrem niedrigen Realzinsen“, betonte Jan Hatzius, Chefvolkswirt von Goldman Sachs, bereits zu Jahresbeginn im Interview der Börsen-Zeitung. Ein solches Zusammenspiel sei aber unwahrscheinlich, weil Wachstum und Zinsen in der Regel gemeinsam auf und ab gingen.
Sorge um Haushaltsgesetz
Die Sorgen um die fiskalische Stabilität der Vereinigten Staaten haben bereits seit den langen Streitigkeiten um die Anhebung der Schuldenobergrenze im Kongress 2023 beträchtlich zugenommen. Aktuell liegt die Staatsverschuldung bei 122% des Bruttoinlandsprodukts, laut Ökonomen befinden sich die USA auf bestem Wege, diesbezüglich bald in einer Liga mit Japan oder Italien zu spielen. Trumps Haushaltsgesetz, mit dem der Präsident Steuersenkungen für Unternehmen und vermögende Bürger aus seiner ersten Amtszeit verlängern und zugleich die Ausgaben für Verteidigung und Grenzschutz ankurbeln will, sorgt dabei für zusätzliche Unsicherheit.

Die laufenden Zinsverpflichtungen auf die ausstehenden Anleihen der Treasury fressen pro Quartal inzwischen regelmäßig über 35% der Steuereinnahmen auf. Im abgelaufen Viertel rutschte die Quote zwar leicht auf 34,3% ab, da das im Januar bei 36,1 Bill. Dollar wieder eingesetzte „Debt Ceiling“ einen erneuten Anstieg der Staatsverschuldung temporär bremste und das Finanzministerium zu außerordentlichen Buchhaltungsmaßnahmen zwingt, während die Einnahmen aus der Kapitalertragssteuer nach einem starken Vorjahr für die Aktienmärkte zugelegt haben. Dennoch ist die Treasury gezwungen, mehr für ihre laufenden Zinsverpflichtungen aufzuwenden als beispielsweise im Nachgang der Finanzkrise 2008, als der Staat Bail-outs im Finanzsektor stemmen musste.
Ratingagenturen schlagen Alarm
Die fiskalische Unsicherheit ruft auch die Ratingagenturen auf den Plan: Mitte Mai stufte Moody's die Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten von „Aaa“ auf „Aa1“ herab. Die beiden anderen großen Häuser S&P und Fitch entzogen den USA bereits 2011 bzw. 2023 im Zuge ausgedehnter Haushaltsstreitigkeiten im Kongress die Spitzennote. Dass alle Drei nun gleichzeitig Alarm schlagen, gilt als umso stärkerer Warnindikator – stehen sie seit der Finanzkrise 2008 doch dafür in der Kritik, bei einschneidenden Entwicklungen an den Märkten auch infolge von Interessenkonflikten zu spät reagiert zu haben.
Bei lang laufenden Staatsanleihen kam es damit zuletzt zu einem Abverkauf, die Renditen 30-jähriger Titel schnellten im vergangenen Monat auf über 5%. Die schwache Beteiligung an einer Auktion 20-jähriger T-Bonds, bei der das Finanzministerium trotz rekordhoher Kuponzinsen in größerem Umfang als üblich auf die als Primärdealer eingespannten Banken angewiesen war, verschreckte die Investoren am Sekundärmarkt zusätzlich. Derweil fiel die Rendite der zehnjährigen Treasury im frühen New Yorker Handel am Montag mit 4,42% zwar niedriger aus als zu Jahresbeginn, als sie mit über 4,8% Niveaus wie während der Subprime-Krise erreichte. Allerdings liegt sie noch deutlich über der Marke von 3,62%, die sie im vergangenen September – kurz vor der ersten Zinssenkung der Federal Reserve seit vier Jahren – erreichte.
Greenback unter Druck
Die Nervosität der Investoren mit Blick auf Trumps Fiskal- und Handelspolitik zeigt sich auch daran, dass sich die Korrelation zwischen der US-Währung und den Kreditkosten des amerikanischen Staates seit der Verkündung umfangreicher reziproker Zölle Washingtons Anfang April gelöst hat. Der gegen einen Korb aus anderen Industrieländerwährungen gewichtete Dollar-Index hat seither 5,4% eingebüßt, die Rendite zehnjähriger T-Notes Stand Montagvormittag New Yorker Zeit um 26 Basispunkte zugelegt. Üblicherweise gehen die Erwartungen hinsichtlich der ökonomischen Leistung mit jenen für den Dollar einher – und damit auch mit jenen an die Fed, die ihre Geldpolitik bei einer brummenden Wirtschaft restriktiver gestaltet, um inflationäre Effekte zu dämpfen. Dies wiederum treibt im Regelfall die Treasury-Renditen.

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Doch Amerikas Großbanken haben ihre Wachstumsprognosen für die USA unter dem Eindruck von Trumps Zollpolitik zusammengestrichen. Zugleich drängen die ökonomischen Berater des Präsidenten auf eine strategische Abwertung des Dollar, um die Exportwirtschaft zu stärken. Damit ist die Unabhängigkeit der Fed in Zweifel geraten. Trump hat die Notenbank wiederholt öffentlich attackiert und bestellte ihren Vorsitzenden Jerome Powell in der vergangenen Woche ein, um ihm einzuschärfen, dass er mit seinem Festhalten an vergleichsweise hohen Zinsniveaus einen Fehler mache.
Dollar-Abwertung treibt Bondinvestoren um
Die Aussicht auf eine nachhaltigere Entwertung der Weltleitwährung verstärkt die Sorgen vor einer Kapitalflucht aus dem amerikanischen Kapitalmarkt. Dies trifft nicht nur Staatsanleihen, sondern auch die schwächsten Emittenten Dollar-denominierter Bonds: Der optionsbereinigte Spread des ICE BofA High Yield Index gegenüber einer Treasury-Kurve fällt für das Rating-Segment von „CCC“ abwärts mit 9,13 Prozentpunkten rund 200 Basispunkte höher aus als zu Jahresbeginn.
Zum zusätzlichen Problem droht laut Wall-Street-Insidern zu werden, dass nicht nur die Fed aufgrund ihres Bilanzabbaus als Ankerinvestor für den Treasury-Markt wegfällt, sondern auch große Pensionsfonds als Stützen für lang laufende Corporate Bonds. Die Altervorsorge-Vehikel haben die in den vergangenen Jahren aufgeplatzte Lücke zwischen Assets und Rentenverpflichtungen bis Jahresende 2024 laut der Beratungsgesellschaft Milliman geschlossen und dürften sich demnach weniger stark gezwungen sehen, Anlagen mit höherem Renditepotenzial nachzujagen. Stattdessen stehe ein Derisking und eine Verschiebung in Cash bevor.
Regelaufweichungen für Banken in Aussicht
Damit dürfte der amerikanische Bondmarkt laut Analysten stärker von anderen Investoren abhängig werden. J.P.-Morgan-CEO Dimon betont indes, dass es für Großbanken durch im Nachgang der Finanzkrise verabschiedete Regulierungen schwieriger geworden ist, als Stabilisator im Anleihesegment einzugreifen. An diesem Punkt könnten die Wall Street und Washington indes zusammenfinden, statt aufeinander einzuprügeln. Schließlich will Bessent die Kapitalvorgaben für Geldhäuser lockern und es ihnen somit ermöglichen, größere Treasury-Positionen zu halten.
Der unabhängige Think Tank Peterson Institute for International Economics spricht von einem unpassenden Zeitpunkt, um Kapitalstandards zu senken. Denn Amerikas größte Banken, von Moody's zuletzt ebenfalls mit Downgrades bedacht, haben ihr Exposure gegenüber riskanten Ecken des Kapitalmarkts ohnehin bedeutend ausgeweitet. Der jüngste Boxkampf am Bondmarkt, warnen Analysten, droht für Investoren nun mit mehr als nur einem blauen Auge zu enden.

