Zinswende

Brutaler Stresstest für britische Banken

Die Bank of England will prüfen, wie britische Banken mit weltweit steigenden Zinsen klarkommen. Das Szenario für den Bilanztest ist brutal. Doch Gefahren für die Finanzstabilität sind unvorhersehbar.

Brutaler Stresstest für britische Banken

Von Andreas Hippin, London

Ob Pandemie oder Krieg auf dem europäischen Kontinent: Die Bank of England ist in den vergangenen Jahren nicht müde geworden die Robustheit des britischen Bankensystems herauszustreichen. Nun gibt es ein neues Angstthema: Inflation. Steigende Zinsen in Großbritannien waren auch Teil früherer Bilanztests, allerdings nicht in den Pandemiejahren 2020 und 2021, in denen mögliche Folgen weltweit niedriger Zinsen durchgespielt wurden.

In diesem Jahr entspricht die Übung in etwa dem Stresstest des Jahres 2019, was das Ausmaß der von den Szenario-Planern ausgedachten Belastungen auf dem Heimatmarkt angeht. Die unterstellten wirtschaftlichen Verwerfungen übertreffen die Finanzkrise 2008/09. Neben Barclays und HSBC müssen Lloyds Banking Group, Nationwide, Natwest, Santander UK, Standard Chartered und Virgin Money UK daran teilnehmen. Dabei werden auch Tests der durch eine Brand­mauer vor riskanteren Geschäften ge­schützten Retailbanken Barclays Bank UK, HSBC UK Bank, Lloyds Bank und Natwest Holdings durchgeführt.

Hohe Inflationserwartungen

Erstmals werden weltweit steigende Zinsen unterstellt – ein zunehmend realistisches Bild dessen, was sich in den kommenden Monaten ereignen könnte, allerdings handelt es sich dabei nicht um Prognosen der Zentralbankökonomen, sondern le­diglich um Szenarien. Das auf fünf Jahre angelegte Planspiel geht von einem wesentlichen Anstieg der Inflation über die entwickelten Volkswirtschaften hinweg aus, der von einer heftigen Verschärfung der Finanzierungsbedingungen weltweit begleitet wird. Die starke Teuerung führt darin zu einem Anstieg der Inflationserwartungen.

Steigender Leitzins

So weit ist es in der Realität noch nicht, doch wachsen die Zweifel an den Versicherungen, dass es sich dabei um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Im Szenario erreicht die Inflation 2023 bei 17% ihren Höhepunkt und bleibt danach hoch. Über die ersten drei Jahre hinweg beläuft sie sich im Schnitt auf 11%. Die Geldpolitiker der Bank of England reagieren dabei – im Planspiel anders als in der Wirklichkeit – schnell und erhöhen den Leitzins bis auf 6 %, bevor sie ihn schrittweise bis auf weniger als 3,5 % zurücknehmen. Für die Eurozone wird für Anfang 2023 ein Leitzins von 4,7 % angenommen, für die USA sind es 6,5 %.

Wie die jüngste Risikomanagerumfrage (Systemic Risk Survey) der Bank of England zeigt, gingen 83% der Befragten davon aus, dass das Risiko eines Ereignisses mit schwerwiegenden Auswirkungen auf das britische Finanzsystem in den vergangenen sechs Monaten zugenommen hat. Dabei rangierte ein Cyberangriff auf Platz 1 der genannten Gefahren. Nahezu drei Viertel führten ihn unter den fünf aus ihrer Sicht größten Risiken auf.

Geopolitische Risiken und Inflationsrisiken folgten mit jeweils 72%. Politische Risiken auf dem britischen Heimatmarkt wurden dagegen nur von 34% genannt, Klimarisiken von gerade einmal 23%. Das Vertrauen in die Stabilität des britischen Finanzsystems auf Dreijahressicht blieb der Mitte Oktober vorgelegten Auswertung der Um­frage zufolge hoch. Für 71% der Befragten hat sich in dieser Hinsicht in den vergangenen sechs Monaten nichts geändert. Keiner gab allerdings an, dass seine Zuversicht zugenommen habe. Weniger Vertrauen hatten 29%.

Crash am Häusermarkt

Die Sorgenkinder der Finanzkrise – die damalige Royal Bank of Scotland, heute Natwest, sowie die Lloyds Banking Group – haben sich mehr oder weniger auf Retail- und Firmenkunden im Vereinigten Königreich konzentriert. Geschäfte, die sich als riskant erwiesen hatten, wurden bereits abgestoßen oder heruntergefahren.

Für die Hypothekenanbieter interessant: Für Wohnimmobilien wird ein Preisrutsch von fast einem Drittel im ersten Jahr des Planspiels unterstellt. Gewerbeimmobilien verbilligen sich um annähernd die Hälfte. Man darf davon ausgehen, dass der Test Schwächen aufzeigen wird.

Die Finanzstabilitätsexperten der Notenbank werden die von den Instituten geforderten Kapitalpuffer wenn nötig entsprechend anpassen. Angesichts der guten Kapitalausstattung der Banken dürfte das keine großen Wellen schlagen. Allerdings könnten all diejenigen, die auf schnell steigende Dividenden und auf großzügige Aktienrückkaufprogramme gehofft hatten, enttäuscht werden. Bereits im Juli hatte das Finanzstabilitätskomitee der Bank of England beschlossen, dass der antizyklische Kapitalpuffer auf 2% der risikogewichteten Assets verdoppelt wird. Im Juli 2023 tritt die Erhöhung in Kraft.

Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine zeigte sich an den Rohstoffmärkten, was alles schiefgehen kann, wenn man einen zu großen Hebel ansetzt ­– vom Chaos am Londoner Nickelmarkt und dem Zusammenbruch des Hedgefonds Archegos einmal ganz abgesehen. Rohstofffirmen gerieten in Liquiditätsnöte, nachdem Börsen ihre Margenanforderungen drastisch nach oben geschraubt hatten. Um die zu hinterlegenden Sicherheitsleistungen finanzieren zu können, wandten sie sich an ihre Hausbanken. „Undurchsichtigkeit begrenzt in manchen Märkten den Überblick von Aufsicht und Gegenparteien über die Risiken, die sich in ihnen aufbauen“, hieß es dazu im Finanzstabilitätsbericht. Man wisse zu wenig über die finanzielle Robustheit großer Marktteilnehmer.

Gefährliche Pensionsfonds

Die jüngsten Verwerfungen am Markt für britische Staatsanleihen (Gilts) haben gezeigt, dass die betriebliche Altersvorsorge offenbar auch zu diesen Märkten gehört. In diesem Fall waren es Pensionsfonds, die Derivate nutzten, um ihren Finanzierungsstatus besser aussehen zu lassen und mit riskanteren Investments mehr Rendite zu machen, die eine Intervention der Bank of England erforderlich machten. Das betrifft auch Investmentbanken, denn sie sind oft die Gegenparteien, die mit erheblichen Nachschussforderungen an die Pensionsfonds herangetreten sind. Das Hauptaugenmerk sollte jedoch den an diesem Debakel beteiligten großen Assetmanagern und Pensionsfonds gelten, die ganz offenkundig nicht ausreichend beaufsichtigt worden sind. Die Banken können sich im Notfall an die Bank of England wenden, Pensionsfonds haben diese Option nicht.

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