Lorenzo Bini Smaghi

„Es wird eine gewisse Ansteckung geben“

Der Kollaps der Silicon Valley Bank in den USA hat ein Finanzbeben ausgelöst. Im Interview spricht Lorenzo Bini Smaghi, Chairman der Großbank Société Générale und Ex-EZB-Direktoriumsmitglied, über die Folgen für Europas Banken und die EZB.

„Es wird eine gewisse Ansteckung geben“

Mark Schrörs.

Herr Bini Smaghi, der Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB) hat die Furcht vor einer neuen Bankenkrise geschürt und die globalen Finanzmärkte erschüttert. Droht eine neue Finanzkrise oder sogar eine Wiederholung der Welt­finanzkrise von 2008?

Wenn ein Teil des Finanzsystems in eine Krise gerät, ist es normal, dass eine gewisse Ansteckungsgefahr für das gesamte System besteht, da die Anleger dazu neigen, sich zu fragen: „Wer ist der Nächste?“ Es wird einige Zeit dauern, bis klar ist, ob es weitere Schwachstellen im System gibt und wo sie sich befinden. Infolgedessen steigt die Risikoaversion. Das Problem scheint dieses Mal anderer Natur zu sein, denn es liegt nicht so sehr an der Qualität der Vermögenswerte der Banken, sondern vielmehr an ihrer Liquidität und an der Laufzeitinkongruenz zwischen den Vermögenswerten und Verbindlichkeiten der Banken.

Also erwarten Sie eher keine Wiederholung von 2008?

Ich würde sagen, dass sich die Krise, wenn überhaupt, von der des Jahres 2008 unterscheiden wird. Es wird eine gewisse Ansteckung geben, die zu einem Abschwung oder einer Rezession führen kann.

Hat die US-Notenbank Fed die Folgen ihrer beispiellosen Zinswende für die Finanzstabilität unterschätzt, oder haben sich die Banken nicht ausreichend gegen eine solche Entwicklung abgesichert?

Einige Banken, wie die SVB, verfügten nicht über ein ordnungsgemäßes Asset-Liability-Management, also ein Management von Aktiva und Passiva, und die Aufsichtsbehörde hat es versäumt, dies zu überprüfen. Das ist ziemlich überraschend. Überraschend ist auch, dass die Fed nicht früher eingegriffen hat, um als Lender of Last Resort gegen gute Sicherheiten zu agieren. Die SVB verfügte nämlich über gute Sicherheiten, US-Treasuries, und hätte diese nicht so abrupt verkaufen müssen, um dem Rückgang der Unternehmenseinlagen zu begegnen. Es scheint, dass die Fed nicht ohne eine Form der öffentlichen Garantie zusätzlich zu den von der Bank gestellten Sicherheiten handeln konnte.

Was bedeutet das nun für den weiteren geldpolitischen Kurs der Fed? Muss sie nun vorsichtiger die Zinsen erhöhen als zuletzt von Fed-Chef Jerome Powell und anderen avisiert?

Die Zinssätze müssen im Laufe der Zeit weiter steigen, um die Inflation wieder in Einklang mit dem Ziel zu bringen. Wie bereits erwähnt, hat der Finanzschock jedoch kurzfristig die Risikoaversion erhöht und de facto eine zusätzliche Straffung der Geldpolitik bewirkt. Dies muss bei der Bewertung der monetären Bedingungen durch die Fed berücksichtigt werden, was dazu führen kann, dass das Tempo der Zinserhöhungen vorübergehend gedrosselt wird oder Zinsschritte verschoben werden. Für die Fed ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, dass sie in ihrem Bemühen um eine Senkung der Inflation glaubwürdig bleibt.

Die US-Regulierer haben nun direkt mit Stützungsmaßnahmen eingegriffen. Ist das richtig oder verstärkt das dauerhaft nur den Anreiz für Investoren zu riskantem Verhalten?

Die US-Regulierungsbehörden hätten früher eingreifen müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Risiko, zu viel zu tun, geringer als das Risiko, zu wenig zu tun und die Unsicherheit auf den Märkten aufrechtzuerhalten. Je eher sich die Märkte stabilisieren, desto eher kann die Fed zu einer Straffung der geldpolitischen Bedingungen zurückkehren.

Europas Banken stehen nun ebenfalls unter enormem Druck. Drohen im europäischen Bankensektor ähnliche Risiken durch die rasche Zinswende, oder ist die Lage nicht vergleichbar? Wie schlimm wird sich der starke Rückgang der Renditen auf das Geschäft der Institute auswirken?

In den USA haben sich die großen Banken schnell erholt, da die Einleger ihre Gelder von den kleineren Instituten abzogen. Dies zeigt, dass die Anleger Vertrauen in die Stabilität der großen US-Banken haben. Es könnte länger dauern, bis die weitgehend von US-Fonds getriebenen Anleger erkennen, dass auch die europäischen Banken solide sind und über ein solides Aktiva-Passiva-Management verfügen. Dies könnte eine Lehre für die europäische Aufsichtsbehörde sein, die in der Öffentlichkeit oft dazu neigt, eher auf die Schwächen als auf die Stärken der europäischen Banken hinzuweisen. Es könnte auch eine Lehre für die europäischen politischen Entscheidungsträger sein, was es kostet, keinen europäischen Kapitalmarkt zu haben und sich auf die Ansichten der US-Anleger zu verlassen.

Wo sehen Sie grundsätzlich aktuell für Europas Banken die größten Gefahren?

Ein gutes Asset-Liability-Management und Diversifizierung sind entscheidend. Die SVB hat in beiden Punkten versagt. Die europäischen Banken sind stärker diversifiziert, insbesondere die großen und internationalen Banken. Die Verschärfung der monetären Bedingungen wird dazu führen, dass die Unternehmen, auch in Europa, auf die im Laufe der Jahre angesammelte kurzfristige Liquidität zurückgreifen müssen. Dies muss von den Banken, die diese Liquidität verwalten, angemessen berücksichtigt werden. Die Erfahrung der SVB hat gezeigt, dass der Verkauf von Vermögenswerten allein keine Lösung ist.

Muss auch die EZB nun ihr Zinserhöhungstempo überdenken? An den Märkten werden nun bereits deutlich weniger EZB-Zinserhöhungen als zuvor eingepreist, und selbst die für Donnerstag avisierte Zinserhöhung um 50 Basispunkte wird nun angezweifelt.

Die finanzielle Ansteckung ist gleichbedeutend mit einer gewissen Verschärfung der monetären Bedingungen. An der Erhöhung um 50 Basispunkte festzuhalten, als ob nichts geschehen wäre, bedeutet, eine härtere Gangart einzuschlagen als bisher angenommen. Dies könnte riskant sein und zu weiterer Instabilität führen. Je schneller sich die Märkte stabilisieren, desto eher kann die EZB zu ihrer auf die Senkung der Inflation ausgerichteten Politik zurückkehren.

Das heißt, Sie wären dafür, die Leitzinsen am Donnerstag nur um 25 Basispunkte zu erhöhen oder die Erhöhung ganz zu lassen?

Ich würde alle Aspekte und Auswirkungen der jüngsten Ereignisse bewerten wollen. Eine Verschiebung um einen Monat oder nur 25 Basispunkte wären kein Problem, wenn das gut erklärt wird. Die EZB sollte vermeiden, den Fehler von 2011 zu wiederholen, als sie die Zinsen weiter anhob, ohne die zunehmende Ansteckung durch die Umschuldung Griechenlands zu berücksichtigen. Das beschleunigte die Krise und führte schon nach einigen Monaten zu einer Kurswende.

Was bedeuten die Probleme für den gerade begonnenen Abbau der EZB-Bilanz? Spricht das dafür, das aktuell sehr vorsichtige Abbautempo absehbar beizubehalten? Sollte die EZB auch die Pläne zum Auslaufen der Liquiditätshilfen (TLTROs) überdenken?

Die Bilanz der EZB muss schrumpfen, um mit den höheren Zinssätzen vereinbar zu sein. Eine solche Schrumpfung hat Folgen, die es abzumildern gilt. In dieser Hinsicht sollte es wahrscheinlich ein besseres Gleichgewicht zwischen der Verringerung der EZB-Aktiva und der Bankenfinanzierung geben, insbesondere durch TLTROs. TLTROs sind nützlich für das Aktiv-Passiv-Management der Banken in der Übergangsphase, was eine Schwachstelle darstellen kann, wie der Fall der SVB zeigt. Die EZB sollte daran erinnern, dass sie über Instrumente zur Bewältigung von Liquiditätsproblemen verfügt, wie zum Beispiel die TLTROs oder sogar die guten alten LTROs, sowie über die traditionellen Refinanzierungs­linien.

Besteht nun die Gefahr, dass der Kampf gegen die zu hohe Inflation der Sicherung der Finanzstabilität zum Opfer fällt? Droht damit sogar eine weitere Verfestigung der Inflation?

Das glaube ich nicht, im Gegenteil. Wenn die Finanzstabilität in Gefahr ist, wird es sehr viel schwieriger sein, Preisstabilität zu erreichen. Die EZB muss nur ihre verschiedenen Instrumente richtig einsetzen. In dieser Phase muss die Geldpolitik gestrafft werden, aber die aufsichtsrechtlichen Maßnahmen sollten gelockert werden, damit sich die Finanzinstitute anpassen können. Meine Sorge ist, dass die beiden Politikbereiche nicht ausreichend koordiniert sind. Das Prinzip der Trennung zwischen Geld- und Aufsichtspolitik ist in dieser Phase völlig ungerechtfertigt.

Welche Lehren sollten aus dem Vorfall für die Bankenregulierung gezogen werden? Ist die Regulierung nach der Weltfinanzkrise immer noch nicht weit genug gegangen?

Der Fall SVB zeigt, dass das Problem darin besteht, dass kleinere Banken anders behandelt werden als größere Banken, weil sie angeblich weniger riskant sind. Dies ist auch in Europa der Fall, da die Politiker oft Opfer der Lobbyarbeit der lokalen Banken sind. Was wir in Europa brauchen, ist die Überwindung der Fragmentierung des Finanzsystems und die Entwicklung hin zu einer Bankenunion und dem Aufbau einer echten Kapitalmarktunion.

Das Interview führte

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.