EZB

Böse Überraschung

Die Inflation in Euroland steigt auf ein neues Rekordhoch. Zudem droht auch mittel- und langfristig mehr Preisdruck. Die EZB muss endlich umdenken.

Böse Überraschung

Das neue Jahr beginnt in Sachen Inflation im Euroraum geradeso, wie das alte aufgehört hat – mit einer faustdicken und bösen Überraschung: Statt des erhofften starken Rückgangs der Teuerungsrate stehen im Januar mit 5,1% sogar ein weiterer Anstieg und ein neuer Re­kord zu Buche. Die massive Geldentwertung setzt sich also 2022 erst einmal un­gebremst fort. Spätestens jetzt muss die Zeit der Beschwichtigungen zu Ende sein – vor allem seitens der Europäischen Zentralbank (EZB). Das gilt umso mehr, als auch mittel- und langfristig strukturell wieder mehr Preisdruck droht. Keine Frage: Die Inflation ist zurück.

Die jetzt verzeichneten 5,1% liegen meilenweit über den 4,1%, die die EZB-Volkswirte in ihren Projektionen Mitte Dezember für das erste Quartal 2022 unterstellt hatten. Diese Prognosen scheinen also trotz der damaligen beispiellosen Aufwärtsrevision der 2022er Inflationsprognose von zuvor 1,7% auf 3,2% schon jetzt Makulatur zu sein. Die Inflation wird im Jahresverlauf kaum so schnell und wohl auch nicht so stark sinken wie von der EZB erwartet. Im Gegenteil: Bis zur Jahresmitte scheinen nun Raten von rund oder sogar mehr als 5% möglich, und im Jahresdurchschnitt könnte sogar eine 4 vor dem Komma stehen. Von Preisstabilität kann da nun wahrlich keine Rede mehr sein.

Zwar spricht weiter einiges dafür, dass die Teuerung ab Mitte des Jahres spürbar nachlässt – zumal, wenn die rasante Energiepreisrally endet und sich die globalen Lieferkettenprobleme zunehmend auflösen sollten. Sicher ist das aber keineswegs, und so oder so könnten die von der EZB angestrebten 2% Inflation vorerst außer Reichweite bleiben. In jedem Fall darf die EZB nicht den Fehler der US-Notenbank aus den 1970er Jahren wiederholen: Unter dem damaligen Fed-Chef Arthur Burns fand die Fed für die hohe Teuerung immer neue, nur „vorübergehende“ Gründe, die sie dann ausblendete – womit sie letztlich die Große Inflation verursachte. Temporäre Inflationstreiber zu ignorieren, ist auf Dauer sehr gefährlich.

Hinzu kommt, dass auf mittlere und längere Sicht viele gute Gründe dafür sprechen, dass die disinflationären Kräfte der vergangenen Jahrzehnte nachlassen und die Inflation strukturell wieder zulegt. So dürfte die Globalisierung künftig weniger stark auf die Preise drücken und eine zumindest teilweise Renationalisierung von Lieferketten sogar kosten- und preistreibend wirken. Zudem gibt es in vielen Ländern eine alternde Bevölkerung – was das globale Arbeitsangebot reduziert und den Lohndruck erhöht. Auch die Konzentration vieler Märkte auf wenige Großunternehmen wirkt inflationär. Und niemand sollte die Geldflut von Staaten und Notenbanken in der Coronakrise vergessen. Bei aller Kritik – die Geldmenge als möglichen Vor­boten von Inflation komplett abzutun, wäre fraglos fahrlässig.

Auch der Kampf gegen den Klimawandel kann mindestens in einer Übergangsphase für anhaltenden Aufwärtsdruck auf die Preise sorgen – quasi als „grüne Inflation“. So schlägt sich etwa ein steigender Preis auf CO2-Emissionen in den Energiepreisen und damit in der Inflation nieder. Der Sachverständigenrat schätzt, dass direkte und indirekte Preisanpassungen infolge des 2021 in Deutschland eingeführten CO2-Preises mehr als 1 Prozentpunkt zur Verbraucherpreisinflation bei­getragen haben. Langfristig können dann zwar immer effizientere grüne Technologien sogar Kosten senken. Aber die Unsicherheit über die Folgen des Kampfes ge­gen den Klimawandel ist riesengroß. Da bedarf es größter Wachsamkeit. Es ist jedenfalls wenig hilfreich, Sorgen vor einer „Greenflation“ als irreführend oder als „Mythos“ abzukanzeln.

Das alles spricht dafür, dass die EZB endlich umdenken und die Inflationsgefahr ernst nehmen muss. Vereinzelt haben zwar die Mahnungen von Euro-Notenbankern zugenommen. Vieles mutet aber wie reine Lippenbekenntnisse an. Sicher, die EZB kann den Öl- und Gaspreis nicht senken, und sie kann die Lieferengpässe nicht beseitigen. Aber sie darf sich auch nicht völlig aus der Verantwortung stehlen. Es braucht vor allem ein klares Signal an die Bürger, dass die aktuelle Geldentwertung nicht dauerhaft toleriert wird. Sonst halten sich die Konsumenten nur noch stärker zurück – was dann auch der Euro-Wirtschaft schadet.

Die EZB hat sich aktuell zu einseitig auf eine noch lang anhaltende, ultraexpansive Geldpolitik festgelegt. Sie muss sich jetzt den Spielraum schaffen, ihre billionenschweren Anleihekäufe schneller zu beenden und die Zinsen früher anzuheben als bislang avisiert. Sonst drohen am Ende noch viel mehr böse Überraschungen.

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