Autoindustrie

Frühlings- oder böses Erwachen in China?

Der Automarkt in China springt gerade rechtzeitig an. Doch es ist unklar, ob damit die Abschwächung in Europa ausgeglichen werden kann.

Frühlings- oder böses Erwachen in China?

Der chinesische Automarkt hat nach der Lockdown-bedingten Flaute im Frühjahr wieder Fahrt aufgenommen. Um knapp ein Drittel auf 2,4 Millionen Fahrzeuge sind die Verkäufe an die Händler im August verglichen mit dem Vorjahresmonat gestiegen, teilte der Herstellerverband CAAM mit. Der Branchenverband PCA, der die Verkäufe an Endkunden misst, berichtete vergangene Woche über ein 28-prozentiges Auslieferungsplus auf 1,9 Millionen Autos. Der deutsche Branchenverband VDA hat Anfang September seine Wachstumsprognose für China auf 9% verdreifacht. Für die deutschen Hersteller kommt die Nachricht eines Aufschwungs in China zur rechten Zeit. Schließlich ist das Reich der Mitte für VW, Mercedes und BMW der wichtigste Absatzmarkt und kann daher mehr als nur ein wenig Unterstützung bieten, wenn das Geschäft im Heimatmarkt – wie derzeit befürchtet – in einer Rezession einbrechen sollte.

Wie stellt sich nun die Lage im Reich der Mitte dar? Die in der ersten Jahreshälfte immer wieder unterbrochene Produktion scheint endlich wieder weitgehend stabil zu laufen. Zudem scheinen batterieelektrische Fahrzeuge sich endgültig durchzusetzen. Laut PCA wurden allein im August 529000 Elektrofahrzeuge in China an die Endkunden ausgeliefert – mehr als jeder vierte Neuwagen zwischen Schanghai und Peking steht also unter Strom. Was heißt das für die deutschen Marken? Sie brillieren bislang vor allem mit klassischen Verbrennern. Marktführer für E-Autos ist derweil der heimische Platzhirsch BYD. Sechs der zehn meistverkauften elektrischen Pkw-Modelle stammen von dem Konzern aus Shenzhen. Ein Hoffnungsschimmer für Volkswagen ist der Rekordabsatz des ID.4 im Juli. Von dem Mittelklasse-SUV wurden mit 11400 Stück mehr Modelle an chinesische Kunden ausgeliefert als jemals zuvor. Zudem waren es 4000 Auslieferungen mehr als von Teslas Model Y. Zusammen mit dem größeren ID.6 und dem kleineren ID.3 kam VW im Juli auf mehr als 20000 ausgelieferte E-Autos in China.

Volkswagen sollte sich aber ohnehin nicht mit dem Konzern von Elon Musk vergleichen, der eine spitzere, technikaffine Klientel anspricht. BYD und VW zielen hingegen mit ihren Autos beide auf konservativere Kunden, die zwar bereit sind, die Verbrennerwelt für ein E-Auto zu verlassen. Letzteres sollte aber keine großen Unterschiede zum traditionellen Verbrenner aufweisen. Mithilfe dieser Kundengruppe kommt BYD mittlerweile auf einen Marktanteil bei E-Autos von mehr als 30%. Volkswagen hat diesen noch nicht einmal bei Verbrennern.

Die Probleme der Wolfsburger in China sind laut Marktexperten im Grundsatz ähnlich wie in der europäischen Heimat: eine relativ hochpreisige E-Modellpalette, die – verglichen mit vielen Konkurrenten – von einer unausgereiften Software ausgebremst wird. Was im Verbrennermarkt noch ein verschmerzbares Defizit war, droht im E-Auto-Geschäft zum K.-o.-Kriterium zu werden. Denn von der aufwendigeren Routenplanung mit Ladestopps bis hin zur wachsenden Bedeutung von Infotainment und teilautonomem Fahren gibt es immer mehr Berührungspunkte der Kunden mit der Fahrzeug-IT. Vor diesem Hintergrund wachsen die Zweifel, ob die deutschen Hersteller in China jemals wieder eine ähnlich dominante Stellung erreichen können wie vor der Pandemie. 2019 hatten BMW, Mercedes und Volkswagen mit den Edelmarken Audi und Porsche insgesamt einen Marktanteil von gut 24%. Im vergangenen Jahr lag dieser noch bei rund 20,5% – Tendenz fallend.

Neben der Herausforderung, in China verlorenen Boden gutzumachen, drohen nun auch noch neue Herausforderungen im Heimatmarkt. Der chinesische E-Auto-Marktführer BYD hat zwei ehemalige Mercedes-Manager angeheuert, die der Marke in Deutschland zu einem erfolgreichen Start verhelfen sollen. BYD-Rivale SAIC bringt derweil die britische Traditionsmarke MG nach Deutschland. Der Kooperationspartner von VW will den batterieelektrischen MG4, der in der ID.3-Klasse spielt, noch vor dem Jahreswechsel in den Vertrieb geben. Zum schärferen Wettbewerb in Fernost kommt in Europa also mitten im Konjunkturabschwung neue Konkurrenz durch günstige Autos aus China. Zugleich wächst das Angebot, weil Produktionsprobleme gelöst werden – bei zugleich sinkender Nachfrage. Die Rekordrenditen der hiesigen Autoindustrie, die zuletzt eingefahren wurden, dürften bald schon graue Erinnerung sein. Der Markt wird ungemütlicher. Auf das Frühlingserwachen des chinesischen Marktes droht für die deutschen Autobauer nun ein böses Erwachen zu folgen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.