Marcus Weyerer

„ESG-Investoren sollten China im Blick behalten“

Franklin Templeton will sich im umkämpften ETF-Markt unter anderem mit Smart-Beta-Vehikeln und Nachhaltigkeitsstrategien abheben. China biete für Investoren in Bezug auf ESG noch viel Potenzial.

„ESG-Investoren sollten China im Blick behalten“

Alex Wehnert.

Herr Weyerer, Franklin Templeton tritt auch in Deutschland zunehmend als ETF-Anbieter auf. Allerdings tummeln sich im Markt bereits zahlreiche Konkurrenten – wie können Sie da noch Anleger von sich überzeugen?

Das funktioniert sicherlich nicht über einen weiteren passiven ETF auf den S&P 500, Produkte auf die Standardindizes gibt es am Markt zur Genüge. Stattdessen sind für uns innovative Strategien wie zum Beispiel Smart-Beta-ETFs der Schlüssel. Wir bilden also keinen rein nach Marktkapitalisierung gewichteten Index nach, sondern nutzen Dividendenstrategien und Multi-Faktor-Modelle, um den breiten Markt zu schlagen. Empirisch zeigt sich, dass vor allem vier Faktoren eine Outperformance bringen: Qualität – also eine hohe Profitabilität bei geringem Verschuldungsgrad –, eine niedrige Volatilität, Momentum und insbesondere Value.

Auch mit Smart-Beta-Strategien stehen Sie aber nicht gänzlich allein da.

Stimmt, allerdings profitieren wir besonders von unserer historischen aktiven Expertise als der aktuell sechstgrößte unabhängige Assetmanager der Welt. Daneben wollen wir uns beispielsweise mit Paris-aligned-ETFs abheben. Dafür nutzen wir Indizes, die nur mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens konforme Werte enthalten. Das lässt sich zum Beispiel auf den S&P 500 anwenden, der in der Paris-aligned-Variante auf 360 Werte schrumpft. Dies bietet immer noch eine mehr als ausreichende Diversifikation – zugleich ergibt es für viele Anleger intuitiv auch ökonomisch Sinn, die größten Umweltsünder zu streichen.

Welche Rolle spielt dabei die Regulierung in der Europäischen Union?

Die seit März geltende Offenlegungsverordnung ist natürlich ein entscheidendes Argument für Paris-aligned-Strategien, insbesondere das Interesse institutioneller Investoren dürfte in der Folge noch stark wachsen. Ab Juli müssen Finanzberater bei ihren Kunden nun zudem aktiv abfragen, ob diese nachhaltig investieren wollen oder nicht. Der große Vorteil der Verordnung ist eben, dass sie einen einheitlichen Standard schafft, nachdem zahlreiche Marktteilnehmer bei Anlagen in Umweltschutz, Soziales und gute Unternehmensführung (ESG) zuvor individuelle Maßstäbe angelegt hatten. Und dieser Standard kommt nicht von einem privaten Verband, sondern direkt vom Regulator.

Franklin Templeton hat allerdings auch ETFs im Programm, die einzelne Schwellenländermärkte abbilden sollen, darunter China. Können nachhaltig orientierte Anleger überhaupt in die Volksrepublik investieren?

Wer nachhaltig investieren möchte, sollte China im Blick behalten. Einerseits gibt es dort viele aufstrebende Unternehmen, die in puncto Nachhaltigkeit mit großen Schritten aufholen. Andererseits ist China im Pariser Klimaabkommen dabei. Darüber hinaus hat sich die Regierung in Peking verpflichtet, bis 2060 Klimaneutralität zu erreichen. Noch ist die chinesische Wirtschaft nicht besonders klimafreundlich – wer diesen Markt mit 6 bis 8% allokiert, muss aber keine negativen Auswirkungen auf den ESG-Score eines breit diversifizierten Gesamtportfolios befürchten und kauft viel Zukunftspotenzial ein. In vielen Depots ist China nach unserer Erfahrung heute gerade mal mit 3 bis 5% gewichtet.

Welche Faktoren sprechen denn unter Performance-Gesichtspunkten besonders für China-ETFs?

China ist deshalb so interessant, weil man es fast nicht mehr als Einzelland betrachten kann, sondern aufgrund seiner Wirtschaftsgröße und politischen Rolle als Repräsentant einer gesamten Region. Die Volksrepublik kommt inzwischen auf einen Anteil von 16 bis 17% an der globalen Wirtschaftsleistung, dabei ist der Markt in den meisten Portfolios stark untergewichtet. Das zeigen auch Untersuchungen von Mischfonds-Strategien. Künftig wird sich das ändern, mehr Investoren werden China vom Schwellenländer-Verbund getrennt betrachten und analog zu den USA einzeln allokieren. Es hat ja bereits hohe Wellen geschlagen, als MSCI chinesische A-Aktien, also Papiere auf dem Festland gelisteter Unternehmen, in die Weltauswahlindizes aufgenommen hat.

Wie wirkt sich der anhaltende Handelsstreit zwischen Washington und Peking auf Ihre China-Strategien aus?

In den letzten Tagen der Trump-Administration haben die USA noch einige chinesische Unternehmen mit Exposition zur Rüstungsindustrie auf ihre Sanktionsliste gesetzt, in diese können wir als amerikanischer Vermögensverwalter nun natürlich nicht mehr investieren. Im von uns genutzten Index sind bisher aber lediglich 2% der Werte betroffen. Zudem glauben wir vorerst nicht an eine weitere Eskalation im Handelskonflikt. Zwar bestehen grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten bezüglich Wirtschaftsspionage und Menschenrechten, die Rhetorik ist unter Präsident Joe Biden aber bereits deutlich milder geworden.

Dennoch haben in den vergangenen Monaten zahlreiche in den USA notierte chinesische Unternehmen ein Zweitlisting in Hongkong angestrebt. Einerseits, um heimatnahe Anlegerkreise zu erreichen, andererseits, weil sie einen Verlust ihrer Präsenz an der Wall Street befürchten.

Wenn Washington Internetriesen wie Alibaba und Tencent stärker beschneiden würde, hätte das tatsächlich große Auswirkungen auf den Gesamtmarkt. Für unseren ETF ist es allerdings weniger wichtig, wo die Unternehmen letztendlich gelistet sind. Denn der zugrunde liegende Index besteht aus fast 1000 Werten, vertreten sind alle chinesischen Aktienklassen. Neben in Hongkong gelisteten H-Aktien sind also auch A-Aktien dabei, die ein Gewicht von 16% einnehmen. Hinzu kommen in Dollar oder Hongkong-Dollar notierte B-Aktien auf dem Festland ansässiger Unternehmen, in Singapur gelistete S-Aktien und in Nordamerika notierte N-Aktien. Nur so lässt sich die gesamte Breite der chinesischen Wirtschaft abbilden.

Wie entwickelt sich das Interesse an Ihren anderen Schwellenländer-ETFs?

Nach China erfährt Südkorea den größten Zuspruch, dessen Wirtschaft sich wie jene der Volksrepublik in der Coronakrise gut behauptet hat. Es handelt sich zudem um einen Markt mit sehr hohem Technologie-Anteil, in keinem anderen Land weltweit fallen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung so hoch aus. Das ist eine Investmentstory, die viele Anleger interessiert. Brasilien wird von den asiatischen Märkten hingegen eher noch überschattet. Doch obwohl die Bekämpfung der Coronakrise dort nicht gut gelaufen ist, glauben wir an die wirtschaftliche Stärke Brasiliens. Langfristig dürfte die 2019 verabschiedete Rentenreform ein wichtiger Treiber werden.

Zurück zur Nachhaltigkeit: Franklin Templeton bietet auch einen aktiv gemanagten Green-Bond-ETF an. Warum haben Sie sich nicht für eine passive Variante entschieden?

Weil uns dies erlaubt, bestimmte Werte auszuschließen, die in einem passiven ETF wohl automatisch enthalten wären. Bei Green Bonds handelt es sich ja um Anleihen, die einen spezifischen grünen Zweck erfüllen und von der Climate Bonds Initiative zertifiziert werden. Theoretisch könnte ein Bergbaukonzern einen Windpark bauen und diesen über Green Bonds finanzieren – dies macht das dahinterstehende Unternehmen aber noch lange nicht grün. Andersherum finden zum Beispiel allgemeine Bonds der Deutschen Bahn durchaus Aufnahme in unserem Index, auch wenn sie nicht als grün zertifiziert sind. Denn wir sehen das Unternehmen als integralen Dienstleister im Kampf gegen den Klimawandel.

Das Interview führte