Energiepreisschock

Fast ein Teflon-Effekt für Autobauer

Wenngleich der Energiepreisschock den Inflationsschub beschleunigt, diese negative Folge des Ukraine-Kriegs können die deutschen Autohersteller gut verdauen. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Fast ein Teflon-Effekt für Autobauer

Von Stefan Kroneck, München

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem Dauerkrisenmodus infolge einer Kette externer Schocks. Nach dem Coronaschock und dem Lieferkettenschock vor allem bei Mikrochips setzt nun der Rohstoff- und Energiepreisschock der größten Volkswirtschaft in der EU zu. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine strahlt auf die Schlüsselindustrien und die Verbraucher aus. Die Preise für Öl und Erdgas gehen durch die Decke. Während Berlin aufgrund einer hohen Abhängigkeit vor den Risiken eines Importembargos für russisches Gas warnt und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit staatlichen Tankzuschüssen die privaten Haushalte entlasten will, halten sich die Autohersteller mit öffentlichen Wehklagen über steigende Preise auffallend zurück. Das hat mehrere Gründe.

In einer Umfrage der Börsen-Zeitung wiesen BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen unisono auf langfristige Lieferverträge mit den Energieversorgern hin. Das heißt, auf kurze Sicht schlägt die drastische Teuerung in diesem Sektor bei dem Dax-Trio zunächst nicht voll ins Kontor. „Wir haben bei der Energieversorgung die entsprechenden Mengen über Langfristverträge abgesichert. So können wir sowohl die Versorgung als auch die Preisstabilität sicherstellen“, erklärt dazu eine Sprecherin von BMW. „Es bestehen sowohl für Strom, als auch für fossile Energieträger langfristige Lieferverträge“, berichtet ein Sprecher von Mercedes-Benz. „Zurzeit ist die Versorgung mit Gas für die Werke der Volkswagen AG sowie der Marken in Deutschland gesichert. Volkswagen bezieht Erdgas aus dem deutschen Verbundnetz, welches den aktuellen deutschen Bedarf decken kann. Dementsprechend ist die Versorgung der Werke und der Kraftwerke und Heizhäuser mit Erdgas bis auf weiteres gewährleistet“, so ein Sprecher von VW.

Unempfindliche Käufer

Das bedeutet, der Preisschub im Energiesektor schlägt auf die Konzerne zeitverzögert durch. Stehen die Lieferverträge zur Neuverhandlung an, werden die Unternehmen aus München, Stuttgart und Wolfsburg zur Deckung ihres Energiebedarfs tiefer in die Tasche greifen müssen. Das ist für sie aber kein Anlass, in Panik zu geraten. BMW äußert sich sogar optimistisch, dass die derzeit hohen Preisausschläge abebben werden: „Aktuell beobachten wir extreme Schwankungen auf den Rohstoff- und Energiemärkten, die überwiegend durch den Krieg in der Ukraine und mögliche, damit zusammenhängende Lieferengpässe verursacht sind. Wir gehen davon aus, dass diese enorme Volatilität wieder abnehmen wird“, sagt die Unternehmenssprecherin. Auch die VW-Gruppe vertraut auf ihre Erfahrungen im Umgang mit Krisen von außen: „Unser Kerngeschäft hat in den letzten Jahren auch seine Robustheit gegenüber vielen Herausforderungen bewiesen. Inwieweit der Ukraine-Konflikt die Weltwirtschaft insgesamt beeinflussen wird, lässt sich heute noch nicht zuverlässig einschätzen. Wir beobachten die Situation sehr genau.“

Neben den Lieferverträgen flankieren manche Autobauer – wie zum Beispiel BMW – ihre Preisabsicherungskonzepte bei der Beschaffung von Rohstoffen und Energie zusätzlich mithilfe von Finanzhedging. Mit Derivaten federn sie Schwankungen zusätzlich ab. Das betrifft Edelmetalle (Platin, Palladium, Rhodium), Nichteisenmetalle (Aluminium, Kupfer, Blei), Batterierohstoffe (Nickel, Kobalt), Stahl- oder Stahlrohstoffe (Eisenerz, Kokskohle) sowie Gas und Strom.

Trotz dieser Gegenmaßnahmen können die Hersteller die starke Teuerung 2022 damit nicht komplett kompensieren. So berücksichtigen sie in ihren Prognosen zwar erste Nettobelastungen aus steigenden Rohstoff- und Energiepreisen, mögliche weitere Mehrkosten infolge des Krieges enthalten diese aber noch nicht. Die steigenden Einkaufspreise verhageln mitunter die Marktlagengewinne mancher Hersteller aufgrund höherer Pkw-Preise. „Die Nettopreise verbessern sich voraussichtlich weiter, aber sie werden die steigenden Rohstoffkosten im laufenden Jahr nicht vollständig kompensieren“, räumt Mercedes-Benz ein.

Ökostrom-Umstellung treibt

Trotz dieser Verwerfungen am Energiemarkt kommt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer zum Ergebnis, dass die Auswirkungen der Preissteigerungen bei den Herstellungskosten von Neuwagen „überschaubar“ seien. Sein Argument: Die Energiekosten spielen in der Wertschöpfung von BMW, Mercedes-Benz und VW keine entscheidende Rolle. Das bestätigt VW: „Energie spielt in der Autoproduktion keine vergleichbar zentrale Rolle wie in anderen Industrien. Allerdings wird mit Hinblick auf den Hochlauf der E-Mobilität die Energiefrage wichtiger. Deshalb werden wir unsere Anstrengungen, den Energiebedarf zu senken, weiter verstärken“, sagt der VW-Sprecher. Nimmt man als Faustregel, dass in einem Neuwagen im Schnitt rund 500 Euro Energiekosten stecken, so würde ein Anstieg um die Hälfte diese auf 750 Euro erhöhen. Da die Preiselastizität der Nachfrage von Käufern teurer Modelle der Ober- und Luxusklasse ohnehin gleich null sei – das heißt diese nicht preissensibel reagieren – würden steigende Energiepreise den Absatz von Autos im Premiumsegment nicht drücken, sollten die Hersteller diese auf die Abnehmer abwälzen. „Die Autobauer verdienen sich derzeit eine goldene Nase“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Dudenhöffer, zugleich Direktor des Car-Center for Automotive Research. Die Hersteller profitieren seit Monaten von einem verknappten Angebot u.a. wegen Engpässen bei Mikrochips bei einer zugleich hohen Nachfrage. Das treibt die Verkaufspreise. Das sorgt wiederum für höhere Margen.

Unterdessen dürfte der Energiepreisschock den Einsatz von Ökostrom in der Produktion der Autobauer im Rahmen ihres Transformationsprozesses zur Elektromobilität und aufgrund strengerer Vorgaben zum Klima- und Umweltschutz beschleunigen. Die Konzerne setzen zunehmend auf erneuerbare Energien wie Solar, Wind- und Wasserkraft als Quelle, um den Betrieb am Laufen zu halten. In ihren Werken achten sie zunehmend darauf, den Strom weitgehend aus regenerativen Erzeugungsanlagen aus lokalen und regionalen Quellen (u.a. Stadtwerke) zu beziehen. Darüber hinaus sind sie darum bemüht, selbst Ökostrom zu erzeugen. Das gilt mittlerweile für ihr gesamtes weltweites Fertigungsnetz. „Der Anteil erneuerbarer Energien an der externen Stromversorgung unserer EU-Produktionsstätten lag 2021 bei 96 % und soll bis 2023 auf 100 % steigen. An 53 Konzernstandorten weltweit ist dieses Ziel bereits erreicht. Der gesamte weltweite Stromverbrauch des Volkswagen-Konzerns inklusive China wurde letztes Jahr zu 49 % aus erneuerbaren Energien gespeist. Dies war ein Anstieg von 9 %“, berichtet VW.

Diese Umstellung zu sogenannten Grünstromkonzepten reicht aber noch nicht aus, den gesamten Energiebedarf komplett aus eigenen Quellen zu decken. BMW, Mercedes-Benz und VW sind weiter zu einem großen Teil von Öl- und Gaslieferungen abhängig. Über den Anteil von russischem Erdgas machen sie auf Anfrage keine Angaben. Für diese Verschwiegenheit gibt etwa Mercedes-Benz Wettbewerbsgründe an. Gesamtwirtschaftlich spielen die Autobauer als Bezieher von Gas eine untergeordnete Rolle. Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) macht der Fahrzeugbau in Deutschland nur knapp 5 % des gesamten jährlichen Gasverbrauchs der Industrie aus (vgl. Grafik).

Gasembargo träfe enorm

Daraus zu schließen, dass ein Gasembargo gegen Russland die deutschen Werke der Autobauer nur marginal träfe, ist allerdings falsch. Das liegt an der engen Verflechtung der Autozulieferer und -bauer mit anderen Industriezweigen, die für die notwendigen Vorprodukte sorgen. „Von der im Fahrzeugbau nachgefragten Gasmenge kann bis zum Herbst und Winter dieses Jahres nur rund 9 % durch andere Energieträger ersetzt werden, die Betroffenheit für die Produktion wäre daher enorm“, warnt ein Sprecher des Verbands der Automobilindustrie (VDA). „Die Autoindustrie ist geprägt durch hochkomplexe Lieferketten. Somit ist die isolierte Betrachtung des Fahrzeugbaus nicht zielführend, denn dieser benötigt Vorprodukte der chemischen Industrie, wie zum Beispiel Lacke, Kunststoffe oder Batteriechemikalien. Und die Chemieindustrie hat bekanntlich einen deutlich höheren Gasverbrauch“, so der VDA-Vertreter. Das heißt: Müssten die Chemiekonzerne wegen eines Gasembargos ihre Fertigung einstellen, ständen zwangsläufig auch die Bänder bei den Autoherstellern still.

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